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Winterelend in Syrien: Hunger und Überflutungen

Der Winterregen verwandelt Flüchtlingslager in Syrien in Seenlandschaften
Der Winterregen verwandelt Flüchtlingslager in Syrien in Seenlandschaften voller Schlamm (© Imago Images / ZUMA Wire)

Das schlechte Wetter und die Ausbreitung von Corona machen die Lage der syrischen Binnenvertriebenen, die teilweise schon jahrelang in völlig unterversorgten Flüchtlingslagern ausharren, noch katastrophaler.

In den vergangenen Wochen gab es heftigen Starkregen in Nordsyrien, eigentlich eine gute Nachricht für eine Region, die seit Jahren unter chronischer Dürre leidet. Nicht so für die über eine Million Binnenvertriebenen, die in der Region Idlib in Zelten hausen müssen. Sie sahen sich schutzlos einer neuen Katastrophe ausgesetzt:

„Mehr als 22.000 Binnenvertriebene (IDP) haben ihre vorübergehenden Unterkünfte aufgrund heftiger Regenfälle, Überschwemmungen und Schneeschäden verloren, die über 4.000 Zelte in den Lagern im Nordwesten Syriens zerstören. Ein Kind ist gestorben und drei weitere Personen wurden infolge der rauen Wetterbedingungen verletzt.

Der Sturm hat Lager an rund 87 Standorten für IDPs in Nord-Idlib und West-Aleppo in Seen verwandelt und den Verlust der einzigen Habseligkeiten verursacht, die Menschen nach Jahren des Konflikts übrig haben. Ohne Heizung, Decken und trockene Matratzen zum Schlafen mussten viele bei Familienmitgliedern Schutz suchen oder in öffentlichen Gebäuden oder im Freien, da die Temperaturen unter Null fallen.“

Auf Bildern aus der Region ist zu sehen, wie diese Lager im wortwörtlichen Sinn in Schlammfluten versanken und sich in Seenlandschaften verwandelten. Derweil breitet sich auch Corona in den Lagern immer weiter aus, laut Informationen von Hilfsorganisationen seien 28% aller Tests im Dezember 2020 positiv ausgefallen, während für die mehr als drei Millionen Bewohner Idlibs gerade einmal neun halbwegs funktionsfähige Krankenhäuser mit 212 Intensivbetten und 162 Beatmungsgeräten zur Verfügung stünden.

Da der UN-Sicherheitsrat dem Druck Russlands nachgegeben hat, existiert seit langem nur noch ein einziger Grenzübergang, über den Hilfe in das Gebiet zugelassen wird.

Völlig abgeschnitten

Immerhin sind sie noch nicht völlig von Nahrungsmittelversorgung abgeschnitten, wie zwischenzeitlich jene 13.000 Menschen, die weiterhin an der syrisch-jordanischen Grenze im al-Rukhban Camp ausharren müssen. Diese kleine Enklave liegt in einer Art Niemandsland und die humanitäre Lage dort wurde schon 2019 als absolut katastrophal beschrieben:

„Die Menschen seien in einer trockenen Gegend gestrandet, sagte die WFP-Sprecherin: ‚Das ist eine reine Wüste, kaum etwas wächst hier.‘ Untergekommen seien sie in verstreuten Hütten aus Lehm, die jedoch nur unzureichend Schutz vor dem Winterwetter böten. Wenn es regnet, verwandele sich der Boden in Matsch.

Zwar gebe es einige Märkte, aber die Preise seien extrem hoch. ‚Die Menschen haben die Zahl ihrer Mahlzeiten reduziert‘, sagte Awad. ‚Sie essen jeden Tag Kartoffeln und trockenen Reis.‘ Es gebe nur eine schlecht ausgestattete Klinik.

Jordanien hat seine Grenze geschlossen, Angebote des syrischen Regimes, die Flüchtlinge könnten zurückkehren, wurden von einigen in Anspruch genommen. Sie landeten in „detention centers“ und es heißt, viele seien danach „verschwunden“. Also harren noch immer – manche bereits seit Jahren – über zehntausend an diesem gottverlassenen Ort aus, der oft wochenlang von jeder Versorgung abgeschnitten ist.

So auch dieser Tage. Seit einer Woche hat sie kein Mehl mehr erreicht. Verzweifelt wendet sich deshalb eine Bewohnerin des Camps and die Welt:

„Hier im Rukban-Lager stehen wir vor einer Hungersnot. Ohne humanitäre Hilfe, ohne Zugang zu Gesundheitsversorgung verschlechtern sich unsere Bedingungen und unsere Kinder sterben. Helfen Sie unseren Kindern.“

Ein Appell, der wie so viele zuvor, wohl ungehört bleiben wird. Apropos Kinder: Da hat sich jüngst mal wieder UNICEF mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, das den Status Quo zehn Jahre nach Beginn der Massenproteste gegen das Assad-Regime so zusammenfasst:

„Mehr als die Hälfte aller Kinder in Syrien werden ihres Rechts auf Bildung beraubt. (…) In Syrien haben mehr als 2,4 Millionen Kinder die Schule verlassen, fast 40 Prozent sind Mädchen. Diese Zahl hat wahrscheinlich im Jahr 2020 aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zugenommen, die die Krise des Bildungssystems in Syrien noch verschärfte.

Jede dritte Schule in Syrien kann nicht mehr genutzt werden, da sie zerstört, bzw. beschädigt wurde oder für militärische Zwecke genutzt wird. Kinder, die zur Schule gehen können, lernen häufig in überfüllten Klassenzimmern und in Gebäuden mit unzureichenden Wasser- und Sanitäranlagen, Strom, Heizung oder Lüftung.

Die Vereinten Nationen können seit Beginn der Überprüfung schwerwiegender Verstöße gegen Kinder fast 700 Angriffe auf Bildungseinrichtungen und Personal in Syrien bestätigen. Im vergangenen Jahr wurden 52 Angriffe bestätigt.“

Fast genau auf den Tag vor zehn Jahren fand in Damaskus eine erste, sehr kleine Demonstration statt, bei der, motiviert von den Bildern aus Tunesien und Ägypten, ein paar Dutzend Syrer Reformen des politischen Systems einforderten. So begannen damals die Proteste gegen Assad, dessen Sturz Anfang 2011 nicht einmal auf der Agenda stand.

Schon damals allerdings stand seine Entscheidung fest: Es würde weder Reformen noch einen Rücktritt geben: Statt auch nur ein einziges Zugeständnis zu machen, war dieses Regime vom ersten Tag an bereit lieber ein ganzes Land in Schutt und Asche zu legen und fast die Hälfte der Bevölkerung in Flüchtlinge oder Binnenvertriebene zu verwandeln.

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