Erweiterte Suche

Wieso in der Türkei wegen Corona Kölnischwasser gehamstert wird

Türkisches Kölnischwasser, Erdogan grüßt mit Hand auf der Brust
Türkisches Kölnischwasser, Erdogan grüßt mit Hand auf der Brust (© Eyüp Sabri Tuncer / CC BY-SA 3.0, © Imago Images / Depo Photos)

Während die meisten Wirtschaftszweige in der Türkei ebenso wie im Rest der Welt am Beginn einer Depression stehen, boomt eine Branche: Die Hersteller von Kölnischwasser müssen ihre Produktion erheblich ausweiten, um die Nachfrage zu befriedigen.

Der Grund: kolonya, wie das Duftwasser auf Türkisch heißt, gilt als Virenkiller. Kolonya hat eine Tradition, die bis ins Osmanische Reich zurückgeht. Den bekannten Hersteller Rebul aus Istanbul etwa gibt es seit 1895. Mittlerweile wird Kölnischwasser in der Türkei in zahlreichen unterschiedlichen Düften vertrieben, doch Zitrone ist der ursprüngliche und beliebteste. Traditionell wird kolonya in den Händen verrieben und auch dem jeweiligen Gegenüber angeboten, bei einer Vielzahl von Anlässen: auf Reisen, in Restaurants, nach einem Haarschnitt, beim Empfang von Gästen oder auch bei Krankenbesuchen und Beerdigungen.

Mit einem Alkoholgehalt zwischen 50 und 80 Prozent, so die englischsprachige türkische Zeitung Daily Sabah, sei kolonya „laut Experten eine hervorragende vorbeugende Maßnahme gegen die Verbreitung von Viren und Bakterien“. Woran der Autor des Artikels die Spekulation knüpft, dass es „die Affinität der Türkei zu kolonya sein“ könne, die dafür gesorgt habe, dass die Türkei „so lange gegen die Viruskrise immun blieb“. (Andere Beobachter meinen, vielleicht stimme die türkische Statistik nicht; zudem gingen auch die in gemeldeten Infektionszahlen in der Türkei in den letzten Tagen deutlich nach oben.)

Verkaufszahlen steigen rasant

An einer Tatsache zumindest gibt es keinen Zweifel: Die Verkaufszahlen steigen rasant – so sehr, dass auch der öffentliche US-Rundfunksender NPR schon davon Notiz nimmt. „Im winzigen Atelier Rebul im Istanbuler Stadtteil Karaköy“, berichtet NPR,

„kümmert sich der 44-jährige Eigentümer Goksel Kaygin um einen anschwellenden Kundenstrom. Sie quetschen sich in den engen Laden, der von einer schwindelerregenden Auswahl an Düften gesäumt ist, die von Zitrone (ausverkauft) und Limette bis zu grünem Tee, Gewürzen und Feigenblüten reichen und zwischen 3 und 8 US-Dollar pro Flasche kosten.“

Die Angst vor dem Virus scheine die Kunden „nicht davon abzuhalten, sich in den kleinen Raum seines Geschäfts zu drängen“, bemerkt der Reporter. „Wie Sie sehen, ist hier wegen des Virus sehr viel los“, sagt ihm Kaygin. Er zeigt auf einen Stapel Kartons, die gerade draußen angeliefert wurden. “Die Leute nehmen sich Flaschen, noch bevor wir sie in die Regale geräumt haben.”

Die jüngere Generation habe bislang kein großes Interesse an Kölnischwasser gezeigt, sagt er. „Aber jetzt verstehen sie, dass es auch ein Desinfektionsmittel ist und sie kommen ebenfalls, um zu kaufen.“

In der osmanischen Zeit, erklärt Kaygin, sei kolonya ein beliebtes Geschenk zum Eid-Feiertag gewesen, der das Ende des muslimischen heiligen Monats Ramadan markiert. Diese Tradition gebe es immer noch. „Früher habe ich das nur für Eid gekauft”, sagt einer seiner Kunden, „aber jetzt bin ich zurück, weil es ja auch ein Desinfektionsmittel ist.” Kaygin führe auch eine andere Marke, doch wegen des geringeren Alkoholgehalts verkaufe sich diese nicht so gut, berichtet NPR.

Hamsterkäufe

Auch die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet über den Run auf Kölnischwasser und beschreibt ein Szenario stark erregter Konsumentennachfrage, für das sich im deutschsprachigen Raum der Begriff „Hamsterkäufe“ eingebürgert hat:

„Nachdem letzte Woche der erste Fall von Coronavirus in der Türkei verkündet worden war, strömten die Türken in die örtlichen Geschäfte, um sich mit Kölnischwasser einzudecken. ‚Die Nachfrage nach dem nach Zitrusfrüchten duftenden Kölnischwasser und insbesondere nach Zitrone hat sich verfünffacht’, sagt Engin Tuncer, Inhaber des größten türkischen Herstellers Eyup Sabri Tuncer.“

Vor der Filiale in der Hauptstadt Ankara stünden die Leute in fast 100 Meter langen Schlangen, um ihr Kölnischwasser direkt von der Quelle zu beziehen. „Einige Leute haben leere 20-Liter-Plastikflaschen mitgebracht, um sie mit Kölnischwasser zu füllen, aber wir verkaufen maximal 1,5 Liter pro Person“, so Tuncer. Bei sachgemäßer Anwendung reiche diese Menge für zwei Monate aus, fügt er hinzu, denn drei bis 3,5 Milliliter Kölnisch Wasser pro Person auf gewaschenen Händen reichten aus. Somit bestehe keine Notwendigkeit zum Horten.

Tuncer lobt, dass die türkische Regierung kürzlich beschlossen hat, dass Benzin fortan kein Ethanol mehr beigefügt werden muss. Laut der türkischen Regulierungsbehörde für den Energiemarkt werden durch die Einstellung der Verwendung von Ethanol in Benzin zusätzliche 20.000 Kubikmeter für die Herstellung von Desinfektionsmitteln und Kölnischwasser im Land bereitgestellt. Kölnischwasser Zitrone enthalte mindestens 80% Ethanol, sagt Tuncer, andere gängige Duftsorten wie Jasmin, Tabak, Lavendel und weißer Tee immer noch mehr als 70%.

Kein Export

Angesichts der steigenden Nachfrage aus der Türkei lehne sein Unternehmen Anfragen aus dem Ausland ab, um sich ganz auf den Inlandsmarkt konzentrieren zu können. „Da wir dachten, dass die Menschen in unserem Land ein solches antibakterielles Produkt benötigen könnten, fanden wir es nicht richtig, Kölnischwasser ins Ausland zu verkaufen”, erklärt er. Um noch mehr davon herstellen zu können, habe seine Firma die Produktion anderer Güter wie Erfrischungstücher, Flüssigseife, Hand- und Körpercreme und Shampoos vorerst eingestellt.

Ganz ähnlich das Bild bei dem türkischen Kosmetikfabrikanten Bülent Emekçi, der in Mörfelden-Walldorf bei Frankfurt für den deutschen Markt produziert. Er sagt:

„Wir importieren die Rohstoffe für die Herstellung von Kölnischwasser aus der Türkei, stellen das Produkt in unseren eigenen Werken in Deutschland her, füllen es hier ab und verkaufen es dann in der ganzen Türkei.“

Weil auch sein Unternehmen aufgrund der Pandemie in letzter Zeit Schwierigkeiten hatte, mit der Nachfrage nach Kölnischwasser Schritt zu halten, hat es ebenfalls die Produktion einer großen Anzahl von Produkten zurückgefahren, um alle Ressourcen für die Herstellung von Kölnischwasser einzusetzen.

„Wir produzieren im Zwei-Schichten-Betrieb 12.000 Flaschen Kölnischwasser pro Tag“, so Emekçi. Er erklärt, er habe sich mit Unternehmen in der Türkei getroffen, um Möglichkeiten zur Steigerung der Produktions- und Vertriebsaktivitäten zu erörtern, doch aufgrund der dortigen hohen Nachfrage nach Kölnischwasser seien diese Bemühungen bislang erfolglos gewesen. Erschwerend komme hinzu, dass die türkische Regierung für Kölnischwasser und dessen Grundstoffe Ausfuhrkontrollen erlassen hat.

Tradition der Handdesinfektion

Im Kampf gegen die Verbreitung des Virus geben die Behörden und Medien in der Türkei die gleichen Empfehlungen wie überall auf der Welt: Händewaschen und auf den Handschlag bei der Begrüßung verzichten.

Auch Staatspräsident Erdogan vermeidet das Händeschütteln und legt stattdessen als Gruß die rechte Hand auf die linke Brust. Bei einer Rede vor Anhängern sagte er kürzlich mit Blick auf die hohen Infektionszahlen in Westeuropa: „Sie nennen sich westliche Staaten, aber Hunderte Menschen sterben. Warum? Ich denke, es ist, weil sie nicht vorsichtig genug sind.“

Parfümeriebesitzer Kaygin ist naturgemäß von den Vorzügen des Kölnischwassers überzeugt. Dass es jetzt so einen Boom erlebt, habe auch damit zu tun, dass die Tradition, es zur Handdesinfektion zu benutzen, nie völlig ausgestorben sei, sagt er. „Sie haben es immer gewusst, aber jetzt erinnern sie sich wirklich daran.“

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!