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War »Ötzi« Türke?

Ötzi: Ein Türkei aus der Jungsteinzeit?
Ötzi: Ein Türkei aus der Jungsteinzeit? (© Imago Images / Udo Gottschalk)

Nicht nur türkische Nationalisten, sondern auch österreichische Medien sehen abseits jeglicher Vernunft die Türken oder andere Nationalitäten in der Jungsteinzeit verankert.

Ein paar Überschriften aus österreichischen Medien: »Überraschung nach Gen-Untersuchung: Ötzi‹ war Türke« (OE 24), »Ötzis Ahnen weder Österreicher noch Italiener – sondern Türken« (Exxpress), »Gletschermumie ›Ötzi‹ war Türke« (Puls 24).

Das mag in diesen Zeiten, in denen das Thema Migration so viele so sehr bewegt, peppig klingen. Nur stellt sich schon die Frage, ob sich einer der Titelersteller auch nur einen Gedanken darüber gemacht hat, was für ein historischer Unfug da verzapft wurde. Als »Ötzi« durchs Eis lief, lebten die Vorfahren jener, die sich später Türken nennen sollten, viele tausend Kilometer weiter östlich in der Steppe, und ihre Nachfahren sollten auch erst über tausend Jahre später das Gebiet der heutigen Türkei betreten bzw. erobern.

Bis ins 19. Jahrhundert spielte die Kategorie Türke selbst im Osmanischen Reich kaum eine Rolle, und erst mit den europäischen Nationalbewegungen und dem Verfall dieses Reichs wurde sie quasi entdeckt.

Türkischer Nationalismus

Die moderne Türkei feiert dieses Jahr ihren hundertsten Geburtstag, die Idee vom Türkentum ist kaum älter. Zwar begab sich auch Kemal Atatürk in die trüben, damals aber äußerst beliebten Gewässer der Rassenforschung, nur ging es ihm als Modernisierer, der in den Osmanen wenig mehr als dekadente Orientalen sah, weit eher darum, nachzuweisen, dass die Türken eigentlich ein weißes und ureuropäisches Volk seien.

Nach Gründung der Republik wurden unzählige pseudowissenschaftliche Abhandlungen über Herkunft und Eigenschaften der Türken publiziert. Auf dem ersten türkischen Kongress für Geschichte in Istanbul 1932 erklärte der damalige Erziehungsminister, Esat Sagay, die Türken sogar zu einer Art zivilisatorischem Urvolk für Eurasien:

»Die Türken … begründeten die Essenz der chinesischen und indischen Zivilisationen in Asien, die hethitische Zivilisation in ihrem gesegneten Land Anatolien, die sumerische und elamitische Zivilisation in Mesopotamien und schließlich die ägyptische, mediterrane und römische Zivilisation. Sie haben Europa, dessen hohe Zivilisation wir heute schätzen und verfolgen, vor dem Höhlenleben in jenen Tagen bewahrt.«

Nach der Lesart der türkischen Nationalisten müsste das Genom beweisen, dass Ötzi eigentlich Europäer, weil aus der Türkei stammend, sei.

Klar ist bei all dem nur: Seit dem 19. Jahrhundert, als überall der Nationalismus aufkam, begann diese Art Ahnenforschung, die vor allem als Legitimation dafür dienen sollte, warum jemand ein historisch begründetes Anrecht auf ein bestimmtes Land habe. Als Nächstes folgte leider viel zu oft auch die Feststellung, wer deshalb keine Rechte habe und deshalb vertrieben gehöre.

Selbstredend ist es – egal, ob nun von österreichischer Zeitungen oder von türkischen Nationalisten – vollkommen aberwitzig, so zu tun, als habe es zu »Ötzis« Zeit schon Türken oder andere Nationalitäten gegeben.

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