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Vor 40 Jahren: Militärputsch in der Türkei (Teil1)

Kenan Evren, einer der Anführer des Miltärputsches, der danach Präsdient der Türkei wurde
Kenan Evren, einer der Anführer des Miltärputsches, der danach Präsdient der Türkei wurde (© Imago Images / ZUMA, Keystone)

Wie die Putschgeneräle vom 12. September 1980 zum Wegbereiter des türkischen Islamismus wurden.

Konya, Anfang September 1980: „Der Islam ist der einzige Weg“, steht auf den Plakaten in der Provinzhauptstadt Konya, der Hochburg der türkischen Islamisten. Necmettin Erbakan, der Führer der Millî Görüş-Bewegung hat zum Schaulaufen aufgerufen, und seine treusten Anhänger folgen ihm. Sie zelebrieren wenige Tage vor dem Staatsstreich vom 12. September 1980 die „Befreiung Jerusalems“, fordern die Einführung der Scharia und weigern sich, die türkische Nationalhymne zu singen.

Ein turbulentes Jahrzehnt

Diese offene Kampfansage an den Staat, insbesondere die Weigerung, die Hymne anzustimmen, ist für die Putschgeneräle der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die turbulenten 1970er Jahre, die durch den Putsch von 1971 eingeleitet wurden, der den Auftakt zur Bekämpfung der türkischen Linken bildete, führten ab Mitte des Jahrzehnts zu über 5.000 politischen Morden, die Linke wie Rechte im gegenseitigen Hochschaukeln an einander verübten.

Die Wirtschaft selbst, die auf Importsubstitution ausgelegt war, erlahmte und war mit einer Stagflationskrise konfrontiert. Nach der Ölkrise von 1973 stieg der Ölpreis und damit auch die Auslandsverschuldung der Türkei, die ihre Devisenreserven nahezu bis zum Staatsbankrott aufbrauchte. Aufgrund des Devisenmangels konnten wichtige Güter für die Zwischenindustrie nicht mehr importiert werden und die Produktion kam zum Stillstand. Die darauffolgende miserable Krisenverwaltung führte zu immer stärkerer Staatsverschuldung, und die hohe Inflationsrate von zeitweise über 180 Prozent konnte nicht mehr gebremst werden.

Diese Krise spiegelte sich auch in einer Staatskrise im politischen System wider. Instabile Regierungen, Streit unter den Koalitionären, zudem die Folgen des – durch die USA verhängten –Embargos nach der türkischen Intervention in Zypern 1974, peitschten die immer brachialer werdenden Kampfparolen im und außerhalb des Parlaments an. Auf den Straßen war Bürgerkriegsstimmung, es kam zu Pogromen gegen Aleviten wie im Dezember 1978 in Kahramanmaras mit über 120 Toten. Auch die damals starken Gewerkschaften, die zwischen 1974 und 1980 mehrmals zum Generalstreik mobilisierten, waren dem Staat zunehmend ein Dorn im Auge.

Das alles reichte dem Militär, das keiner politischen Führung vertraute, und so intervenierte es in der Nacht zum 12. September, um das politische Chaos zu beenden.

Ein Militärputsch und seine Folgen

Kaum ein anderes politisches Ereignis seit der Republikgründung hat die türkische Gesellschaft so radikal verändert. Trotz anders verlautbarter Beschwichtigungen seitens der Putschgeneräle, die sich als die Retter der Republik inszenierten, hat ihr Coup nämlich zum Aufstieg des türkischen Islamismus beigetragen.

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass ausgerechnet das türkische Militär, das sich doch eigentlich als Hüter des Laizismus versteht, zum Wegbereiter der Erdoğan-Clique werden konnte? Und was hat dazu beigetragen, dass der türkische Islamismus in den dem Putsch folgenden Jahrzehnten so stark wurde, dass er sogar erfolgreich in die Staatsapparate eindringen und sich dort bis heute etablieren konnte?

Türkisch-islamische Synthese

Entschieden dazu beigetragen hat die sogenannte türkisch-islamische Synthese, die bereits 1970 im Umfeld der sogenannten „Aydınlar Ocağı“ (Club der Intellektuellen) entstand. Rechtsnationalistische Intellektuelle wie İbrahim Kafesoğlu vereinten Türkentum und Islam und etablierten dieses Konzept auf ihrem Weg in die Staatsbürokratie allmählich als Staatsprogramm.

Die Putschgeneräle übernahmen diese Vorstellungen dankbar und erklärten sie selbst zur Staatsideologie. Waren die 1970er Jahre durch die offene Austragung politischer Konflikte gekennzeichnet, so sollte die innere Einheit der Nation nach dem Putsch nicht mehr gefährdet werden. Es sollte eine entpolitisierte, aber religiöse Jugend heranwachsen, die sich der sunnitisch-türkischen Identität annimmt und sich ihr unterwirft.

Dazu wurde ein staatlicher Thinktank gegründet, die „Hohe Atatürk Gesellschaft für Kultur, Sprache und Geschichte“, die sogar im Artikel 134 der Verfassung als „vollziehende Gewalt“ den Status eines „Hauptorgans der Republik“ genießt. Dort heißt es:

„Zum Zweck, das kemalistische Denken, die Prinzipien und Reformen Atatürks, die türkische Kultur, die türkische Geschichte und die türkische Sprache auf wissenschaftlichem Wege zu erforschen, bekannt zu machen und zu verbreiten sowie Veröffentlichungen herauszugeben, wird unter der geistigen Schutzherrschaft Atatürks und unter der Aufsicht und mit Unterstützung des Präsidenten der Republik sowie in Anbindung an das durch den Präsidenten der Republik zu bestimmende Ministerium die aus dem Atatürk-Forschungszentrum, der Türkischen Sprachgesellschaft, der Türkischen Historischen Gesellschaft und dem Atatürk-Kulturzentrum die als juristische Persönlichkeit des öffentlichen Rechts bestimmte ‚Hohe Atatürk-Gesellschaft für Kultur, Sprache und Geschichte‘ errichtet.“

Als Leitprogramm dieser Vereinigung wurde festgelegt:

„Die Religion sollte im sozialen Leben nicht zurückgedrängt werden, sondern ihre Funktion als nationale Quelle von Sitte, Moral und kulturellen Werten in der Gesellschaft beibehalten. Die Rolle der Religion bei der Herausbildung von Nationen kann nicht geleugnet werden. Wenn die Grenzziehung zwischen Nation und Umma richtig vorgenommen wird, dann wird deutlich, dass die Religion zur Stärkung der Nationalkultur beiträgt.

Wir sollten lernen, die säkularisierenden Qualitäten des Islams für die Hervorbringung der Nationalkultur und für die Vermeidung von Generationskonflikten zu nutzen. (…) Es ist durchaus möglich, die Religion als kulturelles Element den geistigen Quellen des türkischen Nationalismus anzugliedern. (…) Da auch Kultur eine Weltsicht bezeichnet, können wir die Religion integrieren, ohne dass der Laizismus Schaden nimmt.“ (Bozkurt Güvenc, 1991: Türk-Islam sentezi, S. 85f. [dt.: Türkisch-Islamische Synthese.])

So entstand alsbald ein bis heute existierender Staatsislam, der zur Leitideologie aller politischen Fraktionen wurde. Sogar die kemalistische Linke konnte sich mit ihm arrangieren, obwohl der Staat sich auf die Bekämpfung der türkischen Linken verlegte, die ihm in den 1970er Jahren aufgrund ihres Organisationsgrads und in ihrer Fähigkeit zur Massenmobilisierung zum Hauptfeind wurde. Dass der neugeschaffene Staatsislam dabei auch mit militanten Rechten paktierte, und Morde an linken Journalisten wie Uğur Mumcu oder Islamkritikern wie Turan Dursun an der Tagesordnung waren, interessierte die Staatslinke nicht so sehr.

Die autoritäre Wende

Die Ideen der „Aydınlar Ocağı“ waren also eine willkommene Gelegenheit zur ideologischen Frischzellenkur der äußerlich noch kemalistischen Türkei. Da ihre Vertreter konzeptionell den Staatsorganen nahestanden, und Antikommunismus und Autoritarismus en vogue war, gelang es ihnen auch fast unproblematisch, in den Apparaten aufzusteigen.

Mit dem Putsch von 1980 änderten sich dann auch fundamental die Grundkoordinaten des Staates, der sich der liberalen Verfassung von 1961 entledigte und entschieden autoritär wurde. Die Putschisten waren der Auffassung, dass die Liberalisierung von Staat und Gesellschaft, die nach dem Putsch von 1960 erfolgt war, den Aufstieg der Linken erst ermöglicht habe.

Nicht zu Unrecht: Diese Verfassung vom 9. Juli 1961 gewährte umfangreiche Rechte sowohl für Arbeitnehmer als auch für Gewerkschaften und erleichterte die Gründung von Vereinen und Parteien. Die Priorisierung von Freiheitsrechten vor Staatsbürgerpflichten, die Einführung der Gewaltenteilung, die Legalisierung von Gewerkschaften und die Einführung des Grundrechts auf Generalstreik, die Etablierung des Zwei-Kammer-Parlaments und die Errichtung des Verfassungsgerichts harmonierten mit dem links-kemalistischen Hauch dieser Ära, der zum Sturz des ersten islamistischen Ministerpräsidenten der Türkei, Adnan Menderes, am 27. Mai 1960 geführt hatte.

Wie autoritär die Putschisten 1980 ihr neues Staatskonzept definierten, zeigte sich bereits in der Verfassung von 1982, die sie zur Volksabstimmung vorlegten, und die bis heute Gültigkeit besitzt. Dort ist der Kemalismus in islamischer Form bereits in der Präambel als ideologische Grundlage festgeschrieben – und mit ihm konnten sich auch alle Parteien rechts der Mitte arrangieren, die seit 40 Jahren auch die Regierungen bilden.

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