Von Thomas von der Osten-Sacken
Ohne den Krieg in Syrien und die völlig verfehlten Reaktionen der USA und Europas, deren „rote Linien“ bekanntermaßen keine waren, hätte es wohl kaum – oder zumindest nicht in dieser Form – im Jahr 2015 die so genannte Flüchtlingskrise gegeben, die Europa bis auf die Grundfesten erschütterte und in deren Folge überall rechtspopulistische Parteien einen enormen Zulauf gewonnen haben. Sicher, unter den Fliehenden befanden sich unzählige Irakis, Afghanen, Iraner und Menschen aus dem subsaharischen Afrika, doch den Großteil machten Syrer aus, die in den Lagern in der Türkei, dem Libanon und Jordanien immer schlechter versorgt wurden – teils auch weil dem UNHCR aus dem Westen die Hilfe zusammen gestrichen wurde – und außerdem die Hoffnung auf Veränderung in ihrem Heimatland verloren hatten.
Von diesen Syrern wiederum war die überwältigende Mehrheit vor den Luftangriffen der syrischen und später auch russischen Luftwaffe geflohen. Seit 2012, als die Aufstände in Syrien sich langsam in einen Bürgerkrieg verwandelten, war es neben dem Iran vor allem Russland, dass dem Assad-Regime half, einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu führen, der zur Zerstörung ganzer Regionen führte, in denen Zivilisten kaum noch leben konnten. Für das Assad-Regime und seine Verbündeten gehörte es von Anfang an zur Strategie, möglichst viele Menschen aus den Gebieten, die es nicht mehr kontrollierte, in die Nachbarländer zu vertreiben. Damit half man, die Region zu destabilisieren und arbeitete langfristig an einer demographischen Neuordnung des Landes.
Ohne russisches Engagement wäre dies nie möglich gewesen. Ohne russische Unterstützung also, hätte es niemals Millionen von syrischen Flüchtlingen gegeben, die sich dann irgendwann auf den Weg nach Europa gemacht haben. Nun halfen ausgerechnet diese Flüchtlinge Russland bei einem seiner weiteren außenpolitischen Ziele: Der Spaltung und Schwächung der Europäischen Union. Denn es sind überall in Europa gerade die rechtspopulistischen Parteien, die sich enger, ja engster Beziehungen zum Kreml erfreuen und aus ihrer Nähe zu Putin kein Hehl machen. Ob FPÖ, Front National oder AfD, sie alle blicken nach Moskau und verteidigen die russische Politik bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
So auch in Italien: Ob Berlusconi, der seit Jahren auf seine enge Freundschaft mit dem russischen Präsidenten stolz ist, oder die Neofaschisten, die Lega Nord und die „Protesbewegung“ Fünf Sterne. Diese Sieger der Wahl in Italien zeichnen sich alle durch ihre Nähe zu Russland und ihre Abneigung gegen das Politestablishment in Brüssel und Berlin aus. Nun sind sich Beobachter einig, dass vor allem die Flüchtlingsfrage – Italien hat in den letzten Jahren weit über 600.000 Flüchtlinge aufgenommen – den italienischen Wahlkampf entschieden hat:
„Fremdenfeindliche und zum Teil auch offen rassistische Parolen haben den Wahlkampf geprägt und dem rechten Lager einen Triumph gebracht. In diesem Lager ist die Lega von Matteo Salvini die stärkste Kraft. Offenbar gefällt populistische und reaktionäre Rhetorik auch in Italien. Sein politisches Vorbild ist der ungarische Regierungschef Orban: ‚Orban verteidigt die Grenzen, verteidigt die Banken, verteidigt das Geld und blockiert die Einwanderung‘, sagte Salvini; das sind die Kernpunkte seines Regierungsprogramms. Salvinis Partner sind der sattsam bekannte Silvio Berlusconi und die erklärten Faschisten der Fratelli d’Italia. Ob die Rechtsallianz zusammenhält und die Regierung bilden kann, ist aber noch offen.“
Um es zusammenzufassen: Ohne Krieg in Syrien wäre es kaum zur Flüchtlingskrise gekommen, die wiederum auch in Italien Parteien an die Macht bringt, die sich vor allem durch einen Wahlkampf gegen Flüchtlinge ausgezeichnet haben. Oder anders ausgedrückt: Für Russland eine Win-Win Situation: Erst vertreibt man die Syrer, um Assad an der Macht zu halten, dann helfen sie einem noch, die eigene Agenda in Europa durchzusetzen. Das klingt nach wilder Verschwörungstheorie? Ist es aber nicht, ganz im Gegenteil fördert der Kreml diese Entwicklung noch, wo immer es ihm möglich ist. Das hat am Beispiel Italiens nun eine Studie der Zeitung El Pais mehr als deutlich gezeigt:
„In den letzten Monaten hat die russische Einmischungsmaschinerie sich auf Italien konzentriert und dort eine Desinformationskampagne über den Stand der Migration durchgeführt, um im Vorfeld der Wahlen vom Sonntag Unterstützung für die radikalen Parteien zu mobilisieren. Einer von El País eingesehenen Analyse von 1.055.774 Posts aus 98.191 Social-Media-Profilen zufolge, hat ein Netzwerk von Antieinwanderungs- und anti-NGO-Aktivisten Links zu Berichten geteilt, die von der im Eigentum der russischen Regierung befindlichen Medienorganisation Sputnik veröffentlicht wurden, um ein falsches Bild von Italien zu vermitteln. Sputnik betreibt unter anderem ein italienischsprachigen Dienst. Diesem Szenario zufolge sei das Land von Flüchtlingen überrannt worden, die für die Arbeitslosigkeit und die Inflation verantwortlich seien. Verschlimmert werde die Lage durch die Passivität der pro-europäischen Politiker; letztlich sei die Europäische Union schuld an der Misere. (…)
Demnach hat Sputnik Italia bei der Radikalisierung der öffentlichen Diskussion bezüglich der Flüchtlingskrise eine entscheidende Rolle gespielt. Alto Dato Analytics zufolge, deren Algorithmen (ähnlich denen von Google) Webseiten nach deren Userzahlen und der Häufigkeit, mit der ihre Inhalte in den sozialen Medien geteilt werden, ist Sputnik von allen ausländischen Medien, die in Italien aktiv sind, nach dem italienischen Dienst der Huffington Post das zweiteinflussreichste. Die Einwanderungsdebatte wurde zum zentralen Thema im italienischen Wahlkampf, der sich kaum mit anderen Inhalten auseinandersetzte. Umfragen zeigen, dass Parteien, die zur Einwanderung keine klare Position beziehen, am Sonntag keine Rolle spielen werden.“
Sputnik und Russia Today warden direkt vom Kreml aus gelenkt und hetzen überall in Europa gegen Flüchtlinge, verbreiten auch nur zu gerne obskurste Fake News und werben überall in Europa für populistische Parteien. So sieht sie aus, die russische Strategie, die leider seit Jahren äußerst erfolgreich funktioniert und eigentlich nicht besonders schwer zu durchschauen ist. Umso mehr stellt sich die Frage, wieso europäische Regierungen dieses Spiel solange mitspielen, bis sie eine nach der anderen abgewählt oder zumindest enorm geschwächt werden.
Statt der Strategie Russlands und seiner Verbündeten irgendetwas entgegenzusetzen, selbst wenn es heute schon zu spät sein mag – eine Flugverbotszone in Nord- und Südsyrien, wie damals von der syrischen Opposition gefordert, hätte 2012 wohl die erst später einsetzende Massenflucht verhindern helfen – spielen sie weiter das blutige Spiel mit. Denn jeder nichteingehaltene Waffenstillstand in Syrien, jeder Tag, an dem russische Bomben fallen und sinnlos bei der UN in New York verhandelt wird, hilft nur Russland und seinen befreundeten Parteien in Europa. Je vergifteter die Verhältnisse in Europa werden, je besser für Putin. Es ist so schrecklich einfach gestrickt dieses Moskauer Drehbuch und zugleich so schrecklich effektiv. Und kein Ende ist in Sicht, nirgends.