„Seit der Machtübernahme der Islamisten 1979 gilt in dem Land der Verhüllungszwang für Frauen. Festnahmen wegen Verstößen gibt es ständig; allein im Jahr 2014, so gab die iranische Polizei bekannt, habe sie 3,6 Millionen Mal wegen ‚schlechten Hidschab-Tragens‘ eingreifen müssen. Was die vermutlich meisten Iranerinnen von dieser Gängelung halten, zeigt sich jedem, der in Teheran in ein Flugzeug nach Westen steigt. Verlässt die Maschine den iranischen Luftraum, fallen die Hidschabs, als hätte der Pilot gerade eine Art zweite Anschnallpflicht aufgehoben. (…) Iranerinnen beteuern, das Kopftuch sei, verglichen mit anderen Diskriminierungen, nicht ihr Hauptproblem. Deswegen geht es bei den jetzigen Protesten nicht bloß um ein Stück Stoff; das Kopftuch ist im Iran vielmehr das Emblem für eine rückständige Gesetzesordnung, in der Frauen nicht dieselben Erb-, Scheidungs- und Kindererziehungsrechte genießen wie Männer, ohne Erlaubnis ihres Gatten das Land nicht verlassen und kein Sportstadion betreten dürfen. (…)
Diese [weltlichen] Gesetze [in Deutschland] umfassen auch die Bürgerfreiheit, das Kopftuch oder sonst irgendein Symbol zu tragen, aus welchen Gründen auch immer, seien es emanzipatorische, religiöse oder archaische, und das gilt sogar dann, wenn manch eine Kopftuchträgerin vielleicht selber nicht ganz so genau weiß, wo die Grenze zwischen alldem verläuft. Zur weiblichen Selbstbestimmung zählt sogar das Recht, sich zu erniedrigen. Darüber kann man sich wundern. Aber das kann man über vieles. Zum Beispiel auch über einige prominente Frauen in Deutschland, die sich Feministinnen nennen, deren Twitter-Kanäle zu den Protesten im Iran aber auffällig schweigen. Auf die Frage, warum das so sei, sagte eine, sie greife das Thema vielleicht noch auf. Eine andere ließ ausrichten, sie habe für eine Antwort keine Zeit.“ (Jochen Bittner: „Schleier des Nichtwissens“)