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Wenn Antisemiten sich entschuldigen (Teil 2)

Ilhan Omar und Dieudonné M’Bala M’Bala
Ilhan Omar und Dieudonné M’Bala M’Bala(© Imago Images / ZUMA Wire, Jack Rabbit Slim's / CC BY 3.0)

Der heutige Antisemitismus funktioniert nach einem immer gleichen System: Eine skandalöse Behauptung wird in den Raum gestellt, und nach lautstarker Kritik folgt eine salbungsvolle Entschuldigung, von der jeder weiß, dass sie nicht ernst gemeint ist.

Antisemitismus hat viele Formen, doch sein Kern ist immer derselbe: »Die Juden sind schuld.« Worin ihre Schuld besteht, ist ein Blankofeld. Es mag eine Finanzkrise sein, die Pest oder COVID-19, »alle Kriege der Welt«, BrunnenvergiftungErdbeben und TsunamisVölkermord, die Anschläge vom 11. September 2001, Gottesmord oder eine Weltverschwörung. Der Jude – bzw. heutzutage der Staat Israel – ist, auch ohne Beweis, schuldig und muss gerichtet werden. Zum Richter und Henker fühlt sich der Antisemit berufen, es wagt ja sonst niemand, die Wahrheit auszusprechen, meint er. 

Klar, dass er sich selbst als das genaue Gegenbild dessen wähnt, was er den Juden vorwirft: edel, hilfreich und gut, immer eifrig im Dienst der Menschheit und des Weltfriedens unterwegs. Bösartige Verleumdungen vortragen und dabei gleichzeitig unschuldig tun, das müsste ein großes schauspielerisches Talent voraussetzen, könnte man meinen. Aber nein, denn: Der Antisemit glaubt ja selbst an seine Behauptungen. Kein Lügendetektor würde da anschlagen.

Der verstorbene österreichische FPÖ-Politiker Jörg Haider, dessen antisemitische Demagogie gut dokumentiert ist, sagte einmal in einem Interview, er habe »noch nie etwas Antisemitisches gesagt«. Ihrer Selbstwahrnehmung nach sprechen Antisemiten einfach die Wahrheit aus. Gleichwohl folgen auf Angriffe mitunter »Entschuldigungen«. Auch Haider hat sich manchmal »entschuldigt« und gab der »Haider-Entschuldigung« ihren Namen. Die »Haider-Entschuldigung«, erklärte Florian Markl vor vier Jahren an dieser Stelle in seinem Beitrag »Wenn Antisemiten sich entschuldigen«, funktioniere so: 

»Zuerst stelle man eine skandalöse Behauptung in den Raum, nach lautstarker Kritik daran entschuldige man sich – aber nicht etwa, indem man den kritisierten Inhalt zurücknimmt, sondern indem man es bedauere, falls sich jemand von der geäußerten Gemeinheit beleidigt fühle. Es sind Entschuldigungen, die öffentlichem Druck geschuldet sind und von denen jeder weiß, dass sie nicht ernst gemeint sind.«

Was Dieudonné nicht beabsichtigt haben will

Zwei aktuelle Beispiele sind Dieudonné und Ilhan Omar. Der französische Komiker Dieudonné M’Bala M’Bala ist Frankreichs wohl populärster Antisemit. Zu seinen Shows kamen früher regelmäßig über tausend Zuschauer, allerdings sind seine Auftritte in den letzten Jahren weniger geworden, seit der damalige Innenminister Manuel Valls im Jahr 2014 die Präfekten und Bürgermeister dazu aufrief, Auftrittsverbote zu prüfen.

Vivienne Walt, eine Journalistin des Time Magazine, berichtete damals über eine Veranstaltung Dieudonnés, die nicht gefilmt werden durfte. Dieudonné, so Walt, erschien in orangefarbener Kleidung auf der Bühne, wie sie die Gefangenen im Lager Guantanamo tragen müssen. Er zielte mit einem Spielzeuggewehr auf das Publikum und tat so, als würde er Kugeln verschießen. Dann sagte er:

»Wenn unglücklicherweise ein Journalist unter den Opfern wäre – noch dazu ein Jude ­–, würden sie die Nürnberger Prozesse wiedereröffnen.« 

Dieudonné scherzte darüber, wie er sich im Gefängnis einmal Rat bei einem Mörder geholt habe, wie man am besten einen Mord begehe. Der Mörder habe zu ihm gesagt: »Probier es erst einmal an einem Juden aus.« Im Jahr 2008 lud Dieudonné den Holocaustleugner Robert Faurisson zu einem seiner Auftritte ein und verlieh ihm einen »Preis für Unverfrorenheit«. Die »Auszeichnung in Form eines dreiarmigen Kerzenleuchters«, so Zeit Online»ließ er von einem als KZ-Häftling verkleideten Mann mit Judenstern überreichen«.

Dieudonné ist ein Freund des Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen und des ehemaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. 2004 kandidierte er mit einer »Antizionistischen Partei« erfolglos bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. Häufig haben Gerichte ihn im Lauf der Jahre wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Leugnung des Holocaust verurteilt. Einmal sagte er über einen Radiomoderator, ihm zuzuhören erinnere »an die Gaskammern der Nazis«. Auch wegen Billigung von Terrorismus wurde er bestraft, nachdem er sich 2015 über die Opfer der Terroranschläge auf Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt HyperCacher lustig gemacht hatte.

Nun hat Dieudonné in einer französischen Monatszeitschrift namens Israël Magazine einen Brief veröffentlicht, in dem er sich scheinbar bei Frankreichs Juden entschuldigt. Er behauptet darin, sich darauf vorzubereiten, demnächst in den »Ruhestand« zu gehen, »nach Kamerun«, »dem Boden meiner Ahnen«. Frankreich, die bisherige Stätte seines Wirkens, wolle er »in Frieden verlassen« und sich deshalb entschuldigen:

»Ich bitte um Verzeihung … Ich bitte einfach um Vergebung für das Böse, das ich getan haben könnte, selbst wenn ich es nicht beabsichtigte.«

Über den Brief berichtete unter anderem die israelische Tageszeitung Haaretz. Die Autorin Eleonore Weil rückte die Skepsis in den Mittelpunkt, die Frankreichs Juden gegenüber der vorgeblichen Entschuldigung haben. Frankreichs jüdische Studentenvereinigung UEJF verurteile den Versuch, jemanden zu rehabilitieren, »der wiederholt für seine rassistischen, antisemitischen und revisionistischen Äußerungen« aufgefallen sei, schrieb die Organisation auf Twitter: »Seit er den Holocaustleugner Faurisson auf die Bühne brachte, als Antizionist‹ kandidierte und in sozialen Netzwerken zum Hassprediger wurde, ist Dieudonné kein Komiker mehr.«

Das sogenannte Entschuldigungsschreiben sei daher »nur ein Betrug«. Der Rechtsanwalt Patrick Klugman, ehemaliger Präsident des UEJF, wies auf Twitter darauf hin, dass gespielte Entschuldigungen seit Langem zu Dieudonnés Bühnenrepertoire gehören.

Was Ilhan Omar nicht gewusst haben will

Zu früheren Äußerungen Stellung bezogen hat auch Ilhan Omar, die wegen ihres Antisemitismus umstrittene Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses aus Minneapolis, Minnesota. Sie war Anfang Februar mit den Stimmen der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus aus dem Auswärtigen Ausschuss der Kammer abgewählt worden. In der Vergangenheit hatte sie antisemitische Klischees verbreitet über eine Verschwörung, die mit jüdischem Geld den amerikanischen Kongress kontrolliere; Israel habe zudem die Welt »hypnotisiert«, um ungestört »böse Taten« vollbringen zu können. 

Dafür hatte sie sich entschuldigt. Nun erklärte sie während eines Interviews in der CNN-Sendung »State of the Union« gegenüber der Moderatorin Dana Bash, sie habe gar nicht gewusst, dass das antisemitisch sei. Bash sagte, sie habe – im Vorfeld von Omars Abwahl – von einer »Liste« erfahren, die Republikaner bei einem »privaten Treffen« präsentiert hätten. Darauf hätten Äußerungen Omars gestanden.

Bash weiter: »Darin steht, dass ›Israel die Welt hypnotisiert‹ habe. Sie sagten, Israel sei ein Apartheidregime; dass es Politikern mit einer pro-israelischen Haltung ›nur um die Benjamins‹ [Hundert-Dollar-Noten, auf denen Benjamin Franklin abgebildet ist; S. F.] gehe, wofür Sie sich besonders entschuldigt haben. Dass Sie die BDS-Bewegung unterstützen, von der viele Leute denken, dass sie im Antisemitismus verwurzelt ist. Sie haben die USA und Israel mit der Hamas und den Taliban verglichen. Ich möchte Ihnen die Möglichkeit geben, auf all das zu reagieren, was, wie [die Republikaner; S. F.] sagen, ein klares Muster ist.« Omar antwortete:

»Ich habe damals vielleicht Worte verwendet, von denen ich nicht verstand, dass sie etwas mit Antisemitismus zu tun haben. Als ich darauf aufmerksam gemacht wurde, entschuldigte ich mich. Ich habe es zugegeben. Das ist die Art von Person, die ich bin. Ich arbeite weiterhin mit meinen Kollegen und meiner Gemeinde zusammen, um gegen Antisemitismus zu kämpfen.«

Sie habe »nicht gewusst«, so Omar auf die Frage, was sie in ihrer Zeit im Kongress gelernt habe,

»dass das Wort ›hypnotisiert‹ ein Klischee ist. Ich war mir der Tatsache nicht bewusst, dass es Klischees über Juden und Geld gibt. Das war ein sehr aufschlussreicher Teil dieser Reise.«

Ilhan Omar will also nicht gewusst haben, dass es Klischees über Juden und Geld gibt. Dabei war sie letztes Jahr sogar vom Fernsehsender MSNBC als Expertin zum Thema Antisemitismus zugeschaltet

Wie dem auch sei, was der Fall im Fortgang deutlich zeigte, ist, dass antisemitische Äußerungen, die in den sozialen Medien getätigt werden, nicht beim Sprecher bleiben, sondern von anderen aufgenommen werden, die daran anknüpfen und sie weiterspinnen. Der populäre Podcast-Moderator Joe Rogan, der von über zwölf Millionen Menschen gehört wird, verteidigte in einer Folge seiner Sendung »The Joe Rogan Experience«, die auf Spotify veröffentlicht wurde, Omars Äußerung über die »Benjamins«:

»Es geht nur um Geld – sie redet nur über Geld. Das ist keine antisemitische Aussage, das glaube ich nicht. Benjamins sind Geld. Die Vorstellung, dass Juden kein Geld mögen, ist lächerlich. Das ist, als würde man sagen, Italiener mögen keine Pizza. Es ist verdammt dumm. Es ist verdammt dumm.«

Rogan sagt hier also, dass die von Antisemiten behauptete angebliche besondere Verbindung zwischen Juden und Geld – die so eng sein soll, dass sie einen Wesenszug der Juden bilde und diesen die Macht gebe, die Welt zu kontrollieren – eine Tatsache sei, so gut belegt (und so unschuldig!) wie die zwischen einem Essen und dem Land, aus dem es kommt. Und was ist eigentlich mit dem Geld und den Nichtjuden? Ist denn nicht auch die Vorstellung »lächerlich«, dass diese »kein Geld mögen«? Dazu sagt Rogan nichts. 

Ted Deutch, Vorsitzender des American Jewish Committee (AJC) und ehemaliger Kongressabgeordneter der Demokraten, twitterte: »Joe Rogan, Sie verteidigen Ilhan Omars frühere antisemitische Kommentare und berufen sich dabei auf die gleichen Klischees, die seit Jahrhunderten zur Verfolgung von Juden verwendet werden. Bei einem Millionenpublikum ist es gefährlich, so leichtfertig mit antisemitischen Stereotypen umzugehen.«

Ian Haworth, ein jüdischer Kolumnist des konservativen Blogs Washington Examinerschrieb auf Twitter, Joe Rogans Vergleich ergäbe nur dann Sinn, »wenn Juden das Geld erfunden und/oder Italiener wegen einer Verschwörung, dass sie die Welt durch Pizza kontrollieren, massakriert worden wären«.

Antisemiten berufen sich auf Kanye West

Welche Folgen es hat, wenn Prominente sich antisemitisch äußern, zeigt auch der Fall des Rappers Ye, ehemals Kanye West. Am 8. Oktober letzten Jahres hatte West in einem mittlerweile gelöschten Tweet geschrieben, er gehe in »defcon 3 … gegenüber Juden«. Beim amerikanischen Militär bedeutet »defcon 3« erhöhte Alarmbereitschaft. Weiter schrieb West, er könne

»gar nicht antisemitisch sein, weil Schwarze Menschen eigentlich Juden sind. Außerdem habt ihr lange genug mit mir gespielt und versucht jeden, der sich eurer Agenda widersetzt, fertig zu machen.«

Seither hat die jüdische Bürgerrechtsorganisation ADL nach eigenen Angaben eine Vielzahl antisemitischer Vorfälle verzeichnet, in denen mit den Worten »Ye is right« (»Ye hat Recht«) positiv auf Wests Äußerungen Bezug genommen wird. Eine rechtsextreme Gruppe namens Groypers besuchte in den letzten Wochen mehrere Universitäten in Florida und Alabama, um dort unter dem Slogan »Ye is right, change my mind« (»Ye hat Recht, ändere meine Ansicht«) mit Äußerungen wie »Ich bin Holocaustrevisionist« zu provozieren. Studenten, die sich empört zeigen, werden gefilmt und in YouTube-Clips wie diesem lächerlich gemacht. 

Laut einer Umfrage des AJC sagten 41 Prozent der amerikanischen Juden, dass sie sich im Jahr 2022 in den USA weniger sicher fühlten als im Jahr zuvor. 55 Prozent sagten, ihr Gefühl sei unverändert. Nur vier Prozent gaben an, sich sicherer zu fühlen. Diejenigen, die sich weniger sicher fühlten, machten dafür unter anderem einen von ihnen wahrgenommenen Anstieg antisemitischer Angriffe verantwortlich (27 Prozent), das Gefühl, dass Antisemitismus und Rassismus offener zutage träten und stärker gebilligt würden (27 Prozent) und die Wahrnehmung, dass es mehr rechtsextreme Gruppen gebe (17 Prozent).

Teil 1 finden Sie hier: »Wenn Antisemiten sich entschuldigen«

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