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Libyen zwischen Milizen und politischem Patt

Zusammenstöße in Libyens Hauptstadt Tripolis: Truppen der Regierung der Nationalen Einheit
Zusammenstöße in Libyens Hauptstadt Tripolis: Truppen der Regierung der Nationalen Einheit (© Imago Images / Xinhua)

Seit dem Sturz des Regimes von Muammar Gaddafi im Jahr 2011 galt für den politischen Übergang in Libyen die Grundregel: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück.

In den vergangenen Monaten ist es einem gemeinsamen politischen Ausschuss verschiedener Parteien gelungen, verbindliche Gesetze für die geplanten Wahlen in Libyen auszuarbeiten. Den Proponenten der Gesetzesentwürfe gelang es jedoch noch nicht, die formell notwendigen Unterschriften des Präsidenten des Repräsentantenhauses (Parlament), Aqila Saleh, und des Vorsitzenden des Hohen Staatsrats (eines Beratungsgremiums) zu erlangen, was auf die Unzufriedenheit der beiden Parteien mit den neuen Gesetzen hindeutet.

Darüber hinaus wählte der Oberste Staatsrat einen neuen Präsidenten, Mohamed Takala, zum Nachfolger des bisherigen Amtsinhabers Khaled al-Mishri, der sich vor dem Ende seiner Amtszeit flexibel zeigte, eine politische Lösung für die Krise des Landes zu finden.

Vor einigen Tagen kam es dann in Tripolis zu Zusammenstößen zwischen bewaffneten Milizen, die der von Abdul Hamid al-Dabaiba geführten Regierung der Nationalen Einheit nahestehen, und dem Präsidialrat, welche die zunehmende Konkurrenz zwischen den bewaffneten Milizen, das Fehlen einer einheitlichen Führung und die flächendeckende Verbreitung von Waffen verdeutlichen, und das Land an den Rand eines neuen bewaffneten Konflikts brachten.

Die Zusammenstöße ereigneten sich zwischen der der Regierung der Nationalen Einheit ergebenen 444. Brigade und der Spezialtruppe zur Abschreckung, die wiederum dem Präsidialrat nahesteht. Diese beiden militärischen Kräfte sind die einflussreichsten in Tripolis.

Die Kämpfe begannen am späten Montagabend, nachdem die Spezialeinheit den Kommandeur der 444. Brigade, Mahmoud Hamza, festgenommen hatte, und forderten 55 Tote und über 140 Verletzte, bevor der Chef der Regierung der Nationalen Einheit eingreifen und die Krise zwischen den Milizen für den Moment beenden konnte.

In einem Forschungspapier des ägyptischen Zentrums für Denk- und Strategiestudien heißt es, die Zusammenstöße hätten gezeigt, dass die Regierung der Nationalen Einheit Schwierigkeiten hat, die bewaffneten Milizen im Westen des Landes unter Kontrolle zu bringen, was Zweifel an der Fähigkeit von Regierungschef al-Dabaiba verstärke, in der Region dauerhafte Stabilität zu schaffen. Auch das Szenario eines langwierigen militärischen Konflikts zwischen den Milizen, die um Einfluss und Interessen streiten, stehe wieder im Raum.

Oberster Staatsrat

Zwei Wochen vor den Zusammenstößen war es in Tripolis zu einem plötzlichen Wechsel im Vorsitz des Obersten Staatsrats gekommen, nachdem der bisherige Vorsitzende Khaled al-Mishri die Wahlen gegen Mohamed Takala verloren hatte. Berichten zufolge steht der neue Präsident, Takala, Regierungschef al-Dabaiba nahe und gilt im Vergleich zu al-Mashri als Hardliner. So lehnt er die Ergebnisse des Konsensausschusses ab, der in den letzten Monaten die Wahlgesetze ausgearbeitet hat.

Das Mitglied des libyschen Repräsentantenhauses Hassan al-Zarqa schließt jedoch aus, dass Takala alle vom Obersten Staatsrat unter dem Vorsitz von Khaled al-Mashri verabschiedeten Beschlüsse zurückzieht. »Die Verabschiedung des Fahrplans für die Umsetzung der Wahlgesetze durch den Obersten Staatsrat fand in einer Plenarsitzung statt, über die die Mitglieder abgestimmt haben, und nicht auf der Grundlage einer Entscheidung von al-Mashri, die durch seinen Rücktritt außer Kraft gesetzt werden könnte.«

Der libysche Politologe Mohamed Mahfouz erwartet hingegen, dass sich Takala der Fraktion anschließen wird, die den Fahrplan und die vom Konsensausschuss verabschiedeten Wahlgesetze ablehnt und bei den Wahlen zum Vorsitz des Obersten Rates für ihn gestimmt hat. Mahfouz glaubt, dass Takala deswegen »nicht in der Lage sein wird, sich dieser Fraktion zu widersetzen, da er einen Zusammenstoß mit ihr vermeiden will«. Das Ergebnis werde die Ablehnung der Wahlgesetze und des Fahrplans durch den Rat sein, was den politischen Übergang in Libyen zurück an den Ausgangspunkt bringen würde.

Nach Ansicht des Ägyptischen Zentrums für Denk- und Strategiestudien deuten die allgemeinen politischen Entwicklungen und die militärischen Auseinandersetzungen in Libyen ebenfalls darauf hin, dass die Chancen auf einen Abschluss des politischen Prozesses und die Abhaltung von Wahlen in Libyen in absehbarer Zeit sinken werden. Dabei führt das Zentrum das von ihm erwartete Scheitern auf die politischen Differenzen und das mangelnde Vertrauen zwischen den beteiligten politischen Gremien und Institutionen, auf den wachsenden Einfluss der Milizen und auf die Verbreitung von Waffen außerhalb der staatlichen Institutionen zurück.

In Libyen konkurrieren zwei Regierungen um die Macht: Die eine kontrolliert den Westen des Landes, hat ihren Sitz in Tripolis und wird von Abd al-Hamid al-Dabiba geführt. Die andere kontrolliert den Osten und wird von Osama Hammad angeführt, der vom Repräsentantenhaus beauftragt wurde und vom Warlord Khalifa Haftar unterstützt wird.

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