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Verletzung religiöser Gefühle: Kein Strom für den Südlibanon

Von Stefan Frank

Dass im Gazastreifen für viele Stunden des Tages der Strom ausfällt – was daran liegt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde angeordnet hat, die Stromlieferungen in den Gazastreifen zu reduzieren und die Hamas obendrein eine schlechte Verwalterin des Stromnetzes ist – ist wohlbekannt, weil darüber ständig und ausführlich berichtet wird. Immer wieder liest man Meldungen wie: „Die Stromkrise im Gazastreifen verschärft sich“ (RT) „Stromausfall im Gazastreifen ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel“ (Deutschlandfunk); „Die Menschen im Gazastreifen leben seit Jahren mit ständigen Stromausfällen“ (Spiegel); „Im Gazastreifen wird die Stromversorgung noch knapper. Statt bislang acht, wird es nun nur noch sechs Stunden am Tag Elektrizität geben“ (ZDF); „Seit langem kritisieren Menschenrechtsorganisationen, die Lebensumstände der rund zwei Millionen Einwohner im Gazastreifen seien unerträglich. Sie leiden unter massiven Stromausfällen …“ (Salzburger Nachrichten).

Verletzung religiöser Gefühle: Kein Strom für den SüdlibanonViel seltener bzw. fast nie wird in Europa über die Lage im Libanon berichtet, wo es ebenfalls jeden Tag Stromausfälle gibt, die Berichten zufolge zwischen drei und 18 Stunden dauern. In einer Rangliste der besten Stromnetze der Welt, die das Schweizer Weltwirtschaftsforum letztes Jahr veröffentlicht hat, steht der Libanon auf dem drittletzten Platz. Wie im Gazastreifen sind auch im Libanon dieselbetriebene Generatoren, mit denen Haushalte und Gewerbe die Stromausfälle überbrücken, allgegenwärtig.

Die Misswirtschaft ist einerseits Symptom von Korruption und des im Libanon herrschenden politischen Chaos; andererseits ist sie selbst wiederum Grund zu neuem Streit zwischen verschiedenen Lagern. So führt die geschäftsführende Regierung seit einigen Monaten einen Kampf gegen die – illegale – Branche der Generatorenverleiher. Diese berechnen nicht den tatsächlichen Verbrauch, sondern nehmen eine Flatrate, die sich an der Zahl der Stunden orientiert, die sie in Betrieb sind, wofür die Generatorenverleiher horrende Summen kassieren. Der Minimalpreis in Beirut soll 33 US-Dollar pro Monat betragen – für einen Generator, der gerade mal so viel Leistung hat, das er Licht, Telefon und Kühlschrank in Betrieb halten kann. Auf dem Land, wo die Stromausfälle länger andauern, sollen die geforderten Preise noch deutlich höher liegen.

Die Nachrichtenagentur Bloomberg spricht von einer „Mafia“ und beziffert deren Einnahmen  auf 1,5 bis zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Viele der Generatorenbesitzer hätten großen Einfluss auf die Energiepolitik im Libanon, auch durch ihre Beziehungen zu den Stadtverwaltungen und Treibstoffimporteuren, zitiert Bloomberg Umweltschützer. „Im Generatorensektor sind alle Gruppen mit Führern in Machtpositionen verbunden“, sagt Naji Kodeih, Berater einer libanesischen Zeitschrift für Umweltschutz. Sie alle zahlten Bestechungsgelder an die Mächtigen – obwohl Kodeih das nicht offen ausspricht, macht auch die vom Iran unterstützte Schiitenmiliz Hisbollah einen gehörigen Schnitt, denn sie ist im Libanon die größte Macht überhaupt. Weiter sagt Kodeih: „Am Ende zahlen die libanesischen Bürger, die libanesische Wirtschaft und die Entwicklung des Landes alle den Preis für das parasitäre Mafianetzwerk von Interessen.“

In den letzten Monaten kam es zwischen der geschäftsführenden Regierung und den Generatorenverleihern zu einem Machtkampf. Die Regierung ordnete im Sommer an, dass an alle Generatoren Stromzähler anzuschließen sind, so dass nur noch der tatsächliche Verbrauch bezahlt wird. Die zu zahlenden Preise wurden von der Regierung ebenfalls festgelegt.  Auf die Mobiltelefone der Bevölkerung schickte sie Voicemails, in denen die Bürger aufgefordert wurden, Generatorenbetreiber, die gegen die neue Vorschrift verstoßen, bei einer dafür eingerichteten Hotline zu melden. Doch die Generatorenbesitzer weigerten sich, die Zähler zu installieren; sie drohten mit einem Generatorenstreik und verlangen von der Regierung, Diesel zu subventionieren.

Das ist nicht das einzige Problem der Regierung, was die Stromversorgung betrifft. Letzte Woche kam das Parlament – dessen Fraktionen sich ein halbes Jahr nach den Wahlen immer noch nicht auf eine neue Regierung haben einigen können – zu einer Sitzung zusammen, um dringende Beschlüsse zu fassen. Dazu gehörte, umgerechnet 350 Millionen Euro für Treibstofflieferungen bereitzustellen. Die algerische Ölfirma Sonatrach hatte gedroht, den Libanon nicht mehr zu beliefern, wenn die Zahlungen nicht garantiert sind, und der kommissarische Finanzminister Hassan Ali Khalil hatte gesagt, ohne Billigung des Parlaments nicht über das Geld verfügen zu können. Pro Jahr gibt der Libanon, eines der am höchsten verschuldeten Länder der Welt, umgerechnet etwa 1,7 Milliarden Euro zur Subventionierung der Elektrizitätsgesellschaft Electricité du Liban (EDL) aus – das ist etwa die Hälfte des Haushaltsdefizits bzw. ein Sechstel der Staatseinnahmen. Eine „schwere Belastung des Haushalts“ nennt das die Weltbank seit Jahren.

Verletzung religiöser Gefühle: Kein Strom für den Südlibanon
Hisbollah & Amal

Da könnte man meinen, dass eine Erhöhung der Kapazität der regulären Stromproduktion willkommen wäre – doch nicht im Libanon. Seit 2012 betreibt der türkische Konzern Karadeniz zwei schwimmende Kraftwerke an der libanesischen Küste, die nach Angaben des Unternehmens etwa 40 Prozent des vom Libanon benötigten Stroms liefern. Diesen Sommer bot Karadeniz ein drittes Schiff zu schicken, das den Libanon drei Monate lang kostenlos mit Strom beliefern würde, wenn dafür der Vertrag für die beiden anderen Schiffe verlängert würde. Doch als das Schiff im Hafen Zahrani im Südlibanon vor Anker gehen wollte, rief die schiitische Amalbewegung die Bevölkerung auf, dagegen zu protestieren.

Der vorgebliche Grund war der Name des Schiffes: Aisha Gul. Der, so sagte die Amalbewegung, erinnere an Aischa, eine der Frauen des Propheten Mohammed, die von Schiiten gehasst wird. Das Unternehmen entschuldigte sich: Aischa sei in der Türkei „ein verbreiteter Name“. Um niemandes religiöse Gefühle zu brüskieren, wurde das Schiff dennoch in Esra Sultan umgetauft, doch auch das befriedigte die Amal nicht. Sie witterte ein Komplott, den geplanten Bau eines stationären Kraftwerks im Südlibanon zu verzögern.

Manche meinen, es sei ihr gar nicht um den Namen des Schiffes gegangen – das Geschäft mit den Generatoren sei für sie und die Hisbollah einfach zu wichtig, als dass sie eine Schmälerung der Profite hinnehmen wollten. Wie die türkische Website Hürriyet Daily News berichtet, fuhr die Esra Sultan dann den Hafen Jiyeh südlich von Beirut an, eine gemischt muslimische Gegend. Doch Energieminister Abi Khalil habe gewarnt, dass die Infrastruktur dort „nur mit 30 Megawatt“ zurechtkomme, die Esra Sultan aber produziere 235 Megawatt. Wie es weiterging, beschreibt der Bericht so: „Da Zahrani für die Esra Sultan gesperrt war, blieb nur Zouq Mikhael, ein Hafen in der christlich dominierten Region im Norden, wo sie [am 7. August] ans Stromnetz angeschlossen wurde und der Region seither fast 24 Stunden am Tag Strom liefert.“

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