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Boykottaufruf gegen Israel – Von der seltsamen Unkenntnis einer deutschen Bildungsgewerkschaft

Von Alex Feuerherdt

In einer niedersächsischen Universitätsstadt hat die örtliche Bildungsgewerkschaft den antiisraelischen Boykottaufruf eines Lehrers in ihrer Mitgliederzeitschrift veröffentlicht. Der Pädagoge ist als BDS-Aktivist bekannt. Nach Protesten und einigem Hin und Her folgte schließlich eine Distanzierung des Kreisverbandes.

In aller Regel dürfte die Mitgliederzeitschrift PaedOL, die der Oldenburger Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) herausgibt, kaum überregionales Interesse hervorrufen. Bei der 99. Ausgabe dieser Publikation, die Ende August erschien, ist das jedoch anders. Der Grund dafür ist ein Beitrag mit dem Titel „Palästina/Israel: Unrecht dokumentieren und Gerechtigkeit einfordern – in Oldenburg nicht möglich?“, verfasst von GEW-Mitglied Christoph Glanz. Darin bezichtigt der Autor – ein Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Flötenteich in Oldenburg, der auch unter dem Pseudonym „Christopher Ben Kushka“ auftritt – den Staat Israel unter anderem „ethnischer Säuberungen“ sowie anderer schwerer Menschenrechtsverletzungen zum Nachteil der Palästinenser und behauptet, schon palästinensische Kinder seien „Isolierhaft, brutalen Verhören und Schlägen“ durch die israelische Armee ausgesetzt. Als Gegenmacht empfiehlt er die sogenannte BDS-Kampagne, die einen Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen gegenüber dem jüdischen Staat fordert. Auch in Oldenburg, so Glanz, gebe es eine solche Initiative, die jedoch bedauerlicherweise von pro-israelischen Kräften immer wieder in ihren Aktivitäten behindert werde. Am Ende des Textes wird eine E-Mail-Adresse genannt, über die Kontakt zur Oldenburger BDS-Gruppe aufgenommen werden kann.

Dass ein solcher Artikel in einer Gewerkschaftszeitung erscheinen kann, erstaunt zunächst einmal. Gerade in der jüngeren Vergangenheit ist im deutschsprachigen Raum eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht worden, die deutlich machen, dass der vermeintliche Einsatz der BDS-Bewegung für Frieden und Menschenrechte bloß eine Camouflage ist und das eigentliche Anliegen der Aktivisten darin besteht, den jüdischen Staat zu dämonisieren und zu delegitimieren – mit dem perspektivischen Ziel, ihn zum Verschwinden zu bringen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte Anna Prizkau die Boykottaufrufe der BDS-Initiativen kürzlich eine „Einladung zum Hass“, im Berliner Tagesspiegel bezeichnete Johannes C. Bockenheimer die Aktivisten als „freundliche Israel-Hasser von nebenan“, die für den Untergang Israels würben. Selbst ein glühender „Antizionist“ wie Norman Finkelstein ist längst mit scharfen Worten auf Distanz zur BDS-Bewegung gegangen. Bereits im Februar 2012 sagte der amerikanische Politikwissenschaftler in einem Interview: „Die BDS-Aktivisten sprechen von einem dreistufigen Plan: Wir wollen ein Ende der Besatzung, das Recht auf Rückkehr und die gleichen Rechte für Araber in Israel. Sie glauben, besonders schlau zu sein. Aber Sie und ich wissen, was das Ergebnis davon sein wird: Es wird kein Israel mehr geben.“

Oldenburger GEW-Spitze von Protesten kalt erwischt

Gegen den Abdruck von Glanz‘ Beitrag in PaedOL erhob sich dann auch Protest. Klaus Thörner beispielsweise, der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Oldenburg, schrieb in einem offenen Brief an die GEW: „Nachdem die Universität Oldenburg und die Stadt Oldenburg ihm“ – gemeint ist Christoph Glanz – „im Frühjahr dieses Jahres untersagten, Werbeveranstaltungen für die BDS-Kampagne in ihren Räumen durchzuführen, bieten die GEW und die PaedOL nun ein Forum für seine Propaganda.“ Der stellvertretende Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles, Rabbi Abraham Cooper, nannte BDS eine „antisemitische Plattform“. In der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post zitierte der Europa-Korrespondent der Zeitung, Benjamin Weinthal, zudem aus diversen Protestschreiben, die GEW-Mitglieder an den Vorsitzenden des Oldenburger Kreisverbands, Heinz Bührmann, geschickt hatten. Die BDS-Kampagne, so hieß es darin, sei antisemitisch und versuche, die akademischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Israel zu zerstören.

Von den Protesten wurde Bührmann offenkundig kalt erwischt. In einer ersten Stellungnahme zog er sich auf Floskeln wie „Vielfalt“ und „Pluralität im Diskurs“ zurück und begab sich auf vermeintlich sichere Äquidistanz. „Israel ist nicht unumstritten in der Innen- und Außenpolitik“, schrieb er, „Israel zu kritisieren, heißt nicht automatisch, Juden zu kritisieren (nicht deckungsgleich, aber gern verwechselt oder als Synonym verwendet), die unterdrückten Minderheiten in von Israel beanspruchten Territorien leiden, sind aber auch nicht nur hilflose Opfer, sondern auch unberechenbare Gegner und Agierende im Konflikt“. Dass Bührmann auf die israelfeindliche Propaganda von Glanz derart ausweichend und verharmlosend reagierte – und kein Wort zu den Boykottforderungen verlor –, nahmen ihm nicht wenige krumm, und so gingen die Proteste weiter. Das zeigte augenscheinlich Wirkung, denn am vergangenen Montag folgte ein zweites Statement, das sich deutlich anders las als das erste. Nun hieß es, die GEW Oldenburg lehne „einen Boykott Israels und antisemitische Positionen ab“. Mit der Veröffentlichung des Artikels von Glanz habe man „einen großen Fehler gemacht“, die BDS-Kampagne sei „uns schlichtweg nicht als problematisch geläufig“ gewesen. Das sei „unserer Unkenntnis geschuldet“. Auch die Veröffentlichung der Kontaktadresse der Oldenburger BDS-Initiative hätte „nicht passieren dürfen“. Man bitte deshalb um Entschuldigung.

Glanz: Machtkampf verloren

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mit war die Angelegenheit allerdings noch nicht beendet. Denn am Mittwochabend ließ sich die Distanzierung der GEW Oldenburg von Christoph Glanz und seinen Positionen plötzlich nicht mehr auf der Website der Gewerkschaft finden. Stattdessen gab es dort eine „Erklärung“, in der es lediglich kurz und knapp hieß: „Die GEW verwahrt sich gegen Behauptungen, sie habe in ihrer Mitgliederzeitschrift PÄD-OL einen antiisraelischen und israelfeindlich geprägten Artikel veröffentlicht!“ Eine Distanzierung von der Distanzierung also. Folgt man der Nordwest-Zeitung, dann hatte zuvor ein Gespräch zwischen Glanz und dem GEW-Vorstand stattgefunden, in dem nach Glanz‘ Darstellung ein „Missverständnis“ ausgeräumt wurde, woraufhin die Gewerkschaft ihre zweite Stellungnahme zurückgezogen und von der Website genommen habe. Die kurze „Erklärung“ verschwand allerdings ebenfalls rasch wieder, am Donnerstag ließ sich tagsüber sogar die gesamte Website nicht mehr aufrufen. Im Laufe des Abends erschien dann wieder die Distanzierung von Glanz – „nach juristischer Prüfung“, wie die GEW via Twitter mitteilte. Das scheint vonseiten der Gewerkschaft das vorerst letzte Wort in dieser Angelegenheit zu sein.

Wenn der Eindruck nicht täuscht, hat der Gesamtschullehrer damit einen Machtkampf verloren. Christoph Glanz hat die Strukturen des rund 1.200 Mitglieder zählenden Oldenburger Kreisverbandes der GEW genutzt, um seine antiisraelische Propaganda unter die Gewerkschaftsmitglieder zu bringen. Er wusste dabei, was er tun muss, um keinen Argwohn zu erregen: ein bisschen Pathos und Tränendrüse hier, ein paar Schlüsselbegriffe wie „Menschenrechte“ und „Zivilgesellschaft“ dort, dazwischen den Boykottaufruf eingestreut und die Freunde Israels als gefährlich dargestellt. Das alles in einem Milieu, in dem die „Israelkritik“ ohnehin zum guten, also schlechten Ton gehört. Die Arg- und Ahnungslosigkeit von Gewerkschaftsfunktionären in der – in diesem Fall niedersächsischen – Provinz kam ebenfalls erleichternd hinzu. Erst die Proteste und die Berichterstattung der Jerusalem Post haben die Oldenburger GEW-Spitze wachgerüttelt und bei ihr so etwas wie ein Problembewusstsein entstehen lassen.

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Twitter-Account von Christoph Glanz

Dabei hätte sie schon vorher wissen können, was nicht zu übersehen ist: Christoph Glanz ist ein radikaler Anti-Israel-Aktivist, der Boykottaufrufe gegen den jüdischen Staat nicht erst seit ein paar Tagen verbreitet. Bereits im Herbst 2015 beispielsweise warb er in München in einem Vortrag für die BDS-Bewegung. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte die Boykottkampagne schon damals als antisemitisch bezeichnet und gesagt, das „sozial nicht adäquate ,Kauft nicht bei Juden!’“ kehre hier „als modernisierte Form des Nazijargons in der Forderung ,Kauft nicht vom jüdischen Staat!“ wieder. Auf Twitter hat sich Glanz den bezeichnenden Namen „@intifadaofpeace“ gegeben – eine keineswegs ironische Bezugnahme auf jene jahrelange Anschlagsserie der Palästinenser zu Beginn des Jahrtausends, bei der der antisemitische Terror gegen den jüdischen Staat mit unzähligen Selbstmordattentaten auf eine neue Stufe gehoben wurde. Inzwischen ist auch die niedersächsische Landesschulbehörde hellhörig geworden. Ihre Sprecherin sagte der Jerusalem Post, man nehme die Vorwürfe gegen den Gesamtschullehrer Glanz sehr ernst und werde sie prüfen. Man darf nun gespannt sein, ob dem antiisraelischen Propagandisten auch künftig Kinder und Jugendliche zwecks Bildung anvertraut werden.

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