„Viel ist in den vergangenen Tagen über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EMGR] berichtet worden, dass die Bezeichnung des Propheten Mohammed als ‚pädophil‘ im Rahmen eines 2009 gehaltenen Seminars durch die österreichische Islam-Kritikerin Elisabeth Sabaditsch-Wolff nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Unabhängig davon, ob es sich um ein ‚Skandalurteil‘ handelt oder nicht, deutet die Entscheidung auf einen beunruhigenden Trend hin: eine Reklerikalisierung des öffentlichen Raums (…) Die Urteilsbegründung wägt das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Schutz religiöser Gefühle ab, um zum Schluss zu kommen, dass Letzteres überwiegen muss, um den religiösen Frieden in Österreich zu wahren. Die Aussage, wonach das Verhalten Mohammeds als pädophil zu bezeichnen sei, wird damit in die Nähe der Verhetzung gestellt und eine neue Rechtslage geschaffen: Laut dem Europäischen Gerichtshof ist es nicht die Aussage als solches, die als problematisch erachtet wird, sondern die Intention, mit der sie getätigt wurde: Nämlich nicht als objektiver Debattenbeitrag, sondern um Mohammed als Objekt religiöser Anbetung verächtlich zu machen. (…)
Der Europäische Gerichtshof mag ehrlich davon überzeugt sein, im Interesse des Zusammenlebens und der Muslime in Europa entschieden zu haben. In Wirklichkeit wird dadurch jedoch ein real existierendes Problem für Tausende von Frauen auf der ganzen Welt schwieriger zu diskutieren. (…) Auch wenn man die Wortwahl von Sabaditsch-Wolff ablehnt, ist ihre Aussage inhaltlich doch absolut diskussionswürdig. Ihre Aussagen sollten nicht rechtlich, sondern intellektuell behandelt werden. Nichts besser, als wenn sich herausstellen würde, dass Mohammed auch nach heutigen Standards nicht der Pädophilie schuldig wäre. Eine solche Erkenntnis könnte für Millionen von zwangsverheirateten Frauen den ersten Schritt in ein menschwürdigeres Leben bedeuten, da die Praxis der Kinderehe damit auch theologisch hinterfragt werden könnte. Mit seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Diskussion erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. (…)
Die Wahrheit hat wenig Chancen, wenn die Bewahrung des religiösen Friedens auf dem Spiel steht. Doch durch ihr Handeln ermutigt die europäische Justiz genau jene Kreise, die die größte Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. Wer den Terror als Rechtfertigung zur Unterbindung einer öffentlichen Diskussion anführt, ermutigt damit jene, die bereits in der Vergangenheit versucht haben diese durch Gewalt zu unterbinden – beispielsweise die Hintermänner des ‚Charlie Hebdo‘-Attentats 2015.“ (Ralph Schölhammer: „Eine neue Form der Zensur geistert durch Europa“)