„In Marokko ist die Demokratie auf dem Rückzug. Dennoch wird im In- und Ausland immer wieder versichert, dass der Staat ungeachtet der Abberufung des ehemaligen Premierministers Abdelilah Benkirane im März 2017 weiter auf Reformkurs bleibt. Dies tut er aber lediglich nach eigenen Gutdünken und Maßstäben und hält dabei an seinem Credo von einer neuen Verfassung sowie vorgezogenen und neutralen Wahlen fest. Wer es aber hierbei belässt, hat offensichtlich nichts aus der modernen politischen Geschichte Marokkos gelernt. Fakt ist, dass jegliche Reformen in Marokko ausschließlich dem Regime dienen. Durch kosmetische Reformen versuchen die Machthaber bereits seit Jahren, ihre autoritäre Macht und dominante Position im Inneren zu stärken, während die aufgeschönte Fassade für ein gutes Image auf der internationalen Bühne sorgen soll. So lassen die Entwicklungen des letzten Vierteljahrhunderts seit Verkündung der Neuordnung des Staates 1992 Zweifel an dem guten Willen des Regimes aufkommen, das immer wieder versucht hat, in der Grauzone zwischen Offenheit und Abschottung zu verharren.
Sogar die neue Verfassung, die für viele Beobachter einen praktischen Schritt in Richtung Demokratisierung darstellte, entpuppte sich sogleich als Manipulationsinstrument. Denn der ‚Buchstabe des Gesetzes‘, über den die Marokkaner abgestimmt haben, wich von seinem ursprünglichen Geist ab, den die autoritären Kräfte zur Legitimierung ihrer eigenen Macht festlegen. So wurden die Wahlergebnisse durch Wahlkreisschiebung manipuliert und Lücken in die Verfassung absichtlich eingebaut. Die Schlupflöcher im wichtigsten Gesetz des Landes bilden eine Art Notbremse, mit der die Machtelite die politische Szene im Lande kontrollieren kann, um die bereits vorab entworfenen Pläne des ‚tiefen Staates‘ durchzuführen. Die konsequente Rücknahme der Reformpolitik des neuen Ministerpräsidenten Saadeddine Othmani bekräftigt nur diese Beobachtungen. Der Regierungschef brach deutlich mit den Idealen des marokkanischen Frühlings, vertreten vor allem durch die reformorientierte ‚Bewegung 20. Februar‘, und der neuen politischen Kultur unter seinem Vorgänger Benkirane. Die ersten Monate seiner Amtszeit zeichnete eine Rückkehr ins autoritäre Zeitalter aus – als ob er das Land in den Zustand vor den Protesten 2011 zurückversetzen wollte.“ (Mohamed Taifouri: „Das Ende des demokratischen Experiments“)