Die Bemühungen um die Präsidentschaftswahlen in Libyen Ende des Jahres nehmen an Fahrt auf, womit die Abstimmung jedoch zugleich immer unwahrscheinlicher wird.
Das Schicksal Libyens hängt von den Ende des Jahres stattfinden sollenden Wahlen ab, die für die Zunkunft des Landes wichtiger sein dürften, als der Monaten anhaltende Waffenstillstands und die internationale Unterstützung.
Die Muslimbruderschaft und die mit ihr verbündeten islamistischen Organisationen, die den Hohen Staatsrat in Libyen kontrollieren, versuchen jedoch, die Wahl zu behindern und zu verschieben, um Kräfte für einen späteren Wahlsieg zu mobilisieren.
In einem neuen Manöver hat die libysche Muslimbruderschaft vor Wochen ihren Namen und ihre Identität geändert und benannte sich in „Vereinigung für Wiederbelebung und Erneuerung“ um. Dahinter verbirgt sich die der Absicht, sich neu aufzustellen und ihre Reihen zu reorganisieren, um bei den bevorstehenden Wahlen an die Macht zu gelangen, nachdem sie in ihrer traditionellen Form innerhalb des Landes an Popularität verloren hat.
Auf der anderen Seite hielt General Khalifa Haftar mehrere Volksversammlungen ab, organisierte kürzlich eine Militärparade und startete eine Kampagne den sozialen Medien, um für seine Kandidatur für die Präsidentschaft Libyens zu werben.
Weitere potenzielle Präsidentschaftskandidaten neben Haftar – wie der ehemalige Innenminister Fathy Bashagha und der ehemalige Vizepräsident des Präsidialrats Ahmed Maiteeq – bereisten kürzlich europäische Hauptstädte, um ebenfalls Unterstützung für ihre Kandidatur zu gewinnen.
Werden die Wahlen stattfinden?
Die angesprochene Namensänderung durch die Muslimbruderschaft, die Abhaltung öffentlicher Versammlungen durch Haftar und die Auslandstouren der anderen Kandidaten stellen einen Entwicklungssprung und eine Verschärfung der Situation dar. Die Streitigkeiten toben bereits, und die Durchführung von Wahlen ist aus theoretischer und praktischer Sicht problematisch geworden.
Die wichtigste der Streitigkeiten, die sich direkt auf die Abhaltung der Wahlen am 24. Dezember auswirken, dreht sich um die Durchführung eines Verfassungsreferendums. Während die Muslimbruderschaft und ihre Verbündeten an der Abhaltung dieses Referendums festhalten, wollen sich die anderen Parteien auf eine gesetzliche Grundlage für die Regelung der Wahlen einigen und die Verabschiedung einer Verfassung auf nach der Wahl verschieben.
Laut dem libyschen Politikexperten Abdel Sattar Hatita gibt es einen weiteren Faktor, der die rechtzeitige Durchführung der Wahlen behindert und erschwert: die türkische Präsenz in Libyen, die trotz internationaler Forderungen nach dem Abzug ausländischer Truppen andauert.
„Die türkische Präsenz in Libyen könnte die Abhaltung der Wahlen erschweren und dazu führen, dass sie behindert und verschoben werden, um so die Herrschaft der Exekutive und der Regierung des derzeitigen Premierministers Abdul Hamid al-Dabaiba zu verlängern“, sagte Hatita zu Mena-Watch. Al-Dabaiba gilt als türkei- und muslimbruderfreundlich.
„Es ist bekannt, dass der türkische Einfluss in Libyen groß ist. Ankara hat vier Militärbasen im Land: in Misurata, Al-Khums (zwischen Misrata und Tripolis), Mitiga (in Tripolis) und Al-Wattia (westlich von Tripolis), sagte Hatita, demzufolge sich auch immer noch einige tausend ausländische Söldner (vor allem Syrer) in Libyen befinden, die 2019 und 2020 eingesetzt wurden, um die Präsenz der Streitkräfte im Nordwesten Libyens zu konsolidieren.
Worst-Case-Szenario
Wolfgang Pusztai, Leiter des National Council on US-Libyan Relations, sagte kürzlich, das schlimmste und gefährlichste Szenario für Libyens Zukunft sei, wenn bis Ende Herbst kein Konsens über die verfassungsmäßige Grundlage für die Wahlen erreicht werde. „Das nämlich würde bedeuten, dass der Dezember verstreichen wird, ohne dass Wahlen abgehalten oder ein neues Datum für sie festgelegt werden. Auch konkrete Vorbereitungen für die Abhaltung der Wahlen könnten dann nicht stattfinden“, fügte er hinzu.
„In diesem Fall wird der das Ziel der Schaffung von Stabilität unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen nicht erreicht werden. Die Regierung der Nationalen Übereinkunft würde weiter regieren, würde aber mit der Zeit ihre Legitimität verlieren“, erklärte er. „Dies ist das wahrscheinlichste und zugleich gefährlichste Szenario, weil es zu einem Wiederaufflammen der Feindseligkeiten führen kann“, sagte er und führte weiter aus: „Deshalb muss der Waffenstillstand sofort durch die Einrichtung einer glaubwürdigen internationalen Überwachungsmission gestärkt werden.“
Gleichzeitig wies Pusztai darauf hin, dass Libyen aufgrund der Sicherheitslage und rechtlicher Schwierigkeiten nicht bereit für Wahlen sei, und dass die geringe Wahlbeteiligung seit der Revolution 2011 einen zusätzlichen Grund für Pessimismus bilde. „Daher sind die Wahlen im Dezember keine sehr gute Lösung, aber leider gibt es keine bessere“, sagte Pusztai.
Ende letzten Jahres einigten sich die libyschen Parteien bei Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen auf einen Waffenstillstand und einen politischen Weg des Übergangs, der mit der Abhaltung allgemeiner Wahlen im kommenden Dezember enden soll.