Annalena Baerbock hatte eine »feministische Außenpolitik« versprochen und machte zugleich den Terrorgruppen in Gaza die Mauer. Wie geht das zusammen?
Rebecca Schönenbach
Im Wahlkampf zur jüngsten deutschen Bundestagswahl sagte die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock, sie trete eher zurück, als die Hilfe für den Gazastreifen einzustellen. Die Aussage ist bemerkenswert, da sie grundlegende Probleme der deutschen Außenpolitik offenlegt, die nicht mit Frau Baerbock begonnen haben, aber durch sie verstärkt wurden.
Zum einen ist die Außenministerin wie ihre Vorgänger Fehlinformationen in Bezug auf eine angebliche Hungersnot im Gazastreifen aufgesessen, was nach dem Debakel in Afghanistan ein weiteres schlechtes Licht auf die Aufklärungsarbeit des deutschen Bundesnachrichtendienstes wirft. Ebenso wichtig wie die Untersuchung der Fehleinschätzungen ist jedoch die Analyse der Wirkung deutscher und anderer europäischer Unterstützung für Gebiete, in denen Terroristen herrschen.
Grundlage für funktionierende Wirtschaft
Nachdem Baerbock im Jahr 2023 eine »feministische Außenpolitik« proklamiert hatte, wurde sie mit Spott überzogen. Dabei ist der Gedanke weniger abwegig, als die fehlgeleitete Umsetzung der Außenministerin vermuten lässt. Denn Werte wie Gleichberechtigung, Rechtsstaat und Demokratie sind keine Nice-to-haves, die in der realpolitischen Konfrontation mit Staaten wie Russland, China und Iran wertlos sind, sondern die Grundlage für ökonomischen Erfolg.
Diktatoren-Günstlinge von Dschidda über Teheran bis Moskau investieren ihr Geld nicht in die jeweils befreundeten Autokratien, sondern in Europa, weil Rechtsstaat und Demokratie Garanten für Eigentumsrechte, die Durchsetzung von Verträgen und für wirtschaftliche Entwicklung und Innovation sind. Für eine langfristige wirtschaftliche Entwicklung, die nicht auf Rohstoffen beruht, ist die rechtsstaatliche Stabilität die beste Investition und damit keine luftige Theorie, sondern Voraussetzung für Kapitalbildung.
Gleichberechtigung und deren Umsetzung, unter anderem über Gesetze zum Schutz von Frauen gegen Gewalt, sind ein Gradmesser für den Zustand von Demokratie und Rechtsstaat. Damit ist eine feministische Politik im Sinne fundamentaler Menschenrechte für Frauen der Garant für ökonomische Stabilität – und umgekehrt ein Destabilisierungsfaktor, wenn feministische (Außen-)Politik losgelöst von Menschenrechten für Frauen interpretiert wird.
Die eingangs zitierte Aussage Baerbocks weist nicht nur auf Fehlinformationen zum Gazastreifen hin, sondern bedeutet eine Abkehr von dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit. Wer auf systematische Vergewaltigung, Folterorgien, Massenmord und Geiselnahme nicht mit Sanktionen, der Forderung nach sofortiger Herausgabe aller Geiseln und Entwaffnung der verantwortlichen Terroristen reagiert, sondern mit Hilfslieferungen an genau die Gruppe, aus der die Täter sich rekrutieren und die von diesen beherrscht wird, erklärt sich de facto mit den Taten einverstanden. Die Bevölkerung von Gaza muss davon ausgehen, dass ein Land wie Deutschland Vergewaltigung für legitim hält, wenn sie an Israelis begangen wird, denn niemand im Nahen Osten würde auf eine derartige Gewalttat mit Suppenkartons reagieren.
Täter-Opfer-Umkehr
Doch das Signal geht nicht nur an die Bevölkerung des Gazastreifen und die umliegenden arabischen Staaten, sondern auch nach innen, denn die Pro-Hamas-Demonstranten auf deutschen Straßen und in deutschen Universitäten sehen sich bestätigt, dass Unrecht an Frauen durch (vermeintliches) Unrecht an der Gemeinschaft, aus der die Täter stammen, relativiert wird. »Aber Israel …« ist im Informationskrieg gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit das »Aber sie hat einen Minirock getragen«, das eine Täter-Opfer-Umkehr herstellt und weitere Taten möglich macht.
Eine Politik wie jene von Außenministerin Annalena Baerbock erlaubt Tätern, sich als Opfer wider Willen darzustellen; gezwungen, zu Tätern zu werden, weil das eigentliche Opfer existiert. »Ich hätte sie nicht umgebracht, hätte sie sich nicht gewehrt«, wird heute vom akademischen Nachwuchs in Form von Intifada-Rufen an Universitäten vorgetragen. Israel hat den Informationskrieg gegen Terrorgruppen wie die Hamas und den Palästinensischen Islamischen Dschihad in Europa längst verloren; die deutsche Außenpolitik belässt es nicht bei Falschinformationen, sondern belohnt die Täter aktiv mit Hilfslieferungen.
Die diplomatische Täter-Opfer-Umkehr beschränkt sich jedoch nicht auf Israel, das Verständnis für die Täter wird international auf die Hintermänner der Hamas ausgedehnt: Mit Katar werden Verträge ohne die Bedingung der Ausweisung der Hamas abgeschlossen, mit dem Iran sogar dann weiterverhandelt, wenn in der Geschlechterapartheid Demonstranten der »Jin, Jiyan, Azadi«-Bewegung (»Frau, Leben, Freiheit«) im Dutzend hingerichtet werden. Diplomatisches Victim Blaming stärkt die Achse des Widerstands gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – China, Iran und Russland – und schwächt gleichzeitig die eigene Infrastruktur für Erfolg.
Beispiel China
Paradoxerweise setzen etliche derjenigen, die Baerbocks Feminismus als substanzloses Instagram-Accessoire kritisieren, nicht auf das Gegenmittel, die konsequente Verteidigung von Menschenrechten für Frauen, sondern setzen die Forderung nach Frauenrechten mit einem moralischen Zeigefinger gleich, der in einer sich zuspitzenden Lage an der Realpolitik scheiterte. So wird etwa China, dessen Bilanz in Sachen Menschenrechte und speziell Frauenrechten mit der Zwangssterilisierung und systematischen Gruppenvergewaltigung von Uigurinnen nicht berauschend ist, als Erfolgsmodell gegen eine menschenrechtsbasierte Politik angeführt.
Die ökonomische Realität vermittelt ein anderes Bild. Eine Wachstumsrate sagt wenig aus, wenn das Wachstum auf einem sehr niedrigen Niveau startet, statt auf hohem Niveau fortgeführt wird. Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf liegt China laut WorldData für 2023 mit 12,6 Dollar weit hinter dem Durchschnitt der EU mit 35,9 Dollar zurück. Dasselbe gilt gemäß dem Wissenschaftlichen Dienst des EU-Parlaments oder der Weltbank im Hinblick auf das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf.
Im Global Innovation Index 2024 liegt China auf Platz elf hinter zehn Demokratien, wobei China diesen Platz nur erreicht, indem es westliche Wissenschaftler und Experten im großen Maßstab einkauft, ein Vorgehen, das vom FBI als Bedrohung eingestuft wird. Das Geschäftsmodell Chinas beruht auf globaler Instabilität, die es chinesischen Firmen erlaubt, sanktionierte Länder wie den Iran oder Russland billige Rohstoffe abzuknüpfen, aber vor allem in kolonialer Tradition afrikanische Länder mit als Hilfe getarntem Schuldendienst, Raub von Rohstoffen und direkter Einmischung zu erpressen.
Wirtschaftlich ist China den demokratischen Staaten weit unterlegen, aber wie die Sowjetunion im Kalten Krieg versteht das aktuelle chinesische Regime, dass wirtschaftlich stärkere Gegner mit Desinformation geschwächt werden können. Die chinesische App TikTok ist ein wesentlicher Faktor bei der Verbreitung von Falschinformationen über Israel, denn Judenhass ist neben Frauenfeindlichkeit das einfachste Mittel, Rechtsstaatlichkeit zu unterhöhlen. Aber gerade in Wahlkampfzeiten versucht die App, über frauenfeindlichen Content Einfluss auf den politischen Diskurs zu nehmen, wie unter anderem eine finnische Studie von 2024 zeigt.
Gegenstrategie für wirkliche Zeitenwende
Die Gegenstrategie müsste in einer dreiteiligen Antwort bestehen:
- Repression bei direkter Unterstützung von Terrorismus; egal, ob durch Islamisten auf der Straße oder Jungakademiker in Hörsälen. Dazu gehören von Exmatrikulation bis Ausweisung alle verfügbaren Maßnahmen, denn Terrorunterstützung ist kein Kavaliersdelikt, sondern der Weg in die Gewalt und eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung.
- Intervention muss nicht in Form von Verboten stattfinden, es reicht, Transparenz herzustellen. Ein Transparenzgesetz, das jede NGO zur Offenlegung von Finanzierung verpflichtet, ist der einfachste Weg, die Einflussnahme von Diktaturen in Demokratien sichtbar zu machen. Bei der Vergabe staatlicher Finanzierung sollte es selbstverständlich sein, dass deren Empfänger sich verpflichten, auf Judenhass, Frauenfeindlichkeit und Homophobie zu verzichten. Vereinen wie Amnesty International, die aktiv antisemitische Propaganda erstellen und verbreiten, sollte die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Judenhass und Frauenfeindlichkeit sollten nicht mehr steuerlich absetzbar sein.
- Wirksame Prävention kann jedoch nur stattfinden, wenn europäische Spitzenpolitiker sich zunächst auf demokratische Werte zurückbesinnen und aufhören, selbst Falschinformationen zu verbreiten. Dazu gehört, Opfer und Täter ohne Wenn und Aber zu benennen. Israel wurde angegriffen, Israel verteidigt sich. Die Hamas und etliche Zivilisten aus dem Gazastreifen haben am 7. Oktober 2023 unaussprechliche Verbrechen an israelischen Frauen, Kindern und Männern begangen und foltern und ermorden weiter israelische Geiseln. Im Iran, der die Hamas unterstützt, gehen Demokraten auf die Straße, um Menschenrechte für Frauen zu fordern. Dafür bestraft sie die Teheraner Geschlechterapartheid mit Vergewaltigung, Folter und Mord.
Der am vergangenen Samstag begangene internationale Frauentag wäre ein Anlass, jede internationale Hilfe unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob sie Tätern zugutekommt. Die Einsparpotenziale in der Entwicklungshilfe und der staatlichen Finanzierung von NGOs dürften ein Anreiz sein, wieder zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren, unnötige Bürokratie abzubauen und in einer Freiheit und Gleichberechtigung fördernden Gesellschaft die Weichen auf erneutes Wachstum zu stellen. Es ist Zeit für eine – wirkliche – feministische Zeitenwende.