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Israels fehlende Verfassung und ihre Folgen

Netanjahus wahrscheinlicher Koalitionspartner Bezahle Smotrich möchte das Parlament gegenüber dem Obersten Gerichtshof stärken
Bezalel Smotrich (mi.) möchte das Parlament gegenüber dem Obersten Gerichtshof stärken (© Imago Images / ZUMA Press)

Im Gegensatz zu den meisten Demokratien gibt es in Israel keine vom Parlament beschlossene Verfassung, was immer wieder zu innenpolitischen Uneinigkeiten führt.

Normalerweise regelt in Demokratien eine Verfassung die staatliche Gewaltenteilung zwischen Legislative (Parlament), Exekutive (Regierung) und Judikative (Gerichtswesen): Regierung und Gerichte agieren auf einer mit qualifizierter Mehrheit vom Parlament beschlossenen Verfassung.

Nicht so in Israel: Nicht zuletzt wegen der offenen Frage, wieweit die Halacha (Religionsgesetz) in einer vom Parlament beschlossenen Verfassung Niederschlag finden sollte, wurde bis heute keine Verfassung verabschiedet, wodurch das Problem ungelöst blieb. Bereits in der israelischen Unabhängigkeitserklärung wurde etwa die Erwähnung des Gottesnamens – wie etwa in Formulierungen à la »mit Gottes Hilfe« – umgangen und die aus der Bibel kommende Umschreibung »Zur Israel« (dt.: Fels Israels) gewählt, die auch für profane Abgeordnete akzeptabel war.

Bis 1. Oktober 1948 sollte eigentlich eine Verfassung feststehen. Es kam nicht dazu: 1950 beschloss das Parlament als Kompromiss die Hariri Resolution, nach der sukzessive einzelne Grundgesetze zu spezifischen Themen verabschiedet werden sollten, was schließlich auch geschah, teilweise mit einfacher Mehrheit.

In der Folge begann der Oberste Gerichtshof die abgesegneten Grundgesetze auszulegen, ohne dass die Möglichkeit bestand, interpretierende Gerichtshofurteile durch parlamentarische Beschlüsse von – mit qualifizierter Mehrheit verabschiedeten – Verfassungsgesetzen (wie etwa in Österreich möglich) auszusetzen.

Ideologische Gegensätze zwischen Richtern des Obersten Gerichtshofs, traditionell mit einem eher linken politischen Hintergrund, und der meist rechten Mehrheit im Parlament taten sich auf. 1995 verabschiedete das Parlament mit einfacher Mehrheit das Grundgesetz bezüglich der individuellen Menschenrechte. In Folge hob der Oberste Gerichtshof bis heute zweiundzwanzig Gesetze und Verordnungen wegen Widerspruchs gegen das Grundgesetz auf, insbesondere solche der Regierung von Benjamin Netanjahu in den Jahren von 2009 bis 2021, die sich mit dem Asylrecht, Eigentumsrechten an Grund und Boden, der palästinensischen Bevölkerung und dem Verhältnis zwischen Staat und Religion befassten.

Vorstoß von Netanjahus wahrscheinlichen Koaltionspartnern

Eine der Konsequenzen der Wahlen zur Knesset im heurigen November ist das Bestreben der aller Wahrscheinlichkeit die nächste Koalition bildenden Parteien um Netanjahu, den bestehenden Status zu ändern und die Position des Parlaments zu stärken.

Der jetzt von der nationalreligiösen Partei Bezalel Smotrichs vorgelegte Entwurf sieht vor, dass Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs, die Gesetze des Parlaments aufheben, notwendig mit Einstimmigkeit erfolgen müssen. Mit absoluter Mehrheit hätte das Parlament aber dennoch die Möglichkeit, das ursprüngliche Gesetz wieder in Kraft zu setzen. Darüber hinaus würde das Parlament sechs der neun Richter des Obersten Gerichtshofs bestimmen.

Falls dieser Entwurf eine Mehrheit finden und beschlossen würde, wäre damit das bestehende Obergewicht des Obersten Gerichtshofs durch das des Parlaments ersetzt werden. Es könnte aber auch noch zu einem Kompromiss kommen: So kritisiert der oppositionelle, aber rechtsgerichtete ehemalige Justizminister Gideon Saar den Entwurf Smotrichs, schlägt aber eine weniger radikale Reform vor, die in Richtung von mehr Transparenz bei der Richterbestellung geht, ohne einer der beiden Seiten – Legislative oder Judikative – bei der Gewaltentrennung ein Übergewicht zu geben.

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