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Wie lange will Europa noch zwischen Teheran und Washington lavieren?

Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen fiel wieder einmal durch zweifelhafte Vergleiche auf
Der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen fiel wieder einmal durch zweifelhafte Vergleiche auf (© Imago Images / ZUMA Press)

Über eine bemerkenswerte Sitzung des UN-Sicherheitsrats, die von deutschsprachigen Medien ignoriert wurde.

Seit 2003 arbeiten die E3 – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – als Team, um Irans Atombewaffnung zu verhindern. Nur selten dringen interne Differenzen nach außen. Die UN-Sicherheitsratssitzung vom 30. Juni 2020 war in dieser Hinsicht interessant. Hier präsentierten die UN-Botschafter der drei Länder nacheinander ihre Statements über den Atomdeal mit Iran – Statements, die sich nicht nur in Nuancen unterschieden.

Am markantesten war die Differenz beim Umgang mit den USA. Während sich Londons Botschafter Jonathan Allen und dessen französischer Kollege Nicolas de Riviere darauf beschränkten, „Bedauern und Sorge“ über Trumps Ausstieg aus dem Atomdeal zum Ausdruck zu bringen, suchte Deutschlands UN-Botschafter Christoph Heusgen die Konfrontation. Er verurteilte den amerikanischen Ausstieg aus dem Deal als einen „Verstoß gegen das Völkerrecht“ und ging noch einen Schritt weiter.

Heusgen stellt den Iran und die USA auf eine Stufe

Der Diplomat, der bereits 2019 durch zweifelhafte Vergleiche von Israel mit der Hamas aufgefallen war, verglich Trump mit einem Autofahrer, der bei Rot über die Ampel fährt und kritisierte Irans Entscheidung, die Bestimmungen des Atomdeals zu verletzen, so:

„Wenn jemand über eine rote Ampel fährt, ist das für einen anderen Fahrer keine Rechtfertigung, auch über eine rote Ampel zu fahren.“

Dieses Bild ist nicht nur bemerkenswert, weil es eine totalitäre Diktatur mit einer liberalen Demokratie auf eine Stufe stellt, sondern auch deshalb, weil der Diplomat hier so tut, als sei er der Polizist, der über Regeln entscheidet und über Strafen bestimmt.

Das Bild von den zwei gleichermaßen Verrückten ist aber auch in der Sache absurd. Es verkennt, dass es Irans Atomwaffenambitionen sind, die die Welt erschrecken; es ignoriert, dass Teheran mit seinen regionalen Kriegen all die Hoffnungen, die mit dem Deal verbunden waren, zu Grabe trug; es geht darüber hinweg, dass Irans gegenwärtige nukleare Aufrüstung durch nichts, auch nicht durch Trumps Rückzug aus dem Deal entschuldigt werden kann. Doch schauen wir uns zunächst den Anlass für diese Sitzung des Sicherheitsrats (SR) an.

Die Nöte der E3

Es ging um die Sicherheitsrats-Resolution 2231, mit der der Atomdeal einst auf den Weg gebracht wurde. Sie gestattet, dass das iranische Regime ab Oktober 2020 konventionelle Waffensysteme – Panzer, U-Boote, Kampfflugzeuge, Raketen etc. – erwerben und weitergeben darf. Ab 2023 soll dieser Freibrief um Technologien, die für den Bau von Atomraketen nötig sind, erweitert werden. Anschließend werden auch die Beschränkungen im Nuklearbereich schrittweise abgebaut.

Für Moskau und Peking ist dieser Irrsinn, der Teherans (nukleare) Aufrüstung nicht verhindert, sondern legitimiert, kein Problem: Sie stehen an der Seite Irans, wenn es um die Machtbeschneidung der USA und des Westens geht, sie wollen das Embargo deshalb beenden.

Auch die USA, die aufgrund dieser Sunset-Klauseln den als „Atomdeal“ bekannten „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPoA) 2018 verließen, sind mit sich im Reinen, sehen sie doch ihre Befürchtungen mehr als bestätigt. Sie wollen das Embargo verlängern, um den Machtzuwachs für die Ayatollahs zu verhindern.

Die drei europäischen Unterzeichner des JCPoA haben hingegen ein Problem.

Auf der einen Seite sehen auch sie, dass sich die mit dem JCPoA verbundenen Hoffnungen auf Entradikalisierung des Regimes zerschlagen haben. So betonten nach dem verheerenden Raketenangriff auf saudische Ölanlagen auch sie, „dass Iran Verantwortung für diesen Angriff trägt“. Hielten sie am JCPoA fest, müssten sie ab Oktober dem Iran einen waffentechnischen Freifahrtschein ausstellen, dem Land also, das als einziges in der Welt Israels Auslöschung offen vorbereitet, das den Selbstmordterror propagiert und Holocaust-Leugner ehrt.

Stellten sie sich dieser Entwicklung aber entgegen, gefährdeten sie den Atomdeal, an den sie sich bislang wie an einen Strohhalm klammern, um Irans Atombombe dialogisch zu verhindern.

Erklärung im Zwiespalt

Ihre am 19. Juni 2020 beschlossene „Erklärung der E3-Außenminister zu Iran“ manifestiert diesen Zwiespalt: Hier die Selbstverpflichtung UN-„Resolution 2231 … uneingeschränkt umzusetzen“, also das Embargo zu beenden; dort die nur allzu berechtigte Sorge,

„dass die geplante Aufhebung des VN-Embargos auf konventionelle Waffen … weitreichende Auswirkungen auf die regionale Sicherheit und Stabilität haben würde“.

Und so wollen sie diesen Widerspruch überbrücken:

„Wir möchten die Angelegenheit in enger Abstimmung mit Russland und China als verbleibende Teilnehmer des JCPoA … besprechen.“

Soviel zur Ausgangslage, die diese Sitzung des Sicherheitsrats spannend machte, das vollständige Schweigen der Medien aber umso merkwürdiger.

Übereinstimmung und Differenz

In den Erklärungen der E3-Botschafter finden sich Gemeinsamkeiten aber auch interessante Divergenzen. Übereinstimmend bedauern zum Beispiel die E3 den Ausstieg der USA aus dem Atomdeal; gemeinsam lehnen sie den Snapback-Plan der USA ab und verteidigen den JCPoA.

Es war jedoch allein der deutsche Botschafter, der dieses Abkommen als „Meisterwerk der Diplomatie“ bezeichnete und die dazugehörige UN-Resolution 2231 als „eine der wichtigsten, die wir haben“. Dieser Lobgesang ist bemerkenswert, weil es ja gerade die Sunset-Klauseln dieses „Meisterwerkes“ sind, die den E3 heute Schwierigkeiten machen und dem Iran die technologischen Machtzuwächse automatisch bescheren.

Beim Thema „Non-Proliferation“, dem Thema dieser SR-Sitzung, gab es ebenfalls Divergenzen. Während der französische Vertreter seine Ansprache mit der Feststellung eröffnete, dass es das „vorrangige Ziel“ Frankreichs bleibe, „sicherzustellen, dass der Iran keine Atomwaffen erwirbt“ und der britische Botschafter sich ähnlich äußerte, verlor die Erklärung des deutschen Botschafters über die drohende Atombewaffnung kein Wort; seine Kritik konzentrierte sich auf die Menschenrechtssituation im Iran.

Britische Besonderheit

Des Weiteren zeichnete sich das britische Statement durch eine Besonderheit aus: Als einziger nutzte Botschafter Jonathan Allen seinen Auftritt, um die iranischen Verstöße gegen UN-Resolution 2231 detailliert aufzulisten und scharf zu kritisieren. Zwar erklärte auch er, an der Durchführung von Resolution 2231 – und damit der Embargo-Befreiung – festhalten zu wollen, doch wurde bei ihm das „but“, das „aber“ besonders betont:

„Wir glauben, dass die geplante Aufhebung der Waffenbeschränkungen für den Iran im Oktober erhebliche Auswirkungen auf die regionale Sicherheit und Stabilität haben würde.”

Dieser fast schon verzweifelte Ausblick unterschied sich radikal von den beschwichtigenden Aussagen Christoph Heusgen, die einer Haltung des „es-wird-schon-alles-gutgehen“ Ausdruck verliehen.

Natürlich ließen sich die von London befürchteten „erheblichen Auswirkungen“ verhindern. Hierfür böte sich die Verlängerung des Embargos als einfachste und logischste Lösung an. Sie würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Irans Aufrüstung verhindern und den Snapback-Plan Washingtons überflüssig machen. Bisher hat keine der drei Mächte diese Möglichkeit auch nur in Erwägung gezogen. Bislang wurde aber auch in keinem der drei Länder darüber diskutiert.

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