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Yuval Raphaels emotionale Reise vom Supernova zum Song Contest

Die Nova-Überlebende Yuval Raphael vertritt Israel beim Eurovision Song Contest
Die Nova-Überlebende Yuval Raphael vertritt Israel beim Eurovision Song Contest (Quelle: JNS)

Die junge Sängerin überlebte das Massaker vom 7. Oktober 2023, indem sie sich unter den Leichen anderer Musikfestivalbesucher tot stellte. Nun vertritt sie Israel beim Eurovision Song Contest.

Eran Swissa

Als die Überlebende des Massakers beim Supernova-Musikfestival Yuval Raphael noch ein sechsjähriges Mädchen war, teilte ihr Vater ihr und ihrem jüngeren Bruder eines Morgens mit, dass sie von Israel in die Schweiz übersiedeln würden. Die Familie räumte ihre Wohnung in Moshav Pedaya und zog für drei Jahre nach Genf. Jetzt, fünfzehn Jahre nach ihrer Rückkehr nach Israel, wird Raphael erneut in ein Flugzeug Richtung Schweiz steigen – diesmal als Israels Vertreterin beim Eurovision Song Contest 2025.

Ein Treffen mit der 24-Jährigen zu vereinbaren, ist trotz zahlreicher Versuche fast unmöglich. In weniger als einer Woche fliegt sie nach Basel, um mit den Proben für den Eurovision Song Contest zu beginnen, der vom 13. bis 17. Mai stattfindet.

Yuval Raphael (YR): Nach dem, was ich am 7. Oktober 2023 erlebt habe, saß meine ganze Familie zusammen und erinnerte sich an meine Kindheit in der Schweiz. Während dieses Gesprächs habe ich zum ersten Mal nach dem, was ich erlebt hatte, geweint.

Eran Swissa (ES): Warum gerade dann?

YR: Plötzlich öffnete sich etwas in mir. Das war lange bevor [der Fernseh-Gesangswettbewerb] The Next Star überhaupt auf dem Programm stand und bevor jemand wusste, dass der Eurovision Song Contest in der Schweiz stattfinden würde. Aber es passierte einfach, und im Nachhinein ergab alles einen Sinn.

ES: Hätte ich der neunjährigen Yuval gesagt, sie würde als Vertreterin Israels in die Schweiz zurückkehren, was hätte sie geantwortet?

YR: Die neunjährige Yuval hätte gesagt, dass das schon viel früher passieren würde. In diesem Alter lebte ich in meiner Fantasie bereits in Hollywood. Ich sagte mir: ›Du wirst einmal ganz groß rauskommen, etwas ganz Großes erreichen, und du wirst auf riesigen Bühnen singen.‹ Das waren die Jahre, in denen ich am meisten an mich geglaubt habe.

Ich probe rund um die Uhr. Ich mache vier- bis fünfmal pro Woche Stimmübungen und schlafe mit einem Luftbefeuchter, der meine Stimmbänder die ganze Nacht über feucht hält, damit ich so fit wie möglich aufwache. Außerdem trainiere ich viel auf dem Laufband, um meinen Körper in Form zu bringen, denn eine erhöhte Herzfrequenz verbraucht mehr Sauerstoff – und der gesamte Song hängt von Sauerstoff, Atmung und Luft ab. Ich trainiere mich selbst, mit weniger auszukommen, um die Situation so gut wie möglich zu simulieren, als stünde ich auf der Eurovision-Bühne.

ES: Finden Sie bei Ihrem vollen Terminkalender noch Zeit, sich zu vergnügen?

YR: Ich mache das, wovon ich immer geträumt habe und von dem ich wusste, dass ich es tun würde. Mein ganzes Leben lang wollte ich Sängerin werden, dass Singen mein Hauptberuf sein sollte, dem ich nachgehen würde. Aber vergessen Sie nicht, dass mein erster Song in meiner Karriere ein Eurovision-Song ist. Das ist nicht von null auf hundert – das ist von null auf eine Million.

Mein Leben leben

Doch was ist der Druck beim Eurovision Song Contest im Vergleich zu diesem schrecklichen Samstagmorgen, am Simchat-Torah-Feiertag, als Raphael mit ihren Freunden zum Tanzen auf eine Party in der Grenzregion zum Gazastreifen ging und sich plötzlich vor dem schlimmsten Massaker in der Geschichte des Staates Israel retten mussten? Sieben Stunden lang versteckten sie sich in einem kleinen Luftschutzbunker in der Nähe des Kibbuz Be’eri, wo Raphael unter Leichen lag und sich tot stellte, obwohl sie selbst von Granatsplittern getroffen worden war. Sie und ihre Freunde kamen, schwer traumatisiert, mit dem Leben davon.

YR: Ich habe sehr schwere Stunden im Bunker verbracht. Um nicht getötet zu werden, musste ich mich unter Leichen verstecken, und um dort herauszukommen, musste ich über Leichen steigen. Ich werde etwas sagen, das wahrscheinlich nur diejenigen verstehen, die Nova überlebt haben: Nach so einem Ereignis ist man voller Schuldgefühle. Man stellt sich viele Fragen und die zentrale Frage ist: ›Warum wurde ich gerettet und nicht sie?‹ Nachdem ich damit meinen Frieden gemacht habe, möchte ich meinen Träumen eine Chance geben.

Das ist etwas, das mich sehr lange begleitet hat. In dem Moment, als ich dieses Gefühl loslassen konnte, dachte ich mir: Du hast eine zweite Chance im Leben bekommen, und am Ende hast du Angst? Was für eine Respektlosigkeit gegenüber jenen, die nicht überlebt haben. Ich kam zu dem Schluss, dass ich das, was ich bekommen habe, wertschätzen und mein Leben leben muss.

ES: Wie sieht das konkret aus?

YR: Ich möchte das Beste aus meinem Leben machen und all meine Träume verwirklichen.

Ein Gefühl der Euphorie

Im vergangenen Jahr berichtete Raphael wiederholt von ihrer Flucht vom Nova-Festival und den Momenten, in denen sie um ihr Leben gekämpft hat. Sie erinnert sich an alles im Detail, und wenn sie keinen vollen Terminkalender hat, kann sie die Geschichte immer wieder erzählen, stundenlang und geduldig. Bald wird sie sie auch auf Englisch erzählen, für Zuschauer in Europa, die vielleicht nicht bereit sind, ihr zuzuhören.

YR: Ich erinnere mich, dass wir gegen halb zwei Uhr morgens auf dem Parkplatz in Re’im ankamen, eine Bar im Kofferraum öffneten und gegen halb vier Uhr zur eigentlichen Party gingen. Wir bauten unsere Kanta [einen mit bestickten Tüchern abgegrenzten, privaten Bereich] auf und gingen tanzen. Es war unglaublich lustig, ich muss wirklich sagen, es war wow. Ich war zum ersten Mal auf einem großen Festival und es hat Spaß gemacht, Leute aus aller Welt zu treffen und mit allen unter freiem Himmel zu tanzen.

ES: Sie beschreiben ein Gefühl der Euphorie.

YR: Euphorie ist genau das richtige Wort, bis es zu einem Albtraum wurde. Ich war in der Kanta, als alles anfing. Wir drehten gerade ein Video für meinen Vater und zwei Minuten später begannen die Raketenangriffe. Ich sagte zu mir selbst: ›Okay, wir sind in der Grenzregion zum Gazastreifen, was haben wir denn erwartet?‹ Wir dachten, es würde ein Sperrfeuer geben, wir würden uns verstecken – und dann zurück zur Party gehen.

Ich gehörte zu denen, die keine Angst vor Raketen hatten, weil ich das Gefühl hatte, wenn etwas passieren muss, dann passiert es auch. Aber Hadar, unsere Freundin, war völlig hysterisch. Sie scheuchte alle auf und sagte: ›Verschwindet von hier, wir bleiben auf keinen Fall hier.‹ Wir nahmen unsere Sachen und dann sah ich zum Himmel und sah Raketenstreifen. Der Plan war, zu einem Freund in der Nähe zu fahren, aber auf dem Weg dorthin waren Terroristen. Wir machten eine Kehrtwende, sahen einen kleinen Schutzbunker und gingen hinein.

Last auf den Schultern

Nicht weniger als sechzig Israelis drängten sich in den kleinen Schutzbunker in der Hoffnung, lebend herauszukommen, aber nur wenige von ihnen überlebten. Yuval Raphael war eine von ihnen.

YR: Wir waren drinnen. Ich saß neben meinem Freund und neben einer Frau, die ich nicht kannte. Sie hielt meine Hand und weinte unaufhörlich. Ich beruhigte beide und sagte: ›Hört zu, wir sind in einem geschützten Raum, in ein paar Minuten können wir uns aufteilen und nach Hause gehen.‹ Aber dann begann das erste Schießen im Schutzraum, und als es vorbei war, sah ich als erstes ihren Kopf auf meiner Schulter. Sie war gestorben.

Zu diesem Zeitpunkt telefonierte ich mit meinem Vater, der mir sagte, ich solle mich hinlegen und so tun, als wäre ich tot. Die Terroristen kamen etwa zehn Mal herein und gingen wieder hinaus, während ich mich unter Leichen versteckte. Es gab Schüsse und Granatexplosionen. Es war ein Albtraum, den selbst Satan nicht hätte ersinnen können. Ich bin die Einzige in meiner Reihe im Schutzraum, die überlebt hat – alle anderen wurden ermordet.

ES: Es gab noch jemanden, der ermordet wurde, und ihre Leiche lag auf Ihrem Bein.

YR: Die Leiche, die auf meinem Bein lag, war mein größtes Trauma aus dieser ganzen Situation. Sowohl wegen der körperlichen Schmerzen als auch wegen meiner Unmenschlichkeit, weil ich mich hinter ihr versteckt hatte. Das hat mich danach noch lange verfolgt.

ES: Wissen Sie, wer sie war?

YR: Ja. Vor zwei Wochen habe ich ihre Mutter getroffen, und das war eines der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben. Denn ich habe so viel Schuld mit mir herumgetragen, und das Letzte, das ich erwartet hatte, war, mit ihrer Mutter den Kreis zu schließen. Ich dachte, sie würde mich vielleicht hassen, weil es in der Unterkunft so unmenschlich zuging und ich versuchen musste, zu überleben und ihre Tochter benutzt habe. Auch ohne selbst Mutter zu sein, kann ich ihren Schmerz verstehen. Ich sehe das mit ihren Augen.

ES: Und wie hat sie reagiert?

YR: Sie hat sich meine Geschichte angehört, mich umarmt und angefangen zu weinen. Sie sagte mir, dass sie seit anderthalb Jahren nicht mehr gut schlafen kann und wissen wollte, dass ihre Tochter nicht gelitten hat, denn jede Sekunde dort im Bunker bricht einem das Herz. Sie hatte viele Gerüchte über den Tod ihrer Tochter gehört, aber keine konkreten Beweise.

ES: Wussten Sie, wie Sie ihr die Details mitteilen konnten, nach denen sie suchte?

YR: Ja. In einem der Telefonate mit meinem Vater hatte die erste Schießerei bereits stattgefunden, und ich sagte ihm, dass eine Leiche auf mir liegt. Ich wusste, ich musste ihr sagen, dass ihre Tochter, bevor sie Zeit hatte, zu begreifen, was dort geschah, bereits tot war. Sie hat keine Gräueltaten gesehen und nicht gelitten. Nach dem Treffen fühlte mich, als wäre eine Last von meinen Schultern genommen worden.

ES: In Ihrer Gruppe haben alle überlebt, das ist nicht weniger als ein Wunder.

YR: Seit diesem Tag sind wir als Freunde unzertrennlich. Von morgens bis abends. Es ist ein gemeinsames Schicksal. Der Kreis ist der einzige Ort, an dem ich neue Energie tanken kann, anstatt sie zu verlieren. Wenn ich mit Menschen zusammen bin, die nicht dabei waren, verbrauche ich Energie, und sie werden nie verstehen, was ich durchgemacht habe. Mit ihnen ist es anders.

Von der Katastrophe auf die Bühne

Nach all den Hinterlassenschaften, Schwierigkeiten und Erkenntnissen, die ihr Leben begleitet haben, bewarb sich Yuval Raphael für die elfte Staffel von The Next Star for Eurovision – und vom ersten Ton an begeisterte sie die Jury und die Zuschauer zu Hause. In Basel wird sie mit der Ballade Ein neuer Tag wird anbrechen von Keren Peles auf die Bühne treten und versuchen, sich vom zweiten Halbfinale, das am 15. Mai stattfindet, ins begehrte Finale zu singen.

Nachdem sie sich von der großen Katastrophe erholt hatte und mitten in den intensiven Proben für den großen Wettbewerb in Europa steckte, fand Raphael die Liebe – den Sänger Ido Malka, den sie bei The Next Star kennengelernt hatte. »Es kommt, wenn man es am wenigsten erwartet und wenn man mit den Gedanken ganz woanders ist, und genau so war es«, erzählt sie. »Wir sind jetzt seit etwas mehr als zwei Monaten zusammen.«

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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