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Explaining Transfer: Zionistisches Denken und der Ursprung des palästinensischen Flüchtlingsproblems 

Benny Morris geht der Rolle eines Bevölkerungstransfers im zionistischen Denken nach
Benny Morris geht der Rolle eines Bevölkerungstransfers im zionistischen Denken nach (Quelle: Hentrich & Hentrich)

Zu keinem Zeitpunkt wurde die Denkfigur eines Bevölkerungstransfers zur politischen Richtlinie der Zionisten, sondern blieb stets ein unsystematischer, rudimentärer Wunsch, sich auf dem Gebiet des jüdischen Staates von der feindseligen, bedrohlichen arabischen Bevölkerung zu befreien.

Benny Morris

Das palästinensische Flüchtlingsproblem entstammt dem ersten israelisch-arabischen Krieg von 1948. Ebenso wenig, wie es das Ergebnis eines vorsätzlichen Masterplans war, resultierte es aus einer staatlichen Grundsatzentscheidung oder aus pauschaler, systematischer Implementierung einer Politik der Vertreibung. Die überwältigende Mehrheit der 700.000 Araber, die ihr Zuhause verließen, flüchteten aufgrund der sich ankündigenden oder bereits stattfindenden kriegerischen Handlungen. Die meisten zogen in andere Regionen Palästinas (und waren damit im eigentlichen Sinn keine Flüchtlinge), die Minderheit, 300.000 von ihnen, ließ sich im Libanon, in Syrien oder Transjordanien nieder. Sie flohen, weil die Kampfhandlungen ihre Städte und Dörfer erreichten, oder in Befürchtung dessen. Viele waren getrieben von den ökonomischen Entbehrungen des Krieges – Arbeitslosigkeit, steigende Preise, Mangel an Lebensmitteln oder Treibstoff. Einige gingen auf Drängen oder gar Befehl ihrer lokalen (militärischen und politischen) Anführer – aus militärischen oder politischen Gründen. Für viele waren mehrere Gründe ausschlaggebend. Und einige wurden von den anrückenden israelischen Truppen vertrieben, in erster Linie aufgrund militärischer Erwägungen.

Zwei Metanarrative

Jedoch handelt es sich hierbei nur um die unmittelbaren Motive für die Abwanderung. Darüber hinaus existiert ein umfassenderer, grundlegender Erklärungsansatz; genau genommen zwei solcher Metanarrative. Eines davon, traditionell vorgetragen vonseiten der zionistischen Propaganda, besagt, dass die arabische Führungsriege – also die nationale palästinensische Führung und/oder die jeweilige Führung der benachbarten arabischen Staaten – die Palästinenser angewiesen oder ihnen gar befohlen habe, ihr Zuhause zu verlassen, um den Weg frei zu machen für die angestrebte oder schon stattfindende arabische Invasion, und um der israelischen Seite möglicherweise das Stigma der Vertreibung anzuhängen, woraus sich eine Begründung der Invasion ableiten ließe (die Armeen Jordaniens, Ägyptens, Syriens und des Iraks überfielen Israel/Palästina am 15. Mai 1948).

Dieses Narrativ wurde von Historikern gründlich widerlegt, da hierfür praktisch keine Basis in der zeitgenössischen Dokumentation vorliegt. Die Dokumentation enthält keinen Hinweis auf eine generelle Order dieser Art, stattdessen impliziert die dokumentierte Beweislage für den Mai 1948 Gegenteiliges: Zumindest einige arabische Führungsfiguren versuchten die Palästinenser zu überreden, vor Ort zu bleiben oder in die bereits verlassenen Gebiete zurückzukehren (beispielsweise König Abdallah von Jordanien und Fausi al-Kawukdschi, Kommandeur der Arabischen Befreiungsarmee, einer der Arabischen Liga unterstehenden Einsatztruppe, die schon vor der panarabischen Invasion zur Unterstützung der palästinensischen Milizen nach Palästina entsendet worden war.) 

Das andere, von der traditionellen arabischen Geschichtsschreibung offerierte Metanarrativ, besagt, die Zionisten hätten von Anfang an als programmatischen Teil ihrer Ideologie die Vertreibung der ansässigen arabischen Bevölkerung angestrebt und schon in den ersten Jahrzehnten des Zionismus ein entsprechender Masterplan erdacht wurde. 1947/48 sei dann die Gunst der Stunde genutzt worden, diesen systematisch zu implementieren und die arabische Bevölkerung aus den von den Vereinten Nationen einem jüdischen Staat zugedachten Gebieten sowie aus allen anderen, die im Laufe der Kampfhandlungen ›jüdisch‹ wurden, zu vertreiben.

Im Folgenden wende ich mich einem Element jenes zweiten Metanarrativs zu, der Annahme nämlich – man kann sie als ›Transfer‹-Denken fassen –, es sei den Zionisten von Anfang an in bewusster und geplanter Absicht um die Vertreibung der Araber aus Palästina gegangen. Es entspricht zweifelsfrei der Wahrheit, dass federführende Zionisten seit den 1890er Jahren, beginnend mit dem Propheten und Gründer der zionistischen Bewegung selbst, Theodor Herzl, gelegentlich mit dem Gedanken spielten, einige oder sämtliche Araber aus dem angestrebten jüdischen Staat heraus zu transferieren, um einer ausgedehnten zionistischen Immigration und Besiedelung Vorschub zu leisten. (Die Führungsebene der Bewegung antizipierte massive Einwanderungswellen infolge des sich ausbreitenden Antisemitismus in Osteuropa, beginnend mit den Pogromen von 1881 bis 1884 im Zarenreich.) Beispielsweise schrieb Herzl in einer Passage seines Tagebuchs: »Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte expropriieren. Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihnen in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern. (…) die Fortschaffung der Armen [muss] mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen.« [1]

Hierzu zwei Anmerkungen: Wenn zionistische Führungspersonen wie Arthur Ruppin und Leo Motzkin und prozionistische Autoren wie Israel Zangwill sich – und das taten sie selten, auch aufgrund der Sensibilität des Themas – über Bevölkerungstransfer äußerten, dann im Sinn eines freiwillig zugestimmten Transfers der Araber aus Palästina heraus, der Kompensation beinhaltete, und nicht im Sinn einer erzwungenen Vertreibung. Zweitens wurde die Transfer-Idee zu keinem Zeitpunkt zu einem Teil einer zionistischen Plattform und nie in das Programm einer der maßgeblichen zionistischen Parteien übernommen, weder im 19. noch im 20. Jahrhundert. Grundlegend sah die zionistische Führung vielmehr in massiver jüdischer Zuwanderung (in erster Linie aus Russland und Europa) das Mittel zur Etablierung und Sicherung einer jüdischen Mehrheit in Palästina oder in dem Teil davon, der für einen jüdischen Staat vorgesehen war.

Aber um das Jahr 1929 herum und, in nochmals größerem Ausmaß, während der späten 1930er und frühen 1940er Jahre begannen zionistische Wortführer in immer offenerer Weise über die Attraktivität und Möglichkeit des Transferierens von Arabern oder ›der Araber‹ zu sprechen. Mit David Ben-Gurion, dem Kopf des Jischuw (der jüdischen Bevölkerung in Palästina) und späteren ersten israelischen Ministerpräsidenten, und Chaim Weizmann, dem Leiter der Zionistischen Weltorganisation und Israels erstem Staatspräsidenten, bezogen sich die beiden maßgeblichen zionistischen Führungsfiguren des 20. Jahrhunderts befürwortend auf diese Idee. Jedoch ist auch in diesem Fall einschränkend anzufügen, dass diese Debatten nie Einzug in offizielle Hauptströmungen der zionistischen Ideologie hielten. Die Idee fand keine Fürsprache im Programm der Bewegung und genauso wenig in jenen der tonangebenden Parteien, also weder bei den sozialistischen Mapai, Hashomer Hatzair oder Achdut haAwoda, noch bei den liberalen Allgemeinen Zionisten und Progressiven oder dem rechtsgerichteten Revisionistischen Zionismus.

Im August 1937 sagte Ben-Gurion auf einer Dringlichkeitssitzung des Zionistischen Kongresses, dem obersten zionistischen Entscheidungsträger: »Wir müssen die Frage, ob Transfer möglich, notwendig, moralisch und nützlich ist, sorgfältig erörtern (…) Bevölkerungstransfer ist bereits zuvor aufgetreten, in der (Jesreel-)Ebene, im Sharon und an weiteren Orten [Ben-Gurion bezog sich auf die kleinformatige Ausweisung arabischer Bauern mittels Grundstückkäufen und Besiedlung durch die zionistische Bewegung in den zurückliegenden Dekaden] (…) Nun ist ein Transfer in völlig anderen Ausmaßen vonnöten. In weiten Teilen des Landes wird eine fortgesetzte Besiedlung nicht möglich sein, ohne die arabischen Bauern zu transferieren (…) Dies wird ein umfassendes Siedlungsprogramm ermöglichen. Dankbarerweise verfügen die Araber über riesige menschenleere Gebiete. Jüdische Stärke, die stetig anwächst, wird ebenso unsere Fähigkeit verbessern, einen großformatigen Transfer durchzuführen.« [2]

1941, vier Jahre später, sagte Weizmann bei einem Treffen mit Iwan Maiski, dem sowjetischen Botschafter in London, »dass, wenn eine halbe Millionen Araber transferiert werden könnte, zwei Millionen Juden ihren Platz einnehmen könnten. Das wäre, selbstredend, ein erster Schritt; was im Folgenden passieren würde, das wäre eine Frage der Geschichte.« [3]

Reaktion auf arabische Gewalt

Die Erklärung für die Häufung und Intensivierung von Pro-Transfer-Verlautbarungen in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren ist naheliegend und gewährt Einsicht in den Umstand, dass diese Idee überhaupt erst in zunehmendem Maß durch die zionistische Führung adaptiert wurde. 1929 begingen die palästinensischen Araber den ersten schweren Gewaltausbruch gegen die jüdische Gemeinschaft in Palästina. Insgesamt kamen 130 Juden zu Tode, von denen, nebenbei bemerkt, 66 nicht-zionistisch oder gar antizionistisch eingestellt waren, unter ihnen ultraorthodoxe Jeschiwa-Studenten sowie Rabbiner und ihre Familien, die im jüdischen Viertel Hebrons von einem messerschwingenden, mit Knüppeln und Beilen bewaffneten muslimischen Mob ermordet wurden. 1936 setzten die palästinensischen Araber eine weitaus umfassendere Gewaltkampagne in Gang, gerichtet gegen die britischen Mandatsautoritäten und die zionistischen Siedler. Die Gewalt, von den Arabern als »Großer Arabischer Aufstand« bezeichnet, die sich bis ins Frühjahr 1939 fortsetzte, forderte viele hundert Todesopfer und verursachte eine weitreichende Zerstörung von Eigentum.

Neben der Aufhebung der britischen Verwaltung und der Etablierung eines arabischen Staates in ganz Palästina forderten die Aufständischen die sofortige Einstellung jüdischer Einwanderung nach Palästina. Und tatsächlich war die Gewalt insofern von Erfolg gekrönt, als die Briten – in Erwartung eines Drei-Fronten-Kriegs und fest entschlossen, die Araber zu beschwichtigen, um Ruhe im (aufgrund der Land-, See- und Luftrouten sowie der dort vorhandenen Ölreserven) strategisch wichtigen Mittleren Osten zu erwirken – die jüdische Einwanderung streng einschränkten, eine Strategie, die sich fortwirkend im Weißbuch (Mai 1939) niederschlug. Das Weißbuch limitierte die jüdische Zuwanderung auf 75.000 über die folgenden fünf Jahre, wobei jede darüberhinausgehende Aufnahme jüdischer Migranten an die Zustimmung der arabischen Seite geknüpft wurde, und stellte den Einwohnern der Region Unabhängigkeit innerhalb der anstehenden zehn Jahre in Aussicht. Vor dem Hintergrund der demografischen Gegebenheiten des Jahres 1939 – eine Millionen Araber standen 450.000 Juden gegenüber – unterstützten die Briten damit die Entstehung eines mehrheitlich arabischen Staates.

Die von den Briten unter militärischem Drängen der Araber verfügte Einschränkung jüdischer Einwanderung zu einem Zeitpunkt, bei dem die Juden etwa 30 Prozent der palästinensischen Bevölkerung ausmachten, schob der Möglichkeit zur Umsetzung einer jüdischen Mehrheit einen Riegel vor. Längerfristig verschärfte aus jüdischer Sicht der Holocaust, in welchem sechs Millionen Juden ermordet und ein Großteil des potenziellen zionistischen Einwanderungspools vernichtet wurden, das Problem. So verhinderte die arabische Gewalt der späten 1930er Jahre, später in Verbindung mit dem Holocaust, die Möglichkeit des Erlangens einer jüdischen Mehrheit durch Einwanderung in Palästina.

Aber hierbei handelt es sich um die mittelfristigen Auswirkungen. Kurzfristig hatte die arabische Gewalt von 1929 und – mehr noch – von 1936 bis 1939 einen darüber hinausreichenden Effekt: Sie schärfte der jüdischen Gemeinschaft ein, dass die Araber die Entstehung eines jüdischen Staates in Palästina nicht dulden und mit Händen und Füßen bekämpfen würden und eine in einen jüdischen Staat integrierte arabische Minderheit sich illoyal und widerständisch verhalten und den Staat – selbst wenn ein solcher lediglich auf einen kleinen Teil Palästinas beschränkt wäre – von innen heraus destabilisieren oder stürzen würde. 

Die britische Peel-Kommission

Zu diesem Schluss kam auch die britische Royal Commission, angeführt von Lord Peel, die Ende 1936 gegründet wurde, um die Ursachen für die Arabische Revolte zu untersuchen und eine Lösung für das Palästina-Problem zu erörtern. In ihrem gründlichen, 400 Seiten umfassenden Bericht vom Juli 1937 finden sich zwei wesentliche Empfehlungen: Die Beendigung des Mandats und die Teilung des Gebiets in zwei Areale, wobei sich ein jüdischer Staat auf weniger als 20 Prozent der Fläche (Galiläa und die nördliche sowie zentrale Küstenebene) erstrecken sollte, während einem arabischen Staat in Anbindung an Transjordanien der Hauptteil des übrigen Landes zugedacht war. (Etwa fünf bis zehn Prozent des strittigen Gebiets, dazu gehörten Jerusalem, Bethlehem und ein Korridor zum Mittelmeer, sollten unter britischer Verwaltung bleiben.) 

Die Kommission entschied, dass das Mandat nicht weiter bestehen könne und die beiden Bevölkerungsgruppen der Araber und Juden nicht friedlich in einem gemeinsamen Staat leben könnten (entweder würden die Juden die Araber dominieren oder umgekehrt, und beide Alternativen waren undenkbar). Die Kommission empfahl des Weiteren die Entfernung der meisten oder aller Araber aus den einem jüdischen Staat zugedachten Gebieten (es handelte sich dabei um etwa 300.000 Menschen) und ihren Transfer entweder in den arabischen Teil Palästinas oder aus der strittigen Region heraus. Der Transfer sollte auf Freiwilligkeit beruhen, aber, wo dies nicht möglich war, auch mit Zwangsmaßnahmen erreicht werden. Zur Begründung argumentierte die Kommission, dass »die Existenz [einer arabischen Minderheit innerhalb des jüdischen Staates] das offenkundig ernsthafteste Hindernis für die reibungslose und erfolgreiche Teilung darstellt. (…) Wenn die Vereinbarung einwandfrei und von Bestand sein soll, so muss der Frage nach Minderheiten kühn und dezidiert begegnet werden.« [4] Die Kommission war also davon überzeugt, dass eine illoyale, unzufriedene und zahlenmäßig große arabische Minderheit innerhalb eines zukünftigen jüdischen Staates, wahrscheinlich unterstützt von der umliegenden arabischen Welt, diesen destabilisieren und darüber hinaus das Bestehen und die Langlebigkeit der Vereinbarung selbst gefährden würde. Es war im Interesse des langfristigen Wohlbefindens beider Bevölkerungsgruppen, diese so sorgfältig wie möglich zu trennen, stellte die Kommission fest.

Aber die Peel-Kommission war zu dieser Folgerung nicht einzig durch die Kenntnisnahme des arabischen Hasses auf und der Gewalt gegen den Jischuw gekommen. Ebenso wenig war der ausdrückliche arabische Unwille, sowohl miteinander innerhalb eines jüdischen Staates als auch unabhängig als Nachbar eines solchen zu leben, der einzige Grund. Die Kommission war sich auch der palästinensisch-arabischen Vertreibungsideologie bewusst. Als der Vorsitzende des Arabischen Hohen Komitees [Arab Higher Committee, AHC], Haj Mohammed Amin al-Husseini, jener Kleriker, der die palästinensische Nationalbewegung bis 1948 anführte, vor der Peel-Kommission aussagte, fragten ihn die Mitglieder: Wenn, wie Husseini, der jede Form von Teilung oder jüdischer Staatlichkeit geradeheraus ablehnte, forderte, Palästina ein unabhängiger, mehrheitlich arabischer Staat werden sollte, welcher Status würde den 400.000 bereits im Land lebenden Juden zukommen? Husseini antwortete darauf, denjenigen, die Angehörige des osmanischen Palästinas bis 1917 waren – weniger als 60.000 bis 70.000 –, würde die palästinensische Staatsangehörigkeit gewährt. Auf die Frage nach dem Schicksal der übrigen 330.000 sich bereits im Land befindlichen Juden lautete die Antwort, dies würde der Lauf der Geschichte zeigen. Die Kommission nahm an, dass Husseini sie mindestens in die Staatenlosigkeit entlassen, womöglich gar deportieren lassen würde. Und, darauf deuteten die Kommissare in ihrem Bericht hin, dass das Schicksal der palästinensischen Juden – in expliziter Anlehnung an die Situation der syrischen Christen im Irak, von denen Hunderte erst kurz zuvor von Muslimen massakriert wurden – weitaus düsterer auszufallen drohte.

Das, was Husseini vor der Peel-Kommission diplomatisch implizierte, brachte er anderswo sehr viel expliziter zum Ausdruck: Juden und ihren Angehörigen, die nach 1917 ins Land gekommen waren, würde es nicht erlaubt sein, im Land zu bleiben. Dieser Ansicht war freilich nicht nur Husseini. Der Ruf nach »idbah al yahud« (»Schlachtet die Juden«) hatte alle Gewaltausbrüche und judenfeindlichen Pogrome, welche die Araber Palästinas 1920, 1921 und 1929 initiierten sowie wiederkehrend die Jahre der Revolte von 1936 bis 1939 begleitet. In Reaktion auf diese gewaltsame und auf Vertreibung abzielende Denkweise und Ideologie wandte sich die zionistische Führungsebene in zunehmendem Maße der Transfer-Idee als Lösung für das ›arabische Problem‹, mit dem sich der Jischuw konfrontiert sah, zu. Wenn dies der Feind war und dies seine Taten und Ziele, konnte sich kein lebensfähiger jüdischer Staat bilden mit einer großen arabischen Minderheit in seiner Mitte.

Territorialer Kompromiss …

Aber die Ereignisse in Europa verkomplizierten zweifellos das zionistische Dilemma und befeuerten zusätzlich das neu erweckte Interesse an einem Transfer. Von 1933 an lagen Zentral- und Osteuropa in den Wehen eines gewaltvollen antisemitischen Aufschwungs, der zu einer fortschreitenden Verschlechterung des Zustands des europäischen Judentums und der Bedrohung seiner Existenz überhaupt führte. Dies war es, was die Dringlichkeit der zionistischen Forderung nach einem Staat, der als sicherer Hafen für die Millionen existenziell Bedrohten dienen sollte, in den mittleren und späten 1930er Jahren begründete. Und dies war es, was der Bereitschaft zu einem territorialen Kompromiss zugrunde lag. 

Die zionistische Bewegung hatte traditionell angestrebt, Palästina vollumfänglich in einen jüdischen Staat aufgehen zu lassen, aber ab 1937 war sie offen gegenüber einer Teilung und beschied sich damit, nur ein Stück Palästinas zu erhalten sowie der Forderung, dass zumindest das kleine Gebiet, das der jüdischen Staatlichkeit zugedacht würde, frei von Arabern war, sodass ausreichend Platz sei, um die Millionen von Bedürftigen zu beherbergen und sie dabei nicht den gewaltvollen, mitunter mörderischen Drohgebärden der Nachbarn innerhalb dieses Staates zu überlassen. Dass die palästinensischen Araber die Briten durch die Gewaltakte von 1936 bis 1939 dazu drängten, den verfolgten europäischen Juden Palästina als potenziellen sicheren Hafen zu verwehren, und der Umstand, dass Husseini dem NS-Regime im Laufe der 1930er Jahre wiederholt freundschaftliche Avancen gemacht hatte und 1941 gar nach Berlin zog, um für die folgenden vier Jahre für das Dritte Reich zu arbeiten – er rekrutierte Muslime für die Wehrmacht und rief nach einem gegen die Alliierten gerichteten Dschihad im Mittleren Osten –, verschärften die Ängste des Jischuw vor den palästinensischen Absichten und Feindseligkeiten nur noch weiter. Zusammengefasst lösten die arabischen, auf Vertreibung und Vernichtung der zionistischen Juden ausgerichteten Intentionen die Vertreibungsabsichten des Jischuw gegenüber den palästinensischen Arabern erst aus.

Das zionistische Nachdenken der 1930er und frühen 1940er Jahre über Bevölkerungstransfer war zweifellos ein Wegbereiter – wenigstens auf psychologischer Ebene – für den enormen Transfer, der im Jahr 1948 stattfand, resultierend im palästinensischen Flüchtlingsproblem. Aber der Prozess war ebenso getrieben von den Ereignissen der Jahre 1947/48, mit den Geschehnissen der 1930er Jahre als Hintergrundkulisse. Es ist unstrittig, dass der Holocaust eine Rolle spielte: Er trug offen zutage, dass gewaltige mörderische Intentionen in die Realität umschlagen können und dies auch taten, und die Weltgemeinschaft nicht unbedingt einschreiten würde, um die Araber an derartigem zu hindern.

… und arabische Verweigerungshaltung

Im November 1947 lehnten die palästinensischen Araber, gefolgt von den arabischen Staaten, den Teilungsplan der Vereinten Nationen (Resolution 181) ab und begannen einen Krieg, um die Entstehung eines jüdischen Staates zu vereiteln. In der Tat wandelten die Palästinenser den Palästina-Konflikt durch ihre Verhinderung der Teilungspläne – seien es Peel 1937 oder die Vereinten Nationen 1947 – um in ein Nullsummenspiel. Konsequent war »alles oder nichts« ihre Parole und blieb sie auch weiterhin: Sie wollten ganz Palästina, und keinen Zentimeter den Juden. Im November/Dezember 1947 erhoben sich Palästinas Araber, um die Implementierung der UN-Resolution zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. Im Mai 1948 schlossen sich die arabischen Staaten dem Kampf an und fielen ins Land ein. Ihre Radioübertragungen waren explizit: Als Ziel wurde die Zerstörung des Jischuw ausgegeben. Oder, wie es der Generalsekretär der Arabischen Liga, Abdel Rahman Azzam, dem britischen Botschafter in Amman, Alex Kirkbride, gegenüber am Vorabend der panarabischen Invasion formulierte: »Es spielt keine Rolle, wie viele [Juden] es sind. Wir werden sie ins Meer fegen.« [5]

Dies war die Botschaft der arabischen ›Straße‹, vor der die arabischen Staatsführer großen Respekt hatten, und dies war der Kern der Fatwas, die von den muslimischen Religionsautoritäten des Mittleren Ostens erlassen wurden. Die Ulema, der theologische Rat der al-Azhar Universität in Kairo, die vielleicht bedeutendste Autorität des sunnitischen Islams, drückte es in ihrer Fatwa vom 26. April wie folgt aus: »Die Befreiung Palästinas ist eine religiöse Pflicht für alle Muslime. (…) Die islamischen und arabischen Regierungen sollten unverzüglich effektive und radikale Maßnahmen einleiten.« [6] Dschihad wurde ausgerufen und die Ungläubigen sollten ans Schwert geliefert werden. Auch Matiel Mughannam, die libanesische Christin an der Spitze der dem Arabischen Hohen Komitee angeschlossenen Palästinensischen Assoziation Arabischer Frauen, berichtete einem Interviewer (im Januar 1948): »Die UN-Entscheidung hat alle Araber vereint, wie sie nie zuvor vereint waren, nicht einmal gegen die christlichen Kreuzfahrer. (…) [Ein jüdischer Staat] hat keine Überlebenschance, jetzt, da der ›heilige Krieg‹ ausgerufen wurde. Alle Juden werden letztendlich massakriert werden.« [7]

Ganz selbstverständlich fühlte sich der Jischuw, den Holocaust in frischer Erinnerung, tödlich bedroht – und das war er auch. Die Juden nahmen die Araber beim Wort; die Rede von Vertreibung und Schlimmerem lag schwer in der Luft. 1947/48 wurde durch die Führungsebene des Jischuw – die Jewish Agency Executive, die People’s Administration, die Provisorische Regierung Israels, den Haganah/IDF Generalstab – keine Entscheidung getroffen, ›die Araber‹ zu vertreiben; zu keinem Zeitpunkt wurde Vertreibung zur politischen Richtlinie erklärt (was der Grund dafür ist, dass der aus dem Krieg von 1948 heraus neu entstandene jüdische Staat annähernd zu einem Fünftel aus Arabern bestand).

Die Denkfigur des Transfers jedoch – keine politische Richtlinie, sondern ein unsystematischer, rudimentärer Wunsch, sich auf dem Gebiet des jüdischen Staates von der feindseligen, bedrohlichen arabischen Bevölkerung zu befreien – griff im Jischuw zunehmend um sich und trug dazu bei, den weitreichenden Transfer, bestärkt und verfestigt durch den Beschluss der israelischen Regierung im Sommer 1948, den Flüchtlingen kein Rückkehrrecht einzuräumen, voranzutreiben. Ein solches Recht, so die logische Annahme, würde notwendigerweise eine riesige fünfte Kolonne in die Mitte des neu entstandenen Staates einspeisen. Dies konnte nicht geduldet werden. Die anhaltende arabische (einschließlich palästinensisch-arabische) Feindseligkeit gegenüber Israel sorgte dafür, dass Israel das ›Recht auf Rückkehr‹, wie es die Resolution 194 der UN-Generalversammlung vom Dezember 1948 empfahl, niemals akzeptieren würde. Zugleich weigerten sich die arabischen Staaten, die Geflüchteten in angemessener Weise in ihre Mitte zu integrieren. Zusammengenommen war all dies der Garant für den Fortbestand des palästinensischen Flüchtlingsproblems bis zum heutigen Tag.

Dieser Beitrag erschien auf Englisch in: Richard Bessel/Claudia B. Haake (Hg.), Removing Peoples. Forced Removal in the Modern World. Oxford, Oxford University Press, 2009. (Übersetzung von Peter Kathmann.)

Im Herbst erscheint bei Hentrich & Hentrich die deutsche Übersetzung von Benny Morris’: 1948. Der erste arabsich-israelische Krieg.

Anmerkungen: 

[1] Herzl, Theodor, 1922. Theodor Herzls Tagebücher: 1895–1904. Berlin: Jüdischer Verlag, S. 98, Eintrag vom 12. Juni 1895

[Anm. Mena-Watch: Das Zitat aus Herzls Tagebuch kann nicht als Nachweis dafür gelten, dass Herzl eine Vertreibung der Palästinenser befürwortete oder auch nur erwog. Nicht nur finden Araber oder Palästinenser in der Passage keine Erwähnung: Vielmehr war im Juni 1895 das Gebiet, in dem der jüdische Staat entstehen sollte, alles andere als ausgemacht. Vieles spricht dafür, dass Herzl als Ziel der zionistischen Unternehmung zu diesem Zeitpunkt ein Landstrich in Argentinien vorschwebte. Stefan Frank führt die fälschliche Einordnung in einem Beitrag zur Arbeitsweise Omri Boehms auf eine 1975 veröffentlichte Arbeit Malcolm Kerrs zurück und legt des Weiteren dar, wie diese oft wiederholte Fehlannahme in interessierter Absicht zur Diffamierung des Staates Israels instrumentalisiert wird: Die Methode Omri Boehm (Teil 2): Geschichtsklitterung.]

[2] Verschriftlichung der Ansprache Ben-Gurions vom 7. August 1937, Central Zionist Archive, S5–1543; zit. nach Morris

[3] Short Minutes of Meeting Held on Thursday, January 30th, 1941, at 77 Great Russel Street, London WC 1, nicht unterzeichnet, Chaim Weizmann Archive, 2271; und Meeting: I. M. Maiskii-Ch. Weizmann, 3. Februar 1941, in: Documents on Israeli-Soviet Relations, 1941–1953, 2 Bände, London, 2000, i. 3–5

[4] Palestine Royal Commission Report, Cmd 5479, London, July 1937, S. 389–391

[5] Avi Shlaim, Collusion across the Jordan: King Abdullah, the Zionist Movement, and the Partition of Palestine, New York, 1988, S. 228

[6] Campbell to Foreign Office, 1. Mai 1948 (no. 536), PRO FO 371-68371.

[7] Lourie, Nadia, Interview with Mrs. Mogannam (Mughannam), 10. Januar 1948, Central Zionist Archives S25–9005.

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