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Auflösung iranischer Sittenpolizei ist bloßes Ablenkungsmanöver

Mitglieder der iranischen Sittenpolizei
Mitglieder der iranischen Sittenpolizei (Quelle: Fars Media Corporation / CC BY 4.0)

Angesichts der anhaltenden Proteste gibt es Gerüchte, dass die Sittenpolizei abgeschafft werden soll. Selbst wenn das stimmen würde, würde es nichts an den grundlegenden Problemen ändern.

Einen Tag nachdem ein hoher Beamter angedeutet hatte, die Sittenpolizei des Landes, deren Verhalten dazu beigetragen hatte, die Proteste gegen das Regime der Islamischen Republik auszulösen, könnte aufgelöst werden, sagte ein iranischer Abgeordneter am Sonntag, die Regierung »schenkt den wirklichen Forderungen des Volkes Aufmerksamkeit«.

Die Rolle der Sittenpolizei, die für die Durchsetzung der Kleidungsvorschriften zuständig ist, war in Kritik geraten, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini Mitte September in ihrem Gewahrsam gestorben war. Zuvor war Amini festgenommen worden, weil sie gegen die strengen Bekleidungsgesetze der Islamischen Republik verstoßen hatte. Ihr Tod löste eine Welle von Unruhen aus, die sich zu Forderungen nach dem Sturz der klerikalen Machthaber ausweiteten.

Laut einem Bericht der halbstaatlichen Nachrichtenagentur ISNA gab Chefankläger Mohamed Jafar Montazeri am Samstag bekannt, die Einrichtung der Sittenpolizei sei »geschlossen« worden. Weitere Einzelheiten nannte die Agentur nicht, und die staatlichen Medien brachten keinerlei Berichte über eine solche Entscheidung. Auch die Associated Press konnte den aktuellen Status der 2005 gegründeten Truppe nicht bestätigen, deren Aufgabe es ist, Personen zu verhaften, die gegen die islamische Kleiderordnung des Landes verstoßen. Zudem weisen Journalisten darauf hin, dass es mittlerweile ein Dementi des Regimes gegeben habe.

Versöhnlichere Töne

Laut dem ISNA-Bericht habe Montazeri erklärt, die Regierung überprüfe das Gesetz zur Hidschab-Pflicht. »Wir arbeiten mit Hochdruck an der Frage des Hidschabs und tun unser Bestes, um eine durchdachte Lösung für dieses Phänomen zu finden, das uns allen weh tut«, sagte der Generalstaatsanwalt, ohne Einzelheiten zu nennen. In Bezug auf die Sittenpolizei wurde er mit den Worten zitiert, diese habe »nichts mit der Judikative zu tun und wurde von denen, die sie geschaffen haben, abgeschafft«. 

In den letzten Tagen schienen die staatlichen Medienplattformen einen versöhnlicheren Ton anzuschlagen und den Wunsch zu äußern, sich mit den Problemen des Volkes auseinanderzusetzen. Präsident Raisi meinte am Samstag im Fernsehen, die iranische Verfassung habe zwar »starke und unveränderliche Werte und Prinzipien«, doch es gebe »Methoden zur Umsetzung«, die »flexibel« sein könnten. Im Juli hatte Raisi noch anders geklungen, als er auf eine strenge Durchsetzung der Kopftuchpflicht »durch alle staatlichen Institutionen« drang. 

Außenminister Hossein Amir-Abdollahian gab auf von Journalisten gestellte Nachfragen nach Montazeris Aussage keine direkte Antwort. »Seien Sie sicher, dass im Iran im Rahmen der Demokratie und der Freiheit, die es bei uns ganz klar gibt, alles sehr gut läuft«, sagte er bei einem Besuch in der serbischen Hauptstadt Belgrad.

Ablenkungsmanöver

In einem von der ISNA am Sonntag verbreiteten Bericht signalisierte auch der eingangs zitierte Abgeordnete Nezamoddin Mousavi eine weniger konfrontative Haltung gegenüber den Protesten als bisher. »Sowohl die Regierung als auch das Parlament bestehen darauf, dass die Berücksichtigung der hauptsächlich wirtschaftlichen Forderungen der Bevölkerung der beste Weg ist, um Stabilität zu erreichen und die Unruhen zu bekämpfen«, meinte er nach einem zu den Protesten einberufenen Krisengipfel mit mehreren hochrangigen Funktionären, darunter Präsident Ebrahim Raisi. 

Auf die angebliche Auflösung der Sittenpolizei ging Mousavi allerdings nicht ein. Seit September ist die Zahl der Sittenpolizisten in den Städten zurückgegangen, und die Zahl der Frauen, die in Bruch des iranischen Gesetzes ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit gehen, hat zugenommen. Chefankläger Montazeri machte keine weiteren Angaben zur Zukunft der Sittenpolizei oder dazu, ob ihre angebliche Auflösung von landesweitem und dauerhaftem Charakter sei. Allerdings fügte er hinzu, die Justiz werde »weiterhin das Verhalten auf Gemeindeebene überwachen«.

Experten zufolge befürchte das Regime zusehendes, vor seinem Zusammenbruch zu stehen und versuche, sich mit Ablenkungsmanövern zu retten. Insofern dürfte die Ankündigung vom Samstag ein Versuch sein, die Öffentlichkeit zu beschwichtigen und einen Weg zur Beendigung der Proteste zu finden, bei denen nach Angaben von Menschenrechtsgruppen bislang mindestens 470 Menschen getötet wurden. Nach Angaben von Human Rights in Iran, einer Gruppe von Aktivisten, welche die Proteste beobachtet, wurden bei den Protesten und der anschließenden gewaltsamen Niederschlagung durch die Sicherheitskräfte mehr als 18.000 Menschen festgenommen.

Ali Alfoneh, leitender Mitarbeiter des Arab Gulf States Institute in Washington, sagte, Montazeris Erklärung über die angebliche Auflösung der Sittenpolizei könnte ein Versuch sein, die Unruhen im Land zu beruhigen, ohne den Demonstranten echte Zugeständnisse zu machen. Die säkulare Mittelschicht verabscheue die Sittenpolizei, weil sie die persönlichen Freiheiten einschränkt, sagte Alfoneh. Zugleich ärgerten sich »unterprivilegierte und sozial konservative Schichten darüber, dass sie in den wohlhabenderen Gegenden der iranischen Städte bequemerweise von der Durchsetzung der Hidschab-Vorschriften absieht«.

Die Journalistin und Iran-Expertin Gilda Sahebi sagte in einem Gespräch mit dem deutschen Fernsehsender WDR, »unabhängig, ob diese Sittenpolizei als Institution besteht oder nicht«, mache dies »für die Menschen auf der Straße, für die Frauen, die misshandelt werden, überhaupt keinen Unterschied«.

Am Sonntagnachmittag wurde schließlich bekannt, dass das Regime einen Untersuchungsausschuss zu den Protesten einsetzen will, an dem allerdings weder Demonstranten noch Oppositionelle teilnehmen würden, wie Innenminister Ahmad Wahidi laut der Nachrichtenagentur Ilna erklärte: Bei diesen habe man es »mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht mit Demonstranten zu tun«, begründete Wahidi den Ausschluss. Dem Innenminister zufolge gehe es in dem Ausschuss darum, »die Wurzeln der Proteste zu erkunden, und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen teilnehmen«.

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