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Weshalb Israel keine Verfassung hat

Dass Israels Oberster Gerichtshof aktuell so umstritten ist, hat auch mit dem Fehlen einer Verfassung für den Staat zu tun. (© imago images/ecomedia/robert fishman)
Dass Israels Oberster Gerichtshof aktuell so umstritten ist, hat auch mit dem Fehlen einer Verfassung für den Staat zu tun. (© imago images/ecomedia/robert fishman)

Ein Grund für die politische Krise in Israel ist das Fehlen einer Verfassung, in der das Verhältnis der Staatsgewalten klar geregelt wäre.

Die israelische Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 sah vor, dass bis spätestens 1. Oktober 1948 verfassungsmäßig abgesicherte Institutionen errichtet werden sollten:

»Wir beschließen, dass vom Augenblick der Beendigung des Mandats, heute um Mitternacht, … dem 15. Mai 1948, bis zur Amtsübernahme durch verfassungsgemäß zu bestimmende Staatsbehörden, doch nicht später als bis zum 1. Oktober 1948, der Nationalrat als vorläufiger Staatsrat und dessen ausführendes Organ, die Volksverwaltung, als zeitweilige Regierung des jüdischen Staates wirken sollen. Der Name des Staates lautet Israel.«

Nicht zuletzt wegen des Angriffs der umgebenden arabischen Staaten auf den neugegründeten Staat fand erst am 25. Januar 1949 die erste Parlamentswahl statt. Für die Regierung hatten erst einmal Sicherheitsfragen und die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Priorität gegenüber Verfassungsfragen. Ein weiteres Argument für eine Verzögerung war der Umstand, dass sich noch Hunderttausende erwartete künftige Bürger außerhalb des Staatsgebiets befanden, etwa die jüdischen Überlebenden in europäischen Lagern für Displaced Persons. Und auch Orthodoxie drängte in Sachen Verfassung nicht gerade zur Eile.

Dennoch wurden erste Vorarbeiten für eine Verfassung geleistet. Im Juni 1950 etwa beschloss die Knesset als Zwischenlösung die Harari-Resolution, benannt nach einem Abgeordneten, der vorschlug, sogenannte Basic Laws zu erlassen, also Beschlüsse zu einzelnen Themen, die am Ende zu einer Verfassung verbunden werden sollten. Zu welchen Themen sie zu erlassen seien, wurde ebenso wenig festgelegt wie das dazu notwenige spezielle Prozedere, das sich von dem »normaler« Gesetzesbeschlüsse unterscheiden sollte.

Keine Klärung

Bis 1992 wurden mehrere Basic Laws für die Verfahrensweise der Knesset, der Regierung und der Gerichtshöfe erlassen, ohne dass es zu einer Intervention des Obersten Gerichtshofs gekommen wäre. Aus dem 1992 vom Obersten Gerichtshof unter dem Vorsitzenden Aharon Barak erlassenen Basic Law über persönliche Freiheitsrechte wurde dann aber das Recht abgeleitet, jegliches in der Knesset beschlossene Gesetz aufheben zu können, das laut Gerichtshof gegen jenes Basic Law über persönliche Freiheitsrechte verstoße.

Ein neuerlicher Versuch eines Verfassungsentwurfs führte 2006 zu einer Vorlage in der Knesset, wurde jedoch wegen Neuwahlen nicht weiterverfolgt. Im Jahr 2014 wurde ein Basic Law beschlossen, dass ein israelischer Rückzug aus unter israelischer Administration stehenden Gebieten in der Westbank einem Referendum zu unterwerfen sei. 2018 wurde das zwölfte Basic Law beschlossen, laut dem Israel der Nationalstaat des jüdischen Volkes ist.

Die Verabschiedung einer Verfassung auf breiter Basis, die, wie etwa Österreichs Verfassung, dem Parlament die Möglichkeit gibt, Verfassungsgesetze mit Zweidrittelmehrheit zu beschließen, die vom Obersten Gerichtshof nicht aufgehoben werden können, oder eine zweite Parlamentskammer vorsieht, könnte die schwierige innenpolitische Lage in Israel entspannen. Bisherige Versuche, den rechtlichen Status quo zu verändern, ohne dies auf Basis eines breiten Konsenses zu unternehmen, haben bis jetzt zu keiner Klärung geführt, sondern das innenpolitische Klima Israels angeheizt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es den Parteien ausgerechnet unter den aktuellen Rahmenbedingungen gelingen könnte, sich auf eine Verfassung zu einigen, dürfte verschwindend klein sein.

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