Vom ursprünglichen Gründungsgedanken des »Erfinders« der documenta, Arnold Bode, ist bei der diesjährigen Ausstellung nichts mehr zu sehen, ganz im Gegenteil.
Die Wiedergutwerdung der Deutschen. So heißt treffend ein Band mit Essays von Eike Geisel, der leider viel zu früh verstorben ist. Was gerade in und um die documenta in Kassel geschieht, wäre, lebte Geisel noch, sicherlich Stoff für einen seiner Artikel geworden. Zu seinem Andenken schreibe ich die folgenden Zeilen, auch wenn er es sehr viel besser gekonnt hätte:
Arnold Bode, ein sein Leben lang überzeugter Sozialist und späterer Gründer der documenta, verlor schon am 1. Mai 1933 seine Stelle als Dozent am Städtischen Werklehrer-Seminar in Berlin. Kurze Zeit erhielt er als »entarteter Künstler« auch ein Berufsverbot.
Auch wenn Bode nicht emigrierte, war er einer derjenigen, die zwischen 1933 und 1945 offenbar wirklich alles vermieden haben, um sich mit den Nazis nicht gemein zu machen. Als besonderes Erlebnis in dieser Zeit schilderte er später einen Besuch in Paris 1937, wo er Pablo Picassos Werk Guernica sah. Dieses Bild sei ihm damals als »ein Signal für alle Widerstandskämpfer« erschienen.
Nach 1945 arbeitete Bode fieberhaft daran, ein Ausstellungskonzept zu entwickeln, das all jenen, die im Dritten Reich als »entartete Künstler« verfolgt wurden, gerecht wurde und an sie erinnern sollte. So entstand die erste documenta, die dann auch auf entsprechend wenig Begeisterung in der Nachkriegsbundesrepublik der 50er Jahre stieß, in der sich allerlei Altnazis gerade als neu gewendete kalte Krieger gegen den Bolschewismus einrichteten und ein Großteil der Bevölkerung durchaus weiter die Ansicht vertrat, all dies abstrakte Kunstzeug habe der Führer ganz zu Recht als »entartet« aus den Museen verbannen lassen.
Picassos Guernica wurde bislang einmal, nämlich 1955, in Westdeutschland ausgestellt. Mit mäßigem Erfolg:
»Der unbestrittene Blickfang dieser spektakulären Ausstellung war Guernica, das zum ersten und einzigen Mal in Deutschland zu sehen war.
Die kontroversiellen Reaktionen zeigten, dass damals nicht beabsichtigt war, das Werk in Deutschland in einem erinnerungspolitischen Zusammenhang mit der eigenen historischen Verantwortung zu sehen. So fungierte es quasi als Symbol für eine kollektive Amnesie der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, während der sozialistische Osten der Republik das Gemälde zu einer antifaschistischen Ikone stilisierte.«
Verkitschung und Vereinnahmung
Und heute? Heute stehen die Nachgeborenen auf der documenta vor einer Verkitschung von Guernica, die als Kunst aus Gaza präsentiert wird und Betrachtern nahelegen soll, dass die zeitgemäße Legion Condor wohl die Israeli Air Force sei. Derweil feiert der Kulturteil der Süddeutschen Zeitung die Ausstellung so:
»In Kassel wird diesmal der Gemeinschaftsgedanke gefeiert. Besucherinnen und Besucher müssen sich nur noch darauf einlassen. … Die eigentlichen Komponenten dieser Kunst aber sind Teamgeist, gute Laune, Gerechtigkeitssinn, Respekt vor der Natur und die Bereitschaft, ins Offene zu gehen, um die Zukunft gemeinsam zu gestalten. …
Vielleicht ist der Glaube der documenta-Künstler an die Kraft von Kollektiven nichts als Wunschdenken, vielleicht unterschätzen sie die Machtstrukturen, die auch Gruppendynamiken innewohnen.«
Ich bin sicher, Kia Vahland, die diese Zeilen verfasste, hat sich nicht einen einzigen Gedanken gemacht, dass einst Künstlerinnen wie Bode als »entartet« aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden, gerade weil »gute Laune«, »Teamgeist« und »Gemeinschaftsgedanke« ihnen fremd gewesen seien.
Hat sie je gelesen, was Goebbels so schrieb, dem es ja auch darum ging, dass Kunst die »Gemeinschaft« stärken müsse, sich »für die natürliche Schönheit und Harmonie« einzusetzen habe und sich der »Schau natürlicher Schönheit und ästhetischer Harmonie« zuwenden müsse?
Mit dem Wort »natürlich« darf der Hinweis nicht fehlen, dass da irgendetwas mit Deutschland, Antisemitismus und Vergangenheit ist, auch wenn es ja sonst eigentlich um »singende Bergbewohnerinnen Syriens, zusammenhaltende Minenarbeiter Kongos oder in alten Mythen heimische Roma« gehe:
»Natürlich können die Deutschen nicht absehen von ihren Prägungen, ihrer eigenen Geschichte und Gegenwart. Insbesondere, wenn bei der Schau doch noch Antisemitismus zutage treten sollte, wäre Einspruch dringend notwendig. Deswegen aber gleich der Kunstfreiheit zu misstrauen oder alles, was von außen kommt, von vorneherein unter Verdacht zu stellen: Das wäre undemokratisch und ignorant.«
Zu alldem passt dann auch, dass der deutsche Bundespräsident in seiner Rede lieber Joseph Beuys zitiert, der als Hitlerjunge am »Reichsmarsch auf Nürnberg« teilnahm und sich später in rechten und völkischen Kreisen äußerst wohlfühlte. Auch Beuys steht nämlich symbolisch für die (spätere) documenta.