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WDR-Moderatorin Nemi El-Hassan: Es bleiben viele Zweifel

Antisemitischer Quds-Marsch 2014 in Berlin
Antisemitischer Quds-Marsch 2014 in Berlin (© Imago Images / IPON)

Nemi El-Hassan sollte das WDR-Format Quarks moderieren, doch dann wurde bekannt, dass sie sich vor einigen Jahren in radikal islamistischen Kreisen bewegte. Davon hat sie sich distanziert, dennoch bleiben Widersprüche, Ungereimtheiten und Fragen. Zudem ist ihr Israelbild weiterhin höchst problematisch. Linke und Linksliberale verteidigen sie nun und sehen eine rassistische Kampagne am Werk. Damit machen sie es sich viel zu einfach.

Ein Gedankenexperiment, angeregt durch einen Twitter-Thread von Jonas Kruthoff: Einmal angenommen, es würde bekannt, dass der designierte Moderator einer Wissenschaftssendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit Anfang zwanzig in äußerst rechten Kreisen unterwegs war. Sagen wir, er wäre regelmäßig im Umfeld des Studienzentrums Weikersheim, der Identitären Bewegung und deutschnationaler Studentenverbindungen anzutreffen gewesen und hätte auch mal an einer Demonstration von Neonazis teilgenommen, auf der antisemitische und rassistische Parolen gerufen wurden und bei der es zu tätlichen Angriffen auf Gegendemonstranten kam.

Weiterhin angenommen, der Betreffende hätte die Verbindungen zu diesen Kreisen inzwischen abgebrochen. Er hätte sich zudem in öffentlich-rechtlichen Formaten mit Antisemitismus auseinandergesetzt – genauer gesagt: mit dessen islamistischer Variante, nicht mit der rechtsextremen – und hielte sich ansonsten mittlerweile vor allem im links-alternativen Milieu auf.

Nun, da er zum Moderator einer angesehenen Sendung befördert werden soll, wäre also seine Vergangenheit ans Tageslicht gekommen, inklusive der Teilnahme an der Neonazi-Demonstration. Daraufhin hätte es deutliche Kritik gegeben, und manche hätten die Frage gestellt, ob so einer wirklich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wirken sollte.

Nehmen wir ferner an, derjenige hätte sich (erst) danach in einem Interview öffentlich zwar von seinem alten Milieu distanziert, die Teilnahme an der Demonstration aber nur als „falsches Mittel“ bezeichnet und sich rückblickend „unreflektiert und uninformiert“ genannt, seine damalige Grundhaltung aber keineswegs als rechtsextrem betrachtet.

Würden Linke und Linksliberale eine solche Erklärung als nachdrücklichen Ausstieg aus der völkischen Rechten betrachten und dazu aufrufen, man möge den Betreffenden nun doch bitte endlich in Ruhe lassen und nicht weiter seiner Vergangenheit nachspüren, zu der er doch auf Abstand gegangen sei?

An manchen Beteuerungen sind Zweifel angebracht

Vermutlich nicht, denn bevor ein solcher Ausstieg als glaubhaft und endgültig bewertet werden kann, sind doch einige Kriterien zu erfüllen: Es müssen alle, aber auch wirklich alle Brücken zur rechtsextremen Szene abgebrochen und sämtliche Wege zurück verbaut worden sein, Informationen zu dieser Szene müssen offengelegt werden, der Bruch muss nachvollziehbar sein.

Gerade antifaschistische Organisationen schauen da aus guten Gründen sehr genau hin. Warum werden dann aber „diese Kriterien über Bord geworfen, wenn es um islamistische Rechte geht?“, fragt Kruthoff mit Blick auf die Causa Nemi El-Hassan.

Die heute 28-Jährige, die eigentlich ab November die WDR-Wissenschaftssendung Quarks moderieren sollte, hat im Jahr 2014 bekanntlich an der islamistischen und antisemitischen Al-Quds-Demonstration in Berlin teilgenommen, sie pflegte Kontakte zum Islamischen Zentrum Hamburg, einem Außenposten des iranischen Regimes.

Mit dieser Szene hat sie nichts mehr zu tun, und für ihre damaligen Aktivitäten schämt sie sich, wie sie glaubhaft versichert. Auch den Hijab hat El-Hassan abgelegt. Dennoch wirken Teile ihrer Erklärungen im Spiegel-Interview arg dünn.

Sie habe mit der Teilnahme an der Al-Quds-Demo lediglich ihre „Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern ausdrücken“ wollen und sei „nicht wegen einer antisemitischen Grundhaltung“ dort gewesen, sagt sie beispielsweise. Sie konnte auch lediglich „nicht ausschließen, Dinge gesagt zu haben, die antizionistisch sind und Israelfeindlichkeit bedienen“.

Dem Staat Israel spreche sie „nicht das Existenzrecht ab“, und sie hasse ihn auch nicht, beteuert Nemi El-Hassan. Doch das Internet vergisst wenig, und deshalb sind Zweifel an solchen Versicherungen angebracht, wenn man sich Beiträge von ihr in den Social Media ansieht, die neueren Datums sind, das heißt, erst vor wenigen Monaten von ihr gepostet wurden.

El-Hassan hält Israel für einen Apartheidstaat

Aus ihnen geht etwa hervor, dass El-Hassan Israel für einen Apartheidstaat hält und ein „Rückkehrrecht für PalästinenserInnen auf der ganzen Welt“ fordert – was dazu führen würde, dass Israel kein jüdischer Staat mehr ist.

Durch diesen Kontext müssen diejenigen ihrer Follower auf der Plattform Instagram, die mit der Geschichte des Nahen Ostens nicht ganz so vertraut sind, auch annehmen, dass El-Hassans Großmutter 1948 von Israelis aus Nablus vertrieben wurde. Diese Stadt war aber nie israelisch und zudem in jenem Jahr von Jordanien besetzt. El-Hassan hat es jedoch unterlassen, das im betreffenden Beitrag deutlich zu machen.

Man tritt ihr wohl nicht zu nahe, wenn man resümiert, dass ihr antiisraelisches Mindset weiterhin existiert – so weit geht ihre Distanzierung von früheren Positionen dann nämlich doch nicht.

Es ist aufschlussreich, wie viele Linke und Linksliberale, die bei vermeintlichen oder tatsächlichen Aussteigern aus der ultrarechten Szene richtigerweise sehr genau hinsehen, ob der Ausstieg auch wirklich erfolgt ist, es bei Nemi El-Hassan nicht nur weniger genau nehmen, sondern sich sogar mit ihr solidarisieren.

Dabei sollte die Zugehörigkeit zu einer islamistischen Szene, die Israel und den Juden nichts als Tod und Verderben wünscht, nicht anders bewertet werden als das Mitmachen bei Rechtsextremen. Auch die Kriterien, die an einen Ausstieg angelegt werden, sollten sich nicht groß voneinander unterscheiden.

Bei jemandem, der früher in der rechtsextremen Szene unterwegs war, würde man die Tatsache, dass er sich nunmehr in seiner Arbeit zwar mit Antisemitismus beschäftigt, aber nur mit dessen islamischer Ausprägung, gewiss als starkes Indiz dafür betrachten, dass er den ultrarechten Judenhass für weniger bedeutsam hält.

Man würde vermutlich in Zweifel ziehen, dass er wirklich auch ideologisch alle Verbindungen zu seinem alten Milieu gekappt hat und ihm vorhalten, dass ihn Antisemitismus offenbar nur kümmert, wenn er von Muslimen ausgeht.

Undifferenzierte Solidarisierung

Dass El-Hassan sich nur mit dem Judenhass rechtsextremer Provenienz befasst hat, nicht aber mit dem Antisemitismus in seiner islamischen und seiner israelbezogenen Form – die für jene Szene, der sie früher angehörte, konstitutiv sind –, halten ihre Verteidigerinnen und Verteidiger dagegen für unproblematisch.

In einer Erklärung mit dem Titel „Solidarität mit Nemi El-Hassan“ legen mehr als 400 von ihnen dann auch einen ganz anderen Schwerpunkt: Sie halten die Diskussion für eine „rechte Diffamierungskampagne“ mit „rassistischen Untertönen“. El-Hassan werde „aufgrund ihrer palästinensischen Herkunft und ihrer muslimischen Identität zur Zielscheibe von Hass und Hetze“.

Nun ist nicht von der Hand zu weisen, dass es diese Untertöne in der Debatte tatsächlich gibt und dass sie unüberhörbar sind. Sie stammen nicht zuletzt aus der AfD und dem ihr nahestehenden Milieu – und selbstverständlich ist Nemi El-Hassan dagegen unbedingt in Schutz zu nehmen.

Zu Recht schreibt der nordrhein-westfälische Linken-Politiker Daniel Schwerd in einem lesenswerten Twitter-Thread: „Viele Rechte und Rassisten sind immer dann mit Antisemitismus-Vorwürfen laut, wenn es sich um Muslime handelt. Wenn es aber um weißen, deutschen Antisemitismus geht, sind sie entweder leise oder entrüstet.“

Ebenso zu Recht bleibt Schwerd dabei aber nicht stehen. „Die Kritik an der Demonstrationsteilnahme El-Hassans sowie an einigen weiteren Äußerungen von ihr in der Vergangenheit ist absolut berechtigt“, fährt er fort. In der Unterstützungserklärung zugunsten El-Hassans werde nicht ausreichend differenziert. „Die Vorwürfe werden pauschal zurückgewiesen und mit der Instrumentalisierung aus [der] rechte[n] Ecke in einen Topf geworfen. Das ist falsch und unfair.“

Mit El-Hassans Erklärungen seien „nicht alle Bedenken automatisch ausgeräumt“. Es gebe „noch ungeklärte Fragen, ihre Stellungnahme wird auch hinterfragt“. Das habe seinen Grund und seine Berechtigung.

„Israelkritiker“ springen El-Hassan zur Seite

Mit Blick auf viele Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Solidaritätserklärung muss man allerdings konstatieren, dass sie die von Schwerd angemahnte Differenzierung gar nicht wollen. Unter ihnen finden sich etliche bekannte „Israelkritiker“ und Vertreter der postkolonialen Theorie, die beispielsweise auch schon zu den Debatten um den kamerunischen Historiker und Philosophen Achille Mbembe, um die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und um den „Historikerstreit 2.0“ höchst kritikwürdige Beiträge geleistet haben. Auch Befürworter der antisemitischen BDS-Bewegung haben die Erklärung für Nemi El-Hassan unterschrieben.

Sie alle dürften mit den jüngeren Ausführungen El-Hassans über den jüdischen Staat nicht nur kein Problem haben, sondern ihnen vielmehr ausdrücklich zustimmen. In diesen Kreisen ist man ohnehin schnell bei der Hand, wenn es darum geht, die Kritik des islamischen und des israelbezogenen Antisemitismus als „rassistisch“ und als „antipalästinensisch“ zu brandmarken.

Wer auch jetzt noch darauf besteht, dass El-Hassans Distanzierung nicht vollumfänglich überzeugend ist und ihre Ausführungen zu Israel reichlich problematisch sind, betreibt in den Augen dieser Leute offenbar zwangsläufig das Geschäft von AfD, Springer-Medien und Rassisten. Das ist absurd.

„Es muss Platz für das Eingeständnis von Fehlern, aus denen man gelernt hat, und für Abbitte geben – ohne Gefahr zu laufen, innerhalb weniger Stunden vor den Trümmern der eigenen Existenz zu stehen“, heißt es in der Solidaritätserklärung.

Dieser Satz, der eine Forderung darstellt, ist zweifellos richtig. Es muss aber auch möglich sein, ein solches Eingeständnis zu hinterfragen, wenn sich darin Widersprüche und Ungereimtheiten auftun – ohne Gefahr zu laufen, jenen Kräften zugerechnet zu werden, denen es tatsächlich um rassistische Diffamierung geht. Antisemitismus ist schließlich kein Kavaliersdelikt.

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