Während die Türkei als Ziel ihrer Militäroperationen die Terrorbekämpfung nennt, gibt es in der Region kaum nennenswerte terroristische Aktionen der PKK mehr.
Seth J. Frantzman, Jerusalem Post
In den letzten Jahren hat die Türkei ihre Rolle in der autonomen kurdischen Region des Nordiraks stark ausgeweitet. Sie hatte dort jahrzehntelang Stützpunkte unterhalten und ihre Präsenz reicht bis in die 1990er Jahre zurück, als sie in den schwächer werdenden Irak expandieren konnte.
Ankara behauptet, im Nordirak einen „Anti-Terror“-Krieg gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu führen. Der PKK-Terrorismus in der Türkei hat sich jedoch fast auf Null reduziert, weswegen Ankara für die Rechtfertigung seiner expansiven Rolle darauf zurückgreift, Geschichten über „Terrorismus“ zu erfinden und die PKK für Vorfälle verantwortlich zu machen, mit denen sie wahrscheinlich gar nichts zu tun hat.
In der Tat ist das Interessante an der wachsenden Aktivität der Türkei im Nordirak, dass diese Aktivität nicht mit einer Zunahme des „Terrorismus“ korreliert. Es gibt momentan keine terroristischen Anschläge in der Türkei; aber je geringer die Zahl der Anschläge wurde, desto stärker ist die Türkei in den Irak und auch in Syrien eingedrungen. Das heißt, der Krieg, den die Türkei führt, hat nichts mit einer tatsächlichen Bedrohung zu tun. (…)
Aber die Regierungspartei AKP und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan leben vom Krieg und von der Krise. In Abkehr von der Friedenspolitik unter dem Motto: „Keine Probleme mit unseren Nachbarn“ begann Erdogan in der Vergangenheit, die Armee für Einsätze in Syrien und zunehmend auch im Irak zu mobilisieren sowie 2015 und 2016 einen kurzen Krieg gegen die PKK in der Türkei zu führen.
Dieser Politikwechsels ging damit einher, dass die Türkei begann, Oppositionsmitglieder der kurdischen Partei HDP zu verhaften und kurdische Aktivisten zu verfolgen. Im syrischen Afrin führte sie eine ethnische Säuberung gegen die Kurden durch und im Irak begann sie mit Bombardierungen durch Drohnen und F-16-Kampfflugzeuge. (…)
Die Situation wird durch die Rolle der Kurdische Regionalregierung (KRG) im Nordirak noch komplexer. Angeführt von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) ist die Region Kurdistan eine erfolgreiche autonome Region, mit eigenen Flughäfen und Sicherheitskräften. Die verstärkten Kampfhandlungen der Türkei im Irak haben das Potenzial, die KRG zu destabilisieren und ihre Autonomie zu untergraben. (…)
Beobachter verweisen darauf, dass die Türkei und die KDP eng zusammenarbeiten. Jahrelang war die Türkei eine wichtige wirtschaftliche Lebensader für den Nordirak und dessen Hauptstadt Erbil, was in gemeinsamen Interessen von Kurdischer Regionalregierung und Türkei resultierte. Zugleich waren die Kurden aber auch immer misstrauisch gegenüber den Ambitionen der Türkei, besonders wenn Ankara die Präsenz der PKK als Vorwand nutzte, um seinen Einfluss im Nordirak zu vergrößern.
Es bleibt also die Frage nach dem wirklichen Ziel der Türkei. Sie selbst behauptet, die PKK vollständig besiegen zu wollen, was bedeuten würde, weitere Stützpunkte zu errichten. Aber die Drohungen der Türkei beschränken sich nicht auf die von der PKK genutzte Region Qandil; sie will auch den jesidischen Sinjar und das Flüchtlingslager Makhmour bombardieren und die kurdische Region in Syrien, die Rojava genannt wird, isolieren und zerstören.
Die Türkei hat der UNO im Herbst 2019 offen gesagt, dass sie eine „Pufferzone“ oder „sichere Zone“ in Syrien wolle, und hat einen Plan veröffentlicht, nach dem sie die Kontrolle über alle kurdischen Städte im Nordosten Syriens übernehmen, sie ethnisch säubern und mehrere Millionen arabische Flüchtlinge in diesen Gebieten ansiedeln möchte.
Im Nordirak hat die Bombardierung durch die Türkei zur Entvölkerung vieler Dörfer geführt. Das Ziel der Türkei ist hier aber nicht die Wiederbesiedlung der Region. Vielmehr scheint die Türkei Erbil und die KRG in einen größeren Konflikt mit der PKK hineinziehen zu wollen, in der Hoffnung, einen kurdischen Bürgerkrieg auszulösen.
Ein solcher Konflikt fand in den 1990er Jahren zwischen kurdischen Gruppen statt. Die Türkei würde profitieren, wenn Kurden sich gegenseitig bekämpfen und sie vorgeben kann, den „Terrorismus“ zu bekämpfen, um ihre Besatzung und ihre Stützpunkte im Ausland zu verstärken.
(Aus dem Artikel „What is Turkey’s real goal in northern Iraq’s Kurdish region? – analysis“, der bei der Jerusalem Post erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)