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Der 3. Oktober wird irgendwann irgendwo gefeiert. Vielleicht.

Deutschland nimmt Rücksicht auf einen nicht-existenten jüdischen Feiertag in Israel und feiert den „Tag der Einheit“ stattdessen, in einem Staat, den es nicht gibt.

Als deutscher Journalist will man natürlich den Tag der deutschen Einheit wie üblich am 3. Oktober begehen, zumal laut Kalender dieser Tag arbeitsfrei und ein Anlass zum Feiern ist. Also wendet man sich an die deutsche Botschaft in Tel Aviv und fragt, um wie viel Uhr die Party anfängt.

Doch im Nahen Osten ticken die Uhren immer anders als man denkt. Die Kalender im Computer oder ausgedruckt an der Wand sind zwar in Deutschland und in Nahost identisch. Aber in diesem Jahr hat die deutsche Botschaft noch keine Einladung zum Nationalfeiertag verschickt. Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin der deutschen Botschaft in Tel Aviv, der 3. Oktober in Israel falle in diesem Jahr vorläufig aus, wegen der „jüdischen Feiertage“. Es sei noch nicht beschlossen, auf welches jüdische Datum der 3. Oktober falle, und deshalb seien auch noch keine Einladungen verschickt worden.

Ein nicht-existenter jüdischer Feiertag

Wenn also die deutsche Botschaft wegen Rücksichten auf „jüdische Feiertage“ den 3. Oktober auf ein anderes Datum verlegt, müsste man nachhaken und fragen, um welche Feiertage es sich handelt. Um die vom Berliner Auswärtigen Amt nach Tel Aviv entsandten Diplomaten nicht zu verwirren, verbietet sich jedoch eine solche Nachfrage, zumal in der Botschaft wahrscheinlich keine hebräischen Kalender vorliegen.

Tatsache ist, dass in diesem Jahr der 3. Oktober frei ist von irgendwelchen jüdischen Feiertagen, die ansonsten wegen der unterschiedlichen Berechnungen im Vergleich zu dem in Deutschland üblichen gregorianischen Kalender immer wieder auf einen anderen Tag fallen können.

Der 3. Oktober 2019 nach der Geburt Jesu fällt im jüdischen Mondkalender auf den 4. des Monats Tischrei im Jahr 5780 nach der Schaffung der Welt. Tischrei ist ein Monat mit vielen gewichtigen Feiertagen. Das Neujahrfest ist schon vorbei. Ebenso der kaum bekannte „Zom Gedalja“, das Fasten für Gedalja zum Gedenken an die Ermordung des babylonischen Statthalters Gedalja, Sohn des Achikam, durch Ismael, dem Sohn des Netanjahu (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Premierminister in Israel).

Auf den 8. Oktober fällt in diesem Jahr der Beginn des Jom Kippur oder auf Deutsch auch Versöhnungstag genannten Fastentags, an dem keine Autos in Israel fahren. An diesem Tag wäre ein Empfang für die Wiedervereinigung Deutschlands nicht durchführbar. So bleibt offen, auf welchen nicht-existenten jüdischen Feiertag die deutsche Botschaft in Tel Aviv Rücksicht nimmt – und deshalb den 3. Oktober auf ein noch unbekanntes Datum verschoben hat.

Ein nicht-existenter Staat

Doch der Nahe Osten wäre seines Rufes nicht würdig, unbegreiflich und chaotisch zu sein, wenn es nicht eine perfekte Alternative gäbe. Im gleichen Landstrich gibt es nämlich noch eine zweite Auslandsvertretung Deutschlands. In Ramallah residiert der deutsche „Leiter des Vertretungsbüros“ für „Palästina“. Dieser diplomatische Büroleiter dient in der seit 1974 infolge der Osloer Verträge geschaffenen „palästinensischen Selbstverwaltung“, auch „Autonomiebehörde“ genannt.

Er ist zwar kein Botschafter, aber er feiert heute den Tag der Deutschen Einheit. Weil der Staat Palästina bis dato nicht ausgerufen worden ist und deshalb nicht existiert, hat jener Botschafter einen ähnlichen Status wie seinerzeit der „Ständige Vertreter“ in der von Bonn nicht anerkannten Hauptstadt der DDR: Ost-Berlin.

Auf eine Anfrage beim Auswärtigen Amt zu der schriftlichen Behauptung jenes Behördenleiters, in „Palästina“ zu dienen, kam die Antwort, dass „Palästina“ und „palästinensische Gebiete“ heutzutage „gängige Begriffe“ seien und keine Anerkennung des bis heute nicht entstandenen Staats Palästina bedeuteten. Diplomaten sind bekanntlich Meister in Formulierungskünsten. Also hat der Chef der diplomatischen Vertretung in jenem „gängigen Begriff“ Einladungen zum 3. Oktober ausgeschickt und zu einem Empfang in einem Hotel eingeladen.

Für Deutsche im Nahen Osten gab es also heute die einmalige Chance, im real existierenden jüdischen Staat Israel Rücksichten auf einen nicht-existenten jüdischen Feiertag zu nehmen – und stattdessen den deutschen Nationalfeiertag mit einem Botschafter, der keiner ist, in einem nicht existenten Staat gebührend zu begehen.

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