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Wer wirklich für die Massenflucht aus Afrika nach Europa verantwortlich ist

(Volker Seitz) Die bewohnbare Fläche Afrikas ist so groß wie die der USA, der EU, Indiens, Chinas und Japans, zusammen. Dennoch ist Afrika der einzige Kontinent, der sich nicht selbst ernähren kann. Der Kontinent verfügt über mehr als ein Viertel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Von den Reserven an Ackerfläche werden derzeit nur 20 Prozent überhaupt genutzt. Was nicht produziert wird kann nicht gegessen werden. Von seinen natürlichen Voraussetzungen her könnte Afrika problemlos autark in seiner Nahrungs- und Energieversorgung werden. Dennoch machen Hungersnöte in Afrika gerade jetzt wieder Schlagzeilen, weil seit Jahrzehnten die ländliche und landwirtschaftliche Entwicklung vernachlässigt wurde. So gibt z.B. im von Dürre geplagten Äthiopien bislang kein Forschungsinstitut das sich mit Wasser beschäftigt. In vielen Dörfern Afrikas gibt es kaum Strom, kaum Straßen und die Bevölkerung ist – von wenigen Elitenzirkeln abgesehen – verarmt. 38 afrikanische Länder haben ein Ernährungssicherungs-Programm, aber nur Ruanda hat begonnen es in die Tat umzusetzen.

Länder wie z.B. Äthiopien, Kenia, Südsudan, Simbabwe geben weit mehr Geld für Waffen aus als für die Ernährungssicherung der eigenen Bevölkerung. Von dort kommen derzeit die lautesten Rufe nach Hilfe.

Entweder reichen die angebauten Nahrungsmittel nicht oder die Menschen können sie sich nicht leisten. Eine produktivere Landwirtschaft könnte dazu beitragen, dass die Nahrungsmittelpreise sinken. Dort wo Menschen hungern wie gerade einmal mehr in Ostafrika, rufen die Regierungen nach Hilfe aus Europa oder Amerika anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Afrika das vor 50 Jahren noch Nahrungsmittel exportierte, ist inzwischen bei der Grundversorgung abhängig von Importen und internationalen Hilfen. 300.000 Tonnen Lebensmittel müssen jedes Jahr eingeführt werden. Die angolanische Volkswirtschaft ist in allen Bereichen auf Importe angewiesen. Darunter Grundnahrungsmittel wie Reis, Eier Gemüse (Knoblauch, Zwiebeln, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Kohl, Mais und Maniok) und sogar Früchte (Mango, Bananen und Ananas). Importe aus Europa oder Brasilien sind langfristig bestimmt keine Lösung des Ernährungsproblems. Das herrschende Personal ist derzeit mehr interessiert an Billigimporten zur Versorgung der politisch einflussreichen Städter, als an Förderung der politisch wenig interessanten Bauern.

 

Hungersnöte sind in Demokratien sehr selten

Wenn man dem indischen Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen folgt, kann man davon ausgehen, dass die Auswirkungen ökonomischen Fehlverhaltens in nichtdemokratischen Systemen erheblich größer sind als in Demokratien. Er hat nachgewiesen, dass in Rechtsstaaten Hungersnöte sehr selten sind. Die Menschen sind verantwortlich, da nur in wenigen Ländern die Landwirtschaft gefördert wird. Alle Warnsignale wie Hungerrevolten 2008 und 2012 in West und Zentralafrika ignorieren die Regierungen.

Die afrikanischen Staaten hatten sich schon 2003 in Maputo/Mosambik verpflichtet, 10 Prozent ihres Haushalts für die Förderung der Forschung zu höherer Agrarproduktivität zu verwenden. Die Aufgabenstellung war, die Agrarproduktion jährlich um 6 % zu steigern. Dies würde Hunger lindern, weil mehr Lebensmittel produziert werden und Preise sinken. Was ist daraus geworden? Nur 6 afrikanische Staaten haben sich an ihre eigenen Beschlüsse gehalten: Äthiopien, Burkina Faso, Mali, Niger, Ruanda und der Senegal. Das ist so weil die Landwirtschaft im Gegensatz zu Öl, Diamanten oder Gold nicht durch eine kleine Elite zu beherrschen ist. Dort wo Menschen hungern, rufen die Regierungen nach Hilfe aus Europa oder Amerika, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Diese kurzfristigen Hilfen zerstören aber gleichzeitig die lokalen Märkte.

 

80 Prozent der Bevölkerung lebt auf dem Lande

Afrikas Eliten müssen den Kampf gegen den Hunger endlich ernst nehmen. Entwicklung kann nur über eine Stärkung der Landwirtschaft und insbesondere der Kleinbauern stattfinden. Die Produktivität und die Einkommen der Landbevölkerung in Afrika zu steigern, ist der Schlüssel zur Bekämpfung der Armut. Die Investitionen in die ländliche Entwicklung, mit Bildung, Landwirtschaft, Gesundheit und vor allem Familienplanung müssen deutlich steigen.

Die Landbevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft und Viehzucht, wobei die Ernährung der eigenen Familie im Mittelpunkt steht. Der Bedarf des Kontinents an Nahrungsmitteln kann so nicht gedeckt werden. Das so ungemein fruchtbare Afrika produziert nicht genug Lebensmittel, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Der Agrarbereich wird in vielen Ländern grob vernachlässigt. Und dort, wo die landwirtschaftliche Produktion wirklich gesteigert werden konnte, nämlich in den Agrarfabriken von chinesischen, südkoreanischen und indischen Konzernen, wird nicht für den lokalen Markt produziert, sondern ausschließlich für den Export nach Asien. Noch vor 30 Jahren waren die meisten Länder Selbstversorger. Dass sich die ärmsten Länder heute über den Weltmarkt ernähren müssen, ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Politik der Diskriminierung bäuerlicher Landwirtschaft. Es gibt kaum gezielte staatliche Agrarförderungen. Es fehlt an Wasser, an Speichern, Anbautechniken, einer Infrastruktur wie ganzjährig befahrbare Pisten und einer funktionierenden Distribution. Dreißig Prozent des Getreides, Obst und Gemüse verrotten auf dem Weg vom Acker zur Ladentheke. Am Anfang der Produktionskette gehen viele Lebensmittel wegen falscher Lagerung, Schädlingsbefall, fehlerhaftem Transport oder schlechter Verarbeitung verloren. Das eigentliche Problem ist, dass nichts geschieht, um dies zu ändern. Durch verbesserte Anbaumethoden und Schutz vor Erosion und Versalzung könnten die Erträge leicht verdoppelt werden.

 

Die Zukunft Afrikas wird die Landwirtschaft bestimmen.

„Landwirtschaft ist der beste Motor für nachhaltiges Wachstum und Entwicklung“, betont der afrikanische Unternehmer und Stiftungsgründer Mo Ibrahim. „Aber nur zwei Prozent unserer Studenten studieren Agrarwissenschaften“, klagt er. Der Agrarsektor habe beispielsweise riesiges Potenzial, da momentan erst 5 Prozent der möglichen Nutzflächen bewässert werden. Dabei könnten in der Landwirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden, was eines der größten Herausforderungen in allen Subsahara-Staaten darstellt. Sofern die Agrarflächen sinnvoll genutzt werden, könnten in Millionen von Jobs entstehen. Die Regierenden erkennen nicht, dass die Landwirtschaft ein Schlüsselfaktor in der wirtschaftlichen Entwicklung ist. Eine Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ist auch in Afrika möglich. In den Staaten sind neue Wege und Ideen gefragt und festgefahrene Bahnen sollten kritisch beleuchtet werden.

 

Internationales Engagement

Nothilfe muss sein. Aber da Nahrungsmittelhilfen das Problem nicht dauerhaft lösen, sollten die Hilfsorganisationen – auch gegen den Widerstand der Machteliten – arme Bauern unterstützen und Saatgut, Dünger, Ausbildung zur Verfügung stellen.

Die Welternährungsorganisation (FAO) gilt als schwerfälliger, bürokratischer Apparat. Der frühere Generaldirektor Diouf hat es in 17 Jahren Amtszeit – trotz beträchtlichem Budget – unterlassen, aus der FAO eine effiziente Organisation zu formen. Die UN-Organisationen FAO, das Welternährungsprogramm (WFP) und der International Fund for Agricultural Development (IFAD) sitzen alle drei in Rom und beschäftigen sich mit demselben Thema. Sie scheinen sich nicht zu ergänzen, sondern miteinander zu konkurrieren. Der ehemalige spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos wollte den Hunger nicht mehr nur verwalten sondern die Personal- und Verwaltungskosten von 70 auf 50 Prozent senken. Darüber hinaus wollte er externe Consultants die weitere 15 Prozent des Budgets kosten, zugunsten von echten Projekten zur Eindämmung des Hungers zurückfahren. Allerdings mit so einem Programm wird man nicht zum Generaldirektor der FAO gewählt.

In 50 Jahren sind in Afrika 6,3 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland verloren gegangen. Das ist eine Fläche etwa so groß wie Bayern. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit geht durch Versiegelung des Bodens (wachsende Städte), synthetische Düngemittel, Versalzung und falsche Bearbeitungstechniken (pflügende Landwirtschaft führt zwangsläufig zu Humusabbau.) Vom Humus hängt die Fruchtbarkeit der Böden ab. Er bindet Kohlenstoff und produziert keine Treibhausgase. Der schleichende Verlust der Bodenfruchtbarkeit könnte etwa durch die Terra Preta Technologie (schwarze Erde), ein Konzept der Indios, das wiederentdeckt wurde und z.B. von Technischen Universität Hamburg weiter entwickelt wird.

Ein hoffnungsvolles Beispiel ist die mit kräftiger US-Hilfe (u.a. Bill Gates Stiftung, Rockefeller Foundation, USAID und Nike Foundation) von Äthiopien 2012 ins Leben gerufene staatliche Agentur ATA (Agricultural Transformation Agency). Es wurde erstmals eine digitale Bodenkarte erstellt, Bodenproben genommen, so dass die Bodenfruchtbarkeit geprüft und ausgelaugte Böden zu regeneriert werden können. Neu entwickelte Sätechniken können Saatgut sparen, den Arbeitsaufwand der Landwirte verringern.

Israel gilt weltweit als führend, wenn es darum geht, trockenes Land in fruchtbare Böden zu verwandeln. Das Land fördert landwirtschaftliche Forschungsprojekte auch in Afrika. Dank neuer Technologien wurden Methoden gefunden um Erträge zu steigern und Pflanzen gefunden die Hitze besser aushalten. Israel ist weltweit führend in Sachen Abwasseraufbereitung. 93 Prozent des israelischen Schmutzwassers werden aufbereitet, wovon 80 Prozent in die Wiedernutzung zurückfließen. Zudem wurde in dem Land die Tröpfchenbewässerung erfunden. Die israelische Erfindung machte das Wüstenland selbst zu einer landwirtschaftlichen Oase.

Mit israelischen know how könnten afrikanische Staaten lernen, weniger Wasser zu verbrauchen. Die Elfenbeinküste, Gabun und der Senegal werden im Bereich Bewässerung und Wassermanagement beraten. Senegal bezieht derzeit 80 Prozent seines Nahrungsbedarfs aus Importen, weil die traditionelle Landwirtschaft nur auf eine Ernte pro Jahr kommt. Mit israelischer Technologie könnten die Bauern aber auf 3 bis 4 Ernten kommen.

 

Fatalismus abgewöhnen

Die afrikanischen Eliten müssen sich den Fatalismus abgewöhnen, ihr Schicksal nicht auf Gott oder das Wetter schieben, sondern auf die eigene Anstrengung konzentrieren und lernbereit sein. So sind die Somalier sind wohl das einzige Küstenvolk, das keinen Fisch mag. Dabei könnte der – reichlich vorhandene Fisch – der von den Nomaden kulturell nicht akzeptiert wird, die größten Ernährungsprobleme der hungernden Bevölkerung lösen.

Der Klimawandel, aber auch durch eine nicht den lokalen afrikanischen Bedingungen entsprechende Landwirtschaft, verwüsten Regionen. Eine der ersten Maßnahmen sollte sein, solche Pflanzen anzubauen die wenig Wasser benötigen und der Verwüstung trotzen. Es mangelt an Agrar-Know-how wie etwa Bewässerungssystemen. Nur etwa vier Prozent der Äcker werden bewässert. Somit ist die Produktivität stark abhängig von natürlichen Regenfällen. Es besteht erhebliches Potenzial zur Verbesserung. Nötig wäre auch der Aufbau einer ländlichen Industrie, um den Bauern weitere Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. Es geht darum, die Kompetenz der Kleinbauern zu stärken. Wichtig ist, dass die eingesetzte Technik den jeweiligen Gegebenheiten entspricht und die Anlagen lokal gewartet und repariert werden können. Das sorgt dann sogar für zusätzliche Einkommensmöglichkeiten und damit für weitere Perspektiven in ländlichen Gebieten.

Das größte Übel ist aber die Bevölkerungsentwicklung, die jeden Fortschritt vernichtet. Afrika hat weltweit die höchsten Geburtenraten. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Menschen in Subsahara-Afrika verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts vervierfachen. Kaum ein Land stellt sich dem Problem. Bei den explodierenden Bevölkerungszahlen (Beispiel Tansania hatte 1961 8 Millionen Einwohner, jetzt sind es 45 und 2030 werden es bereits 80 Millionen sein) ist absehbar, dass die Länder ohne Familienplanung ihre Bevölkerung nicht mehr ernähren können.

Afrika braucht neue respektable, mutige Führer, Ideen, Ansätze und Technologien – das ist dringender, als dauerhaft viel Geld zur Verfügung zu stellen.

(Volker Seitz war 17 Jahre als Diplomat in Afrika tätig. Sein Buch „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann“ erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage.)

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