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ALLE FÜR AL-SISI?

Sehr geehrte Presse-Redaktion,

von einem „Blutbad in Ägypten” sprach die Kronen Zeitung; von einem „Massaker an Mursi-Anhängern” und von einem „Massenmord”, begangen von Sicherheitskräften, die „von Beginn weg mit äußerster Brutalität und gezielten Schüssen” gegen die Muslimbrüder vorgegangen seien, war im Kurier zu lesen; von einem „Massaker von Polizei und Armee”, das „in der Zeitgeschichte Ägyptens, aber auch in der Geschichte der zivilen Welt zu den schrecklichsten Gewaltexzessen einer politischen Führung gegen das eigene Volk” gehöre, war in der Kleinen Zeitungdie Rede. Trotzdem beklagt sich Ingrid Thurner in ihrem gestrigenPresse-Gastkommentar wider alle Evidenz, die Medien würden es an deutlichen Worten über die Vorgänge in Ägypten fehlen lassen, und versteigt sich zu der absurden Behauptung, die Medienberichterstattung sei „tendenziös – überwiegend Anti-Mursi und Pro-Sisi.” Dass im Kurier angesichts der „Pyramide der Schande” gefordert wurde, die EU solle die Beziehungen zu Ägypten aufs Eis legen, und die Kleine Zeitung empört fragte, weshalb es nicht eine „weltweite Initiative gegen die Putsch-Generäle” gebe, ist der „teilnehmenden Medienbeobachterin” offenbar völlig entgangen.

Auch Thurners Behauptung, in Brüssel und Washington rührten sich nur „leise” Proteste gegen „das gezielte Morden in Kairo”, entbehrt jeder Grundlage. „Bloß um den Schein zu wahren, werden sie zweitweise ein wenig schärfer”, fantasiert sie vor sich hin, während die EU gerade über einen Stopp der Hilfszahlungen an die Übergangsregierung diskutiert, das Vorgehen des Militärs scharf kritisiert und eine Einbindung der Muslimbrüder in den politischen Prozess fordert. Auch in den USA treten immer mehr gewichtige Stimmen für ein Ende der Unterstützungsleistungen für Ägypten ein. Thurner nimmt all das nicht zur Kenntnis, ist sie doch, was die internationalen Auswirkungen der Krise in Ägypten betrifft, mit ganz anderen Fragen beschäftigt: „Wie entwickelt sich die Lage in Palästina – jetzt, da die Hamas in Gaza mit Mursis Sturz ihren wichtigsten internationalen Unterstützer verloren hat?” Dass die islamistische Diktatur der Hamas in Folge des Machtverlusts ihrer ägyptischen Bruderorganisation ins Wanken geraten könnte, scheint Thurner große Sorgen zu bereiten. Wie auch die Macht anderer islamistischer Parteien: „Wie entwickelt sich die Lage in Tunesien und in der Türkei?” Was Tunesien betrifft, lässt sich eine vorläufige Antwort bereits geben: Die Islamisten der regierenden Ennahda-Partei, die in den vergangenen Wochen so wenig zu Kompromissen bereit waren, wie die Muslimbrüder Mursis, zeigen sich jetzt, offenbar unter dem Eindruck der Vorgänge in Ägypten, plötzlich zu Gesprächen mit der Opposition bereit. Was eigentlich von jedem begrüßt werden müsste, der Tunesien nicht in einen ähnlichen Abgrund stürzen sehen will wie Ägypten, scheint bei Thurner großes Kopfzerbrechen hervorzurufen.

„In Ägypten wollen die Gerüchte, dass der Militärputsch von langer Hand geplant und mit kräftiger saudiarabischer Finanzhilfe durchgeführt wurde, nicht verstummen.” Nun ist Ägypten ein Land, in dem auch noch die absurdesten Verschwörungstheorien von vielen Menschen für bare Münze genommen werden – noch vor wenigen Jahren war der Gouverneur des Süd-Sinai beispielsweise davon überzeugt, dass Israel hinter eine Serie von Haiattacken auf Touristen in Sharm el-Sheikh stecke. „Man darf annehmen, dass Ägyptens Führung mit Wissen und Bildung der USA und Israels zuschlug, Saudiarabiens sowieso.” Thurner verwies also nur auf die in Ägypten die Runde machenden „Gerüchte”, weil sie selbst sie für erwiesen hält.

Während in der Parallelwelt Thurners also alle General al-Sisi unterstützen, hat die Muslimbruderschaft mit einem schrecklichen Schicksal fertigzuwerden: Seit dem Sturz Mursis „muss sie zusehen, wie ihre Anhänger – Männer, Frauen, Kinder – abgeschlachtet werden.” Was so viele Menschen, darunter Frauen und Kinder, überhaupt in den zu kleinen Festungen ausgebauten Protestlagern der Muslimbrüder zu suchen hatten, deren Räumung bereits Tage zuvor angekündigt worden war, scheint Thurner nicht zu kümmern. Ob die stets von den Einpeitschern aus den Reihen der Islamisten vorgegebene Parole „Märtyrertod oder Sieg” etwas damit zu tun haben könnte? Bezeichnend auch, dass die von den Islamisten sowohl gegen Sicherheitskräfte, als auch gegen Christen und deren Einrichtungen im Land ausgeübte Gewalt Thurner nicht ein Wort der Erwähnung wert ist.

„Man mag gar nicht daran denken, was die Muslimbrüder in aller Welt und ihre Gefolgschaft in Hinkunft von westlichen Werten, von Demokratie und Menschenrechten halten werden.” Nur dem Umstand, dass Thurner offenbar schon in der Vergangenheit nicht danach fragen wollte, was die Extremisten der Muslimbruderschaft von den verhassten Werten des Westens halten, ist zuzuschreiben, dass sie die Muslimbrüder allen Ernstes als „die einzig relevante politische Kraft” bezeichnet, „die in Kairo noch für Demokratie kämpft und stirbt.” Man „fürchtet” sich in „aufgeklärten westlichen Ländern” nicht „(v)or Gläubigen und Theologen”, wie Thurner behauptet, aber im Gegensatz zu ihr sind viele nicht bereit, sich zu Fürsprechern von Fanatikern wie den Muslimbrüdern zu machen, deren Motto nicht etwa „Freiheit und Demokratie” lautet, sondern seit 85 Jahren: „Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Dschihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch.”

Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Florian Markl
Medienbeobachtungsstelle Naher Osten (MENA)

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