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Israels Vorgehen in Gaza: Was Verhältnismäßigkeit wirklich bedeutet 

Die Frage der Verhältnismäßigkeit im internationalen Kriegsrecht bemisst sich anders als meist behauptet wird
Die Frage der Verhältnismäßigkeit im internationalen Kriegsrecht bemisst sich anders als meist behauptet wird (Imago Images / Xinhua)

Im Völkerrecht bemisst sich die Verhältnismäßigkeit eines Angriffs nicht allein an der Zahl der zivilen Opfer, die er gefordert hat. 

Liron Libman 

Die Kämpfe in Gaza lassen viele Fragen Bezug auf das Völkerrecht aufkommen, wobei die Frage der Verhältnismäßigkeit eine der größten Herausforderungen ist, die sich diesbezüglich stellen. Viele Beobachter erkennen Israels Recht auf Selbstverteidigung an und gestehen zu, dass die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) nur militärische Ziele in Gaza angreift. Einige jedoch behaupten, die Angriffe seien unverhältnismäßig, wobei diese Meinungen – wie oft auch die vorgebrachten Gegenargumente – häufig von einem Missverständnis des Völkerrechts zeugen.

Reich der Ungewissheit

Die Verhältnismäßigkeit eines Angriffs wird nach den Gesetzen der Kriegsführung nicht durch den Vergleich der Zahl der zivilen Opfer auf den sich gegenüberstehenden Seiten gemessen. Die rechtliche Anforderung lautet vielmehr, dass ein militärisches Ziel nicht angegriffen werden darf, wenn der erwartbare Schaden für die Zivilbevölkerung im Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil des Angriffs übermäßig hoch ist.

Die Verhältnismäßigkeit des Angriffs wird also nicht an der Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung gemessen, sondern daran, was der befehlshabende Offizier zum Zeitpunkt der Planung und Durchführung des Angriffs wusste oder hätte wissen müssen.

Der Krieg ist ein »Reich der Ungewissheit«. So können sich an einem bestimmten Ort mehr Zivilisten aufhalten als erwartet, während in einem anderen Gebiet ein Angriff auf einen Tunnel einen unbekannten Raketenvorrat treffen kann, der dann explodiert und Kollateralschäden an Zivilisten verursacht.

Die IDF sind bestrebt, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung bei ihren Angriffen so gering wie möglich zu halten. Dies zeigt sich insbesondere in den Aufrufen an die Bewohner des nördlichen Gazastreifens, in den Süden zu gehen, um das Risiko, Opfer des Konflikts zu werden, zu verringern. Diese Aufforderungen enthalten genaue Anweisungen über den Zeitpunkt und die sicheren Evakuierungsrouten.

Ein externer Beobachter kann die Verhältnismäßigkeit des Angriffs nicht wirksam beurteilen, ohne genaue Informationen über den zu erwartenden militärischen Vorteil und den Planungsprozess eines solchen Angriffs zu haben. Es ist kein Zufall, dass es noch nie einen Fall gegeben hat, in dem ein Soldat von einem internationalen Strafgerichtshof wegen eines unverhältnismäßigen Angriffs verurteilt worden wäre.

Krieg und Rechtsstaatlichkeit

Dies ist jedoch keine Garantie dafür, dass in der vorherrschenden israelfeindlichen Stimmung nicht versucht werden wird, den jüdischen Staat zu benutzen, um einen weltweiten Präzedenzfall zu schaffen. Den internationalen Rechtsrahmen betreffend gibt es einige Kräfte, die Israels Bemühungen behindern, während andere sie unterstützen. 

Verschwommene Aufrufe von Ministern und Knessetmitgliedern, selbst wenn sie marginal und nicht besonders einflussreich sind wie der Aufruf zur »Eroberung« des Gazastreifens« kommen bei denen gut an, die versuchen, Israels Absichten als unverhältnismäßig darzustellen. Aufseiten Israels stehen hingegen die Militärstaatsanwälte und das Rechtsberatungssystem der Regierung.

Israel hat bereits vor Langem erkannt, dass die juristische Dimension für das Erreichen des militärischen Ziels und dessen Umsetzung in langfristige diplomatische Erfolge von entscheidender Bedeutung ist. Entgegen der irrigen Vorstellung, es handle sich dabei um so etwas wie ein Armdrücken der beteiligten Kräfte, bei dem der Stärkere gewinnt, wird dieser Prozess in einem ständigen Dialog zwischen den juristischen, militärischen und politischen Ebenen – vom Divisionskommandeur bis zum Sonderkriegskabinett – geführt, um den effektivsten Weg zu finden, die Kriegsziele innerhalb Israels selbst gesteckten Rahmen zu erreichen, ein gesetzestreuer Staat zu sein. 

Das Völkerrecht erlaubt den Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel und verbietet nur unnötige Brutalität. Wenn Israel dies betont, wird es auch diesen Feldzug gewinnen.

Liron A. Libman war Leiter der Abteilung für internationales Recht bei den IDF und ist heute Anwalt, Mediator und Dozent am Sapir College. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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