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Beendet das Erdbeben Erdogans Herrschaft?

Wie wird sich das Erdbeben in der Türkei auf Erdogans politische Herrschaft auswirken?
Wie wird sich das Erdbeben in der Türkei auf Erdogans politische Herrschaft auswirken? (© Imago Images / APAimages)

Das verheerende Erdbeben, das die Türkei vor einigen Wochen erschütterte, hat die Karten der türkischen Politik schon Monate vor den Wahlen auf den Kopf gestellt.

Verlegte Präsident Erdogan die Präsidentschafts- und Parlamentswahl wegen der Feriensaison kürzlich noch auf den 14. Mai vor, ist dieser Termin nun erneut umstritten, nachdem der ehemalige Berater des Präsidenten Bülent Arinc eine Verschiebung aufgrund des Erdbebens und der Zerstörung ganzer Wohngebiete vorgeschlagen hat. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte drei Regierungsbeamte, die erklärten, die Wahl solle erst im Juni abgehalten und damit just in jenem Monat, den Erdogan vor Kurzem noch für ungeeignet hielt.

Einer der zitierten Beamten sagte, eine Abhaltung im Mai würde den Wahlbehörden nur wenig Zeit für die Organisation und den Abschluss der logistischen Vorbereitungen für die Stimmabgabe in den von den Erdbeben betroffenen Gebieten geben, in denen etwa dreizehn Millionen Menschen leben.

Der nun erneut ins Auge gefasste Juni ist gemäß der türkischen Verfassung der letztmögliche Termin, während die Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt nur per Verfassungsänderung durch den Präsidenten möglich wäre, für die jedoch eine Zweidrittelmehrheit von 400 Stimmen im Parlament erforderlich ist, während Erdogan und seine rechtsextremen Verbündeten nur über 333 Mandate verfügen.

Politisch-tektonische Auswirkungen 

Am 6. Februar erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,7 die Südtürkei und Nordsyrien – gefolgt von weiteren teils heftigen Nachbeben – im Zuge dessen rund 50.000 Menschen ums Leben kamen und enorme materielle Schäden hinterblieben.

Die Katastrophe warf viele Fragen über die zu erwartenden Auswirkungen auf die Innenpolitik der Türkei auf, insofern sie Erdogan vor neue Herausforderungen stellte, angesichts der Vorwürfe gegen seine Regierung wegen der verspäteten Reaktion auf das Erdbeben, der Probleme bei den Rettungsmaßnahmen und der Korruption beim Bau von Häusern in den betroffenen Gebieten. Zuletzt hatten über sechzig türkische Anwälte Klage wegen mutmaßlicher schwerer Versäumnisse gegen Erdogan eingereicht. 

Auch der Vorsitzende der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Kemal Kilicdaroglu, kritisierte Erdogan umgehend und machte ihn für die Katastrophe verantwortlich, indem er der Regierung nicht nur vorwarf, die Hilfsmaßnahmen nicht ausreichend koordiniert und gesteuert, sondern bereits bei der Vorbereitung auf zu erwartende Erdbeben völlig versagt zu haben.

Ähnliche wie der Experte für internationale Beziehungen Mahmoud Alloush der Ansicht ist, der Zeitfaktor spreche dagegen, dass Erdogans sich bis zu den angesetzten Wahlen von der Erdbebenkatastrophe erholen könne, meint der Politberater Anthony Skinner: »Die schrecklichen Ereignisse haben der politischen Opposition neue Munition gegen die Regierung geliefert; Munition, die von der Wut und dem Unmut der Bevölkerung angetrieben wird.«

Ressentiments wahlbestimmend?

Der türkische Journalist Deniz Yocel sieht die Lage ähnlich bleibt jedoch genau so unbestimmt, wenn er sagt, es werde »erwartet, dass die Erdbebenkatastrophe bei den Wahlen eine wichtige Rolle spielen wird, aber die Merkmale dieser Rolle sind noch nicht klar«. 

Auch ausländische Politikexperte wie der Ägypter Bashir Abdel-Fattah, stellen die Situation ähnlich dar. Abdel-Fattah beschreibt die Herausforderungen für AKP mit den Worten, die Chancen Erdogans und seiner Partei hingen davon ab, »ob es dem Präsidenten gelingt, die Wählerschaft nach der jüngsten öffentlichen Kritik schnell wieder für sich zu gewinnen.« Der Ausgang der anstehenden Wahlen hinge davon ab, »ob die Opposition in der Lage ist, den Volkszorn auszunutzen, ein Programm vorzulegen, das die Wählerschaft anzieht, und einen starken Präsidentschaftskandidaten zu stellen«.

Das Erdbeben hat also die politische Situation vor den Wahlen gleichermaßen verändert, wie es die altbekannten Frontstellungen in der türkischen Politik bestätigt hat: ob es der Opposition die Chance eröffnet hat, Erdogans Herrschaft zu beenden, hängt davon ab, wie sie auf die Herausforderungen reagiert. Hoffentlich besteht diese Reaktion nicht nur darin, dass sie Erdogan in Bezug auf die syrischen Flüchtlinge, die laut weitverbreiteten Behauptungen den türkischen Erdbebenopfern schaden würden, an Radikalität überholt.

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