Das iranische Regime startet eine Propagandaoffensive an den Universitäten, die zu den Hochburgen der regimekritischen Opposition gehören.
Farzad Amini
Das iranische Regime unternimmt einen neuen Anlauf, um die Universitäten ideologisch auf Linie zu bringen: Verpflichtende »Kulturstunden« sollen laut einem Bericht der Iranian Students News Agency dazu dienen, vor allem die Studenten zu »gebildeten und kultivierten Menschen« zu machen.
Die Initiative der »Kulturstunden« ist eine kalkulierte Strategie des iranischen Regimes, um seine Vorherrschaft über die Bildungslandschaft zu behaupten und den Geist der jungen Generation in Übereinstimmung mit seinem ideologischen Rahmen zu formen. Diese Politik, die zu Beginn des akademischen Jahrs eingeführt wurde, ist ein bewusster Schritt zur Konsolidierung der Macht und zur Unterdrückung abweichender Meinungen auf den Universitäten.
Die Initiative zielt darauf ab, die Zeit und Aufmerksamkeit von Studenten, Professoren und Verwaltungsmitarbeitern zu vereinnahmen, indem sie ihre Teilnahme an vom Regime geförderten Aktivitäten während festgelegter »Kulturstunden« vorschreibt. Dadurch werden traditionelle akademische Aktivitäten an den Rand gedrängt und kritisches Denken und wissenschaftlicher Diskurs beiseitegeschoben. Dies unterstreicht die Entschlossenheit des Regimes, die ideologische Einstellung der zukünftigen Elite formen und die Treue zu seinen Prinzipien über die akademische Freiheit stellen zu wollen.
Vielschichte Indoktrination
Im Mittelpunkt der Agenda des Regimes während dieser »Kulturstunden« steht die Propagierung von Werten, die dem Obersten Führer Khamenei und seinem Kader von Loyalisten als unantastbar gelten. Durch sorgfältig inszenierte Zeremonien und Veranstaltungen versucht das Regime, ein Narrativ aufrechtzuerhalten, das sein revolutionäres Erbe verherrlicht und gleichzeitig abweichende Stimmen verunglimpft. Das Gedenken an die gefallenen Soldaten des iranisch-irakischen Kriegs ist ein typisches Beispiel dafür, auch wenn es wegen seines manipulativen Charakters umstritten ist. Derartige Rituale versinnbildlichen das unnachgiebige Bemühen des Regimes, sich mittels Geschichtsrevisionismus und dem Bejubeln des Märtyrertums Legitimität zu verschaffen.
Neben symbolischen Akten des Gedenkens setzt das Regime während der »Kulturstunden« auf einen vielschichtigen Ansatz zur ideologischen Indoktrination der Studenten. Vertreter des Regimes, vom Sicherheitspersonal der Universitäten bis hin zu studentischen Mobilisierungsgruppen, werden angeworben, um Reden zu halten und Veranstaltungen zu organisieren, die darauf abzielen, die Loyalität gegenüber der staatlich sanktionierten Ideologie zu stärken. Diese inszenierten Loyalitätsbekundungen dienen nicht nur dazu, abweichende Meinungen zu unterdrücken, sondern auch, eine Kultur der Konformität zu kultivieren, in der Abweichungen vom vorgeschriebenen Narrativ mit Misstrauen und Zensur begegnet wird.
Hochburgen der regimekritischen Opposition
Die Einführung der »Kulturstunden« durch das Regime ist eine Reaktion auf den unter Studenten traditionell verbreiteten regimekritischen Aktivismus und die weitreichende öffentliche Unzufriedenheit. Auch in der Protestbewegung unter dem Slogan »Frauen, Leben, Freiheit« – entstanden im Herbst 2022, nachdem die junge Kurdin Jina Mahsa Amini von der iranischen Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen die Hidschabpflicht verhaftet und später in Polizeigewahrsam verstorben war –, waren die Universitäten Brennpunkte oppositioneller Aktivitäten. Nach der brutalen Niederschlagung der Protestwelle versucht das Regime nun auch auf ideologischer Ebene, wieder die Oberhand zu gewinnen und der zunehmenden Desillusionierung der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.
Die Entschlossenheit des Regimes zur ideologischen Indoktrination der Studenten hat freilich einen hohen Preis. Indem es die Konformität über das kritische Denken stellt, droht es damit auch die intellektuelle Vitalität zu unterdrücken, die für den gesellschaftlichen Fortschritt entscheidend ist. Außerdem könnte die Einschränkung der akademischen Freiheit und der Gedankenvielfalt die Glaubwürdigkeit des Bildungssystems noch weiter untergraben und Studenten wie Lehrkräfte gleichermaßen verprellen.
Die »Kulturstunden« sollen die Überzeugungen von Studenten und Lehrkräften formen und eine unerschütterliche Loyalität zum Regime erreichen. Der damit einhergehende Zwang und die darin verbreitete Propaganda sind aber geeignet, zusätzlichen Dissens unter Studenten und Wissenschaftlern zu provozieren. Dabei geht es vordergründing um die akademische Freiheit an iranischen Universitäten, dahinter steht jedoch der sehr viel weitergehende Kampf um die Zukunft des Landes.