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Streit: Polen und Israel schließen Abkommen über Bildungsreisen

Polens umstrittene Geschichts- und Vergangenheitspolitik hat zu einem Aussetzen israelischer Bildungsreisen ins Land geführt. (© imago images/ZUMA Wire)
Polens umstrittene Geschichts- und Vergangenheitspolitik hat zu einem Aussetzen israelischer Bildungsreisen ins Land geführt. (© imago images/ZUMA Wire)

Ein Übereinkommen soll wieder israelische Bildungsreisen zu Holocaust-Gedenkstätten in Polen ermöglichen, stößt aber auf vehemente Kritik.

Jahr für Jahr reisten Tausende israelische Jugendliche zu ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern in Polen, um in den Gedenkstätten über den Holocaust zu lernen. Die Bildungsreisen wurden über die Jahre jedoch von zunehmendem Streit über die Geschichts- und Vergangenheitspolitik der polnischen PiS-Regierung überlagert, die jede Debatte über die Beteiligung von Polen an den deutschen Verbrechen unterbinden will. Über unbestreitbar stattgefundene polnische Verbrechen soll nicht gesprochen, dafür aber polnische Bürger umso mehr ins Scheinwerferlicht gerückt werden, die während der Zeit der deutschen Besatzung Juden geholfen hatten.

Die Bestrebungen der PiS-Regierung um eine bemühte Reinwaschung der ambivalenten Rolle Polens im Holocaust wurden in Israel von Anfang an äußerst kritisch verfolgt und erreichten einen Tiefpunkt, als eine Reihe von polnischen Gesetzen verabschiedet wurde, mit denen die Rede über eine polnische (Mit-)Verantwortung am Holocaust unter Strafe gestellt und Ansprüche auf Rückgabe von beschlagnahmtem Eigentum durch Holocaust-Opfer und ihre Angehörigen unterbunden wurden. Anfang des Jahres 2021 meinte Israels damaliger Außenminister Jair Lapid, derartige Gesetze »deuten auf Antisemitismus hin«, und sprach in diesem Zusammenhang von Holocaust-Leugnung. Dispute über Sicherheitsmaßnahmen israelischer Reisegruppen in Polen sowie die Inhalte, die sie vermittelt bekommen sollten, führten im Sommer 2022 schließlich dazu, dass die israelischen Polen-Trips ausgesetzt wurden.

Mit der neuen israelisch-polnischen Vereinbarung sollen diese Bildungsreisen wieder möglich werden. Für die Sicherheit der Gruppen sollen demnach im Normalfall und ohne Vorliegen von besonderen Sicherheitswarnungen polnische Stellen zuständig sein. Doch andere Punkte des Abkommens stoßen auf lautstarken Widerspruch. So sollen israelische Reisegruppen in Zukunft an jedem besuchten Gedenkort polnische Führer zugewiesen bekommen, was als Versuch gesehen wird, Einfluss auf die dabei vermittelten Inhalte zu nehmen.

Vorgegebene Besuchsorte

Auf noch mehr Kritik stößt allerdings, dass jede Gruppe einen von 32 in einer Liste verzeichneten Orte aufsuchen muss. Denn auf dieser finden sich, wie die Times of Israel berichtete, neben jüdischen Museen auch »Stätten, die an die Opfer der sowjetischen Unterdrückung erinnern, darunter angeblich auch an Polen, die Juden getötet haben«.

Der Historiker Havi Dreifuss bezeichnete die Liste als »empörend«, einige der darin vorgeschlagenen Orte seien »bestenfalls zweifelhaft und schlimmstenfalls umstritten«. Sie »ignorieren die dokumentierten Aspekte der polnischen Beteiligung an der Ermordung von Juden«, während manche »Polen verherrlichen, die bis zum Hals in die Ermordung von Juden verwickelt waren«. Sein Kollege Jan Grabowski, der auf Basis der neuen polnischen Gesetze für ein von ihm verfasstes Buch vor Gericht gestellt wurde, in dem er die Kollaboration von Polen mit den deutschen Besatzern thematisiert hatte, bezeichnet die Auswahl auf der Liste als »Traum eines Holocaust-Leugners«. Über eines der Museen sagte er: »Wenn es ein Museum für die verzerrte Darstellung des Holocaust gibt, dann wäre es dieses.«

Aber die israelisch-polnische Vereinbarung erhält auch (gedämpfte) Zustimmung. So gibt Jonny Daniels, ein Israeli, der in Warschau im Holocaust-Gedenken aktiv ist, zu bedenken: »Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Die polnische Seite investiert enorme finanzielle und diplomatische Ressourcen, um ihr Narrativ voranzutreiben, das leider oft die historischen Wahrheiten verdreht.« Dennoch hält er die Vereinbarung für einen tragbaren Kompromiss: »Sie gibt der polnischen Seite nur ein begrenztes Mitspracherecht bei der Durchführung der Reisen, und das ist kein hoher Preis (…), denn es ist wichtig, dass die Reisen wieder aufgenommen werden, damit junge Israelis den Holocaust verstehen.«

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