Während der israelische Verteidigungsminister für die Idee einer multinationalen Truppe im Gazastreifen wirbt, versuchen Beobachter, die Durchführbarkeit einer solchen Initiative einzuschätzen.
Yaakov Lappin
Beobachter in Israel sind zwar unterschiedlicher Meinung über die Realisierbarkeit des Konzepts des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, wonach eine multinationale arabische Truppe im Nachkriegs-Gaza eine wichtige Rolle bei der Polizeiarbeit spielen soll, doch sind sich alle einig, dass eine solche Truppe automatisch ein Ziel für die Hamas darstellen würde.
Während einer Sitzung des Außen- und Verteidigungsausschusses der Knesset in der vergangenen Woche erklärte Gallant laut Israel News Network, es gebe nur »zwei Optionen«, wer den Gazastreifen nach dem Krieg kontrollieren werde: Die Hamas, was laut Gallant allerdings »nicht passieren wird, weil wir sie zerstören werden«. Die zweite Option besteht darin, »dass in Gaza eine gemäßigte zivile Kraft regieren wird und Israel volle militärische Handlungsfreiheit hat«.
Im Rahmen dieser Vision hat Gallant die Option einer vorübergehend tätigen multinationalen arabischen Truppe entwickelt, die drei ungenannte arabische Staaten umfassen und in der ersten Phase die Verteilung humanitärer Hilfe in Gaza schützen soll. Das Ziel in dieser Phase wäre es, eine solche Truppe mit spezifischen Aufgaben zu betrauen und sicherzustellen, dass es nicht zu Zusammenstößen mit den Operationen der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) im Gazastreifen kommt.
In Abstimmung mit dem israelischen Kriegskabinett, dem Gallant angehört, und dem IDF-Stabschef warb der Minister Ende März bei einem Besuch in den Vereinigten Staaten, wo er mit Verteidigungsminister Lloyd Austin und führenden Vertretern des Pentagons zusammentraf, für diese Idee.
Szenario wie im Irak und in Afghanistan
Der Leiter des Forums für Palästinastudien am Moshe-Dayan-Zentrum für Nahost- und Afrikastudien an der Universität Tel Aviv und leitender Forscher am Institut für Politik und Strategie an der Reichman-Universität in Herzliya, Michael Milshtein, hingegen erklärte einen Tag nach Gallants Aussagen in der vergangenen Woche, dass solch ein »Plan zumindest im Moment recht theoretisch aussieht«. Milshtein, der früher Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten im Direktorat des militärischen Nachrichtendienstes der IDF war, warnte, solange die Hamas vor Ort präsent sei, »gibt es keine wirkliche Möglichkeit, die Idee umzusetzen, und die Hamas erklärt offen ihren aggressiven Widerstand gegen die Idee«.
Der Wissenschafter gab zu bedenken, einer solch internationalen Truppe würde wahrscheinlich die Motivation fehlen, um »sich auf ein solches Abenteuer einzulassen«. Seiner Einschätzung nach kämen grundsätzlich Ägypten, Jordanien und vielleicht die Vereinigten Arabischen Emirate infrage, wobei auch Marokko ein Kandidat wäre.
»Natürlich gibt es Länder, denen Israel die Teilnahme verweigern sollte, wie Katar und die Türkei«, fügte er hinzu. Auch die Frage nach den Zielen und dem Umfang einer solchen Truppe sei noch unklar. »Es könnte sich um eine symbolische Truppe handeln, eine Art Beratertruppe oder Ausbilder, was wahrscheinlicher ist.« Die Möglichkeit, es könnte sich »um tatsächliche Truppen« handeln, »die vor Ort eingesetzt werden und über Durchsetzungsfähigkeiten verfügen, ist weniger wahrscheinlich ist«, meinte Milstein.
Israels jüngste Erfahrungen mit dem Versuch, ein lokales Regime im Gazastreifen auf der Grundlage der dortigen Clans zu fördern, wurden von der Hamas schnell sabotiert, so Milshtein. Am 14. März tötete die Hamas den Anführer des Doghmush-Clans im nördlichen Gazastreifen, den sie verdächtigte, Kontakte zu israelischen Behörden zu unterhalten.
Würden bewaffnete Kräfte in den Gazastreifen entsandt und versuchten bei der Schaffung einer neuen Ordnung zu helfen, was die Entwaffnung der Milizen einschlösse, »ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird, die nicht zuletzt von der Hamas angeführt werden«, sagte Milshtein. »Das wird sich nicht sehr von dem unterscheiden, was im Irak und in Afghanistan bei Konflikten zwischen einer internationalen Koalition und lokalen Machtelementen passiert ist.«
Michael Milshtein verwies auf Israels eigene Erfahrungen im Libanon, die seiner Meinung nach die Schlussfolgerung untermauern, dass multinationale Streitkräfte »fast immer ein Rezept für Probleme sind und die Bewegungsfreiheit der IDF einschränken oder einfach nichts beitragen«. Er verwies dabei auf das Beispiel der UNIFIL im Libanon, die seit fast fünfzig Jahren besteht und »im besten Fall nicht eingreift und im schlimmsten Fall wirklich im Weg steht«. Eine multinationale Truppe, die 1982 in Beirut stationiert wurde und aus den Vereinigten Staaten, Frankreich und Italien bestand, musste sich nach einem schweren Angriff der Hisbollah zurückziehen.
Es sei daher höchst unwahrscheinlich, dass eine multinationale Truppe »die schwierige Arbeit für die IDF übernehmen oder Sicherheitsprobleme signifikant lösen kann«, warnte Milshtein und fügte hinzu, viel wahrscheinlicher sei es, dass die IDF weiterhin handeln müssten. Um eine palästinensische Autonomie im Gazastreifen einzurichten, müsse zuerst die Hamas von der Bildfläche verschwinden, »und das ist zumindest im Moment nicht in Sicht«.
Autonomiebehörde zu schwach
Boaz Ganor, Präsident der Reichman-Universität, Gründer des Internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung und Autor mehrerer Bücher über Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, erklärte, die Präsenz einer multinationalen Koalition könnte Israel in die Lage versetzen, »die Entscheidung zu treffen, den Krieg zu beenden und seine Streitkräfte aus dem Gazastreifen abzuziehen«.
Israel müsse sicherstellen, dass die Hamas nach ihrem Rückzug den Gazastreifen nicht wieder einnehme und ihr Raketenarsenal oder ihre unterirdischen Befestigungen wieder aufbaue. »Die Entmilitarisierung des Gazastreifens ist eine grundlegende Vorbedingung für den Abzug der israelischen Streitkräfte und die Beibehaltung des Gazastreifens als entmilitarisierte Zone könnte kurz- und mittelfristig eine Ausweitung des Kriegs im Gazastreifen verhindern«, so Ganor.
»Das natürliche Element zur Durchführung dementsprechender Missionen im Streifen wären die Polizeikräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde, aber diese Kräfte sind zu schwach und können die Aufgaben nicht erfüllen, auch nicht gegen eine geschwächte Hamas«, warnte er. Daher sei die Unterstützung durch eine regionale multinationale Truppe erforderlich, welche die Aktivitäten der palästinensischen Streitkräfte beaufsichtigen würde.
Ein solches Szenario würde es der israelischen Regierung auch ermöglichen, »die Hemmungen zu überwinden, die sie hat, wenn es darum geht, der Palästinensischen Autonomiebehörde zu gestatten, der wichtigste Durchsetzungsmechanismus im Gazastreifen zu sein«, fügte er hinzu. Voraussetzung dafür sei, dass die regionale Truppe als überwachendes Element fungiere, das die Palästinensischen Autonomiebehörde unterstütze und nicht die gesamte Durchsetzung selbst vornehme.
»Es scheint, dass verschiedene Länder in der Region ein Interesse daran haben, sich daran zu beteiligen, wie Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere. Die Hamas wird sicherlich versuchen, die Missionen herauszufordern und anzugreifen, aber je mehr die palästinensischen Polizeikräfte den größten Teil der Arbeitslast tragen, desto größer ist die Chance, dass sich die betreffenden Staaten an einer multinationalen Truppe beteiligen«, schätzte Ganor die Situation ein. Solch ein Szenario stärke die Möglichkeit, eine palästinensische Autonomie im Gazastreifen zu schaffen, ohne eine Sicherheitsbedrohung für Israel darzustellen.
Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist state on the Internet. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)