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Kim Jong-uns Russlandbesuch und eine Eisenbahnlinie durch den Nahen Osten

Kim Jong-un und Russlands Präsidenten Putin bei ihrem Treffen am 13. September. (imago images/UPI Photo)
Kim Jong-un und Russlands Präsidenten Putin bei ihrem Treffen am 13. September. (imago images/UPI Photo)

Das Treffen des nordkoreanischen Diktators mit Wladimir Putin in Wladiwostok und seine neue Militärallianz mit Russland sind mehr als nur eine Randnotiz in diesem fragilen Konfliktraum.

Gerhard W. Schlicke

Vor Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine hätte eine Reise des nordkoreanischen Diktators nach Russland samt Treffen mit Präsident Wladimir Putin den Westen nur am Rande interessiert. Heute aber rückt diese Zusammenkunft in einer höchst fragilen Region plötzlich die ganzen Spannungen zwischen den westlichen Staaten, angeführt von den USA auf der einen und China auf der anderen Seite, in den Mittelpunkt des Interesses.

Hier prallen unterschiedliche Hegemonieansprüche aufeinander: Russland nutzt die sich immer stärker zuspitzenden Spannungen zwischen den USA und China geschickt aus, um sich Munition und Militärgerät für den zum Abnutzungskrieg verkommenen Überfall der Ukraine zu beschaffen. Ein rascher russischer Sieg blieb durch die schnelle und vor allem massive militärische und finanzielle Hilfe der Europäischen Union und der Mehrzahl der NATO-Mitgliedsstaaten aus, sodass der Kriegsverlauf jetzt eher an die militärische Pattsituation auf dem Schlachtfeld vor Verdun im Ersten Weltkrieg erinnert. Der Nachschub aus dem Westen scheint in dieser Situation weniger endlich zu sein als jener Russlands, das vor allem Munition und Ersatz für das zerschossene militärische Gerät benötigt.

Sanktionen des Westens gegen Nordkorea wegen seines Atomprogramms fechten Russland nicht an, ganz im Gegenteil: Mit seinem neuesten Zug schafft es Abhängigkeiten und sichert sich zudem Unterstützung aus dem Osten. China hat sich aus gutem Grund mit Verurteilungen der russischen Invasion in die Ukraine zurückgehalten. Das chinesische Patenkind Nordkorea hat es seinem Mentor und Unterstützer gleichgetan, doch geht es jetzt sogar noch einen Schritt weiter zur offenen Unterstützung Moskaus.

Der Ukraine-Krieg katalysiert nicht nur in Europa, sondern auch in Asien die Außen- und Militärpolitik der einzelnen Staaten. Für Europa ist das etwa sichtbar an der NATO-Aufnahmen der bis zu diesem Jahr militärisch neutralen Länder Finnland und Schweden oder an den NATO-Aktivitäten im Baltikum. Im vergangenen Jahr beschloss die NATO im Rahmen der »Enhanced Forward Presence«, Soldaten nach Polen und in die baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland zu verlegen.

Gleiches für Asien sieht man in der Dynamik der BRICS-Staaten sowie bei dem neuen Militärbündnis »AUKUS« im indo-pazifischen Raum und den Beschlüssen des diesjährigen G20-Gipfels zur Neugestaltung der Handelswege von Ost nach West und umgekehrt. Die Wirtschaftsinteressen des Westens, der arabischen Welt, Japans und Australiens kollidieren einerseits mit denen Chinas und bedingen einander zugleich. China möchte seine Exportbilanz nicht gefährden, gleichzeitig aber die Handelswege vor seiner Haustür weitgehend kontrollieren. Ein solches Diktat wollen Australien, Japan, die EU und die USA auf keinen Fall zulassen.

Gegenprojekt

Ein deutliches Indiz für die langfristige Sicherung von Handelswegen und westlichen Machtansprüchen in dieser Region ist der gerade zu Ende gegangene G20-Gipfel in Neu-Delhi. Während ihres Treffens in Indien bekräftigten die Hauptakteure erneut das Zielƒeröff, mit einer Alternative zur »Neuen Seidenstraße«, dem Jahrhundertprojekt Chinas, in das bereits schon über hundert Länder eingebunden sind, den immer stärker werdenden und global angelegten Einfluss Chinas zurückzudrängen und eine eigene Transportroute aufzubauen.

»Die Europäische Union, die USA und weitere Partner haben ein riesiges Schienen- und Schifffahrtsprojekt auf den Weg gebracht. Es soll Europa, den Nahen Osten und Indien besser miteinander verbinden … Es eröffne unendlich viele neue Möglichkeiten. Die Vereinigten Staaten, Indien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Europäische Union haben sich demnach auf eine entsprechende Absichtserklärung verständigt. Das Vorhaben soll unter anderem über die EU-Initiative Global Gateway finanziert werden. Sie sieht vor, in den nächsten Jahren bis zu 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern zu investieren.«

Also einerseits das gigantische Projekt Chinas und andererseits das ebenfalls gigantische Projekt der USA, der EU und der auch in die »Neue Seidenstraße« eingebundenen wichtigsten arabischen Staaten. Letztere investieren also auf beiden Seiten und sind damit für die Zukunft breiter aufgestellt als die jeweiligen Hauptakteure. Die arabischen Kapitalreserven ermöglichen eine global angelegte Wirtschaftspolitik ohne außenpolitisches Getöse, allerdings mit großem Widerhall.

Die Europäische Union wird dieses Projekt selbst mithilfe der arabischen Staaten nicht alleine finanzieren können, sodass sie die finanzielle Hilfe der USA braucht – und genau hier wird es problematisch. China hält als Großgläubiger über eine Billion amerikanischer Staatsanleihen und ist dabei, diesen Vorrat abzubauen und zu diversifizieren, weil es einen bevorstehenden Konflikt mit den USA befürchtet. Die derzeitige Diversifizierung der Staatsanleihen können schnell zum Butterfly-Effekt werden, denn die Börsen und Ratingagenturen, auch wenn diese vollständig in amerikanischer Hand sind, reagieren diesbezüglich sehr sensibel.

Chinesische Provokationen

Tatsächlich sind diese Befürchtungen gerechtfertigt, sieht man sich die Spannungen rund um Taiwan an. Ein militärischer Angriff Pekings auf das gemäß der Ein-China-Politik immer noch als chinesisches Territorium angesehene Taiwan hätte mit der daraus resultierenden militärischen Blockade zwischen Südchinesischem- und Ostchinesischem Meer verheerende Auswirkungen auf den seewegbasierten Handel zwischen China und den europäischen und amerikanischen Handelspartnern. China hat im Jahr 2021 die USA als wichtigsten Handelspartner der EU abgelöst. »Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von rund 3,6 Billionen US-Dollar aus China exportiert.«

Die massiven gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind der eigentliche Ritt auf der Rasierklinge. Beide Seiten gehen momentan noch vorsichtig, aber doch mit klar geäußerten Hegemoniezielen mit diesen Interessenkonflikten um, und keiner der beiden ist daran interessiert, die eigene Wirtschaft massiv zu schädigen. Selbst der kleinste militärische Zwischenfall seitens China und Taiwan würde einen in Europa und den USA spürbaren Tsunami in der Wirtschaft und auf dem Finanzmarkt auslösen.

Dessen ungeachtet provoziert China gegenüber Taiwan militärisch und testet mit jedem neuen Manöver zwischen dem Festland und der vorgelagerten Insel Taiwan die westliche Akzeptanz aus. Die USA, wichtigster Waffenlieferant Taiwans, machten derweil in Taiwan ihre Unterstützung deutlich. »Trotz der Unterstützung durch die USA und der höheren Verteidigungsausgaben kann Taiwan nicht mit der seit Jahrzehnten verfolgten militärischen Modernisierung Chinas mithalten. Dieses Missverhältnis zwingt Taiwan, seine Fähigkeiten für die asymmetrische Kriegsführung‹ auszubauen, die sogenannte Stachelschwein-Strategie. Bei dieser Strategie werden kleinere, jedoch extrem effektive Waffen eingesetzt, um sich gegen einen größeren Gegner zur Wehr zu setzen.«

China hat sich bei der russischen Invasion in der Ukraine zurückgehalten und erwartet seitens Moskaus umgekehrt natürlich Gleiches bei einem eventuellen Angriff auf Taiwan. Mit zwei von fünf Stimmen der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat gäbe es dann auch keine Verurteilung Chinas. Es darf bezweifelt werden, ob die »feministische Außenpolitik« Deutschlands etwas zur Entspannung im indopazifischen Raum beitragen könnte, geschweige denn, ob Deutschland oder die EU als ehrlicher Makler und Vermittler in China wahrgenommen werden.

Die Reise von Kim Jong-un in das achtzig Kilometer von Nordkorea entfernte Wladiwostok und seine neue Militärallianz mit Russland sind weit mehr als nur eine Randnotiz in diesem fragilen Konfliktraum. Hier wird die Machtverschiebung von West nach Ost, die sich auch bei den jüngsten Entwicklungen des BRICS-Bündnisses zeigte, am offensichtlichsten – und leider auch am gefährlichsten.

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