Sehr geehrter Herr Fiedler,
im heutigen Ö1-Mittagsjournal-Bericht über die Wahlen im Iran wurde Ebrahim Raisi als Kandidat des Establishments der Islamischen Republik vorgestellt und von Ihnen dann folgendermaßen charakterisiert: „Ebrahim Raisi: Mitte fünfzig, ehemaliger Khamenei-Schüler, gefürchteter Ex-Staatsanwalt und seit einiger Zeit Verwalter einer religiösen Stiftung, die eines der größten Wirtschaftsimperien im Iran darstellt.“
Kein Wort jedoch verloren Sie darüber, dass der als „moderat“ charakterisierte amtierende Präsident Hassan Rohani exakt demselben Establishment entstammt wie sein Gegenspieler.
Während Raisi aufgrund seines Alters zu jung ist, um eine führende Rolle in der Islamischen Revolution von 1979 gespielt zu haben, befand Rohani sich damals bereits im innersten Zirkel der späteren Machthaber. So war er ein enger Mitstreiter von Ayatollah Khomeini, den er sogar ins Exil nach Frankreich begleitete. Nach der Islamischen Revolution stieg Rohani rasch im Machtapparat auf und gehörte dem Obersten Verteidigungsrat der Islamischen Republik an.
Während Raisi Ende der 1980er Jahre als Vize-Staatsanwalt von Teheran für die Hinrichtung von Tausenden Oppositionellen zuständig war, wurde Rohani 1989 als Sekretär in den Nationalen Sicherheitsrat berufen – bekleidete also einen weitaus höheren Posten als Raisi. In dieser Funktion war Rohani auch Mitglied jenes Sonderausschusses, der den Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires beschloss, bei dem 1994 85 Menschen ermordet wurden. In Rohanis Amtszeit als Präsident schließlich stieg die Hinrichtungsrate im Iran auf das Niveau des Jahres 1989.
Rohani und Raisi mögen in gewissen Bereichen unterschiedliche Methoden für notwendig erachten, um die Ziele der Islamischen Republik Iran voranzubringen. Dass beide aber fest auf dem Boden des Regimes stehen, daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen: Allein schon deswegen, weil die Wahlen im Iran eine Farce sind und der Wächterrat im Vorfeld jeden Kandidaten aussortiert, der auch nur den geringsten Verdacht erweckt, dem islamischen Establishment nicht in absoluter Ergebenheit anzugehören.
Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Alexander Gruber
Mena-Watch – Der unabhängige Nahost-Thinktank