Während es den politischen Parteien nach wie vor an einem Konzept im Umgang mit den in Europa gestrandeten Flüchtlingen aus dem Nahen Osten mangelt, wird in Deutschland die Abschiebung nach Syrien gefordert.
Auf ihrer Winterklausur ging es in Deutschland bei der CSU vor allem um die Frage, wie man eine noch »härtere Migrationspolitik« durchsetzen und weitere »illegale Immigration« eindämmen sowie verstärkt Rückführungen in Heimatländer durchführen könne. Damit liegt die CSU ganz im europäischen Trend und luden deshalb als Gast auch den dänischen Migrationsminister ein. Dessen repressive Politik gilt auch für die gerade neu gegründete Partei von Sarah Wagenknecht als Vorbild, wie sie auf einer Pressekonferenz bekannt gab.
Nun stehen sie allerdings alle vor einem realen Problem, denn die meisten aller Flüchtlinge, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, stammen aus Syrien und Afghanistan (gefolgt von der Türkei und dann auf den abgeschlagenen Plätzen vier und fünf der Irak und der Iran) und damit aus zwei Ländern, in denen die Lage sowohl politisch wie ökonomisch so desaströs ist, dass man kaum größere Gruppen dorthin abschieben kann.
Das hinderte den bayerischen Ministerpräsidenten aber nicht, einmal mehr Rückführungen nach Syrien zu fordern. Der Vorschlag ist weder neu noch originell und geistert seit Jahren durch deutsche Flüchtlingsdebatten. Nur: Von wem und wie diese durchgeführt werden sollen, solange die Situation in Syrien sich eher verschlechtert als verbessert, wird in der Regel nicht mitgeliefert.
Aber dennoch ist die Forderung ganz auf der Höhe der Zeit, schließlich hat im Januar erst die Bundesregierung den Abschiebestopp für den Iran aufgehoben, der nach den Massenprotesten im Jahr 2021 verhängt worden war. Dass sich auch im Iran die Lage in keiner Weise ändert, zumindest nicht verbessert hat, scheint bei der Entscheidung keine Rolle zu spielen: »Aktuell gilt (wieder): Nur wem mit ›beachtlicher Wahrscheinlichkeit‹ eine Verfolgung in Iran droht, darf bleiben.«
Wer sich ein wenig in deutscher Asylpraxis auskennt, weiß, dass diese Formulierung für die Betroffenen nichts Gutes verheißt und bald wohl auch wieder die Abschiebeflieger in die Islamische Republik abheben werden. Wie oft es bei diesen Maßnahmen diejenigen trifft, die eigentlich an allererster Stelle Schutz bräuchten, zeigte sich im vergangenen Jahr, als ein Rücknahmeabkommen mit dem Irak ausgehandelt worden war und in Folge erstmals auch Jesidinnen und Jesiden rückgeführt wurden.
Symptombekämpfung
All dies ist nicht nur inhuman, sondern bestenfalls ein Herumdoktern an Symptomen, über dem die Ursachen vergessen werden. Zwar dachte man, nach der Flüchtlingskrise von 2015 hätte sich herumgesprochen, dass einer ihrer Auslöser in den massiven Kürzungen der UNO-Hilfen im Jahr zuvor lag, aber das scheint nicht der Fall zu sein. Zur Erinnerung eine Meldung aus dem Oktober 2014:
»Die Vereinten Nationen haben wegen Geldmangels damit begonnen, ihre Lebensmittelhilfe für die Bevölkerung in Syrien zu reduzieren. Die Hilfsleistungen würden diesen Monat um 40 Prozent gesenkt, sagte Elisabeth Rasmusson vom Welternährungsprogramm (WFP). Demnach wird die UN-Organisation zwar wie bisher Lebensmittel an 4,2 Millionen Menschen in Syrien verteilen, doch werde sie die individuelle Menge stark reduzieren.«
Hunger und unerträgliche Lebensbedingungen gepaart mit Krieg und Unterdrückung sind bekanntermaßen die Hauptgründe, weshalb Menschen fliehen. Kürzt man jenen, die zum Überleben auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, das ohnehin Wenige, das sie erhalten, sehen sich viele gezwungen, an Orte zu ziehen, von denen sie hoffen, dass sie und ihre Kinder dort nicht hungern müssen.
Selbst diese bestechend einfache Logik, für die es kein jahrelanges Studium bedarf, scheint in der momentanen Asyl- und Migrationsdebatte keine Rolle mehr zu spielen. Denn während die CSU Abschiebungen nach Syrien ins Gespräch bringt, werden dort erneut und massiv Hilfen wegen Geldmangels gestrichen:
»In Syrien ist Hunger allgegenwärtig. Trotzdem stellt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sein größtes Hilfsprogramm für das Land ein. Mit Beginn des Jahres bekommen 3,2 Millionen Menschen keine Essensspenden mehr. Die Kürzung betrifft vor allem den Nordwesten des Landes, wo das Leiden durch das Erdbeben im Februar sowie durch Binnenvertreibung und Bombardierung vonseiten der Türkei oder Russlands gemeinsam mit Machthaber Baschar al-Assad besonders groß ist. In der Region sind von der Kürzung mehr als drei Viertel der bedürftigen Bevölkerung betroffen. Durch den Krieg und die Hyperinflation gibt es laut WFP ›fast nichts mehr, was sich ein durchschnittlicher syrischer Haushalt leisten kann‹.
›Angesichts der massiven Finanzierungskrise müssen wir auch in Syrien die Unterstützung drastisch zurückfahren‹, sagte ein WFP-Sprecher der taz. Gekürzt werde vor allem das Programm zur allgemeinen Ernährungshilfe. WFP musste diese Hilfen bereits im Juli 2023 von 5,5 Millionen auf 3,2 Millionen Menschen reduzieren. ›Unser Ziel war es immer, möglichst viele Menschen zu erreichen, doch mit dem vorhandenen Geld können Rationen nicht noch weiter gekürzt werden oder Verteilungen in noch größeren Abständen erfolgen.‹«
Es ist vermutlich ein hoffnungsloses Unterfangen, erneut an den Zusammenhang zwischen der Massenflucht 2015 und Hilfskürzungen im Jahr zuvor zu erinnern, zumindest aber sollte sich niemand wundern, wenn auch 2024 die Zahl jener, die aus Syrien kommen, trotz aller Abschreckungsmaßnahmen hoch bleiben wird.
Früher gab es diese Diskussion um sogenannte Push- und Pullfaktoren. Nachhaltig wirkende Außenpolitik sollte vor allem die Push-Faktoren, zu denen Hunger, Verfolgung, Krieg und völlige Perspektivlosigkeit gehören, minimieren. Davon ist längst keine Rede mehr. Im Gegenteil produziert die internationale Staatengemeinschaft gerade viele neue Gründe, warum Syrer, die dies bislang noch nicht getan haben, versuchen werden, ihr Land zu verlassen.
Vergessenes Afghanistan
Von der Lage in Afghanistan, dem zweiten Hauptherkunftsland, das langsam, aber sicher in jene Vergessenheit gerät, in die der Jemen und der Sudan längst gerutscht sind, braucht man kaum xzu reden. Das UN-Welternährungsprogramm fasst sie kurz so zusammen:
»Eine humanitäre Krise unvorstellbaren Ausmaßes ist seit der Machtübernahme durch die Taliban noch komplexer geworden und hat sich weiter verschärft. Durch den Verlust von Arbeitsplätzen, den Mangel an Bargeld und die steigenden Preise leiden in Afghanistan immer mehr Menschen Hunger. 22,8 Millionen Afghan*innen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung – haben nicht genügend zu essen.«
Noch fordert allerdings niemand in Deutschland, dass auch massiv an den Hindukusch abgeschoben werden soll, man belässt es bei Straftätern und unterstützt derweil die Nachbarländer Afghanistans beim Grenzschutz – also dabei, was in der Expertensprache »heimatnahe Fluchtabwehr« heißt.