Die aktuellen Berichte über Ankaras Absicht, ein Verteidigungsabkommen mit Damaskus abzuschließen, unterstreichen erneut die wachsende Rolle der Türkei auf syrischem Gebiet.
Vor dem Besuch des neuen syrischen Präsidenten Ahmed al-Sharaa in Ankara in der vergangenen Woche berichteten regierungsnahe Journalisten dem amerikanischen TV-Kanal Alhurra, dass in politischen Kreisen über die Absicht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gesprochen wurde, die Möglichkeit der Unterzeichnung von Militärabkommen mit Damaskus zu erörtern. Laut den Quellen umfassen diese Abkommen eine »gemeinsame Verteidigung, die Einrichtung offizieller türkischer Stützpunkte in Syrien und die Ausbildung syrischer Offiziere und Piloten«.
Zuvor zitierte die Nachrichtenagentur Reuters vier als »informiert« bezeichnete Quellen, die ebenfalls über ein mögliches Verteidigungsabkommen zwischen den beiden Ländern sprachen, das die »Einrichtung türkischer Luftwaffenstützpunkte in Zentralsyrien und die Ausbildung der neuen syrischen Armee« umfasse. Konkret hieß es, das Abkommen solle die Einrichtung von zwei türkischen Militärstützpunkten in dem als Badia bekannten Wüstengebiet in Zentralsyrien beinhalten, wodurch die Türkei den syrischen Luftraum im Fall eines künftigen Angriffs verteidigen könnte.
Neue Details
In den Aussagen von al-Sharaa und Erdoğan bei der Pressekonferenz in Ankara wurde jedoch nicht direkt auf diese Vereinbarungen Bezug genommen. Der syrische Übergangspräsident sendete allerdings implizit Botschaften in diese Richtung. So sagte Ahmed al-Sharaa, seine Regierung strebe »eine strategische Partnerschaft« mit der Türkei an, »um Sicherheitsbedrohungen zu begegnen und dauerhafte Sicherheit und Stabilität für Syrien und die Türkei zu gewährleisten«. Darüber hinaus arbeiteten Ankara und Damaskus gemeinsam an den übrigen wichtigen strategischen Fragen und Problemen.
Türkische Diplomaten wiederum berichteten der katarischen Zeitung Al-Araby Al-Jadeed, Sicherheits- und Verteidigungsfragen hätten die Gespräche zwischen Erdoğan und al-Sharaa dominiert. Beide Seiten, »wollen eine türkische Militärbasis in Zentralsyrien errichten und dabei die T-4-Basis in der Nähe der Stadt Palmyra mitten in der syrischen Wüste nutzen«, die in der Vergangenheit unter anderem vom Iran benutzt worden war.
Syrische Militärquellen hatten Al-Araby Al-Jadeed zuvor auf die Möglichkeit hingewiesen, türkische Streitkräfte könnten in naher Zukunft in neuen Gebieten in Zentral- und Südsyrien stationiert werden. Sie bestätigten auch, die in der Region Idlib im Nordwesten des Landes stationierten türkischen Streitkräfte würden sich darauf vorbereiten, einen Teil ihrer Militärstützpunkte in die Gebiete von Homs in Zentralsyrien und in die ländlichen Regionen von Damaskus und Quneitra in West- und Südsyrien zu verlegen. Laut denselben Quellen würden diese Stützpunkte die bisherigen russischen Militärbeobachtungsposten ersetzen.
Ein Beamter des türkischen Verteidigungsministeriums erklärte jedoch in einer am vergangenen Donnerstag von mehreren Plattformen veröffentlichten Pressekonferenz, es sei »zu früh«, um Verteidigungsabkommen mit Syrien zu besprechen. Seine Aussage dementierte die zuvor bekannten Berichte zu dem Thema allerdings auch nicht vollständig.
Türkische Expansion
Die in London ansässige Zeitung Al-Arab zitierte Beobachter mit der Aussage, das erwartete Verteidigungsabkommen deute auf die Bemühungen Ankaras hin, den russischen Einfluss in Syrien zu ersetzen, insbesondere angesichts der stockenden Verhandlungen über den Verbleib russischer Stützpunkte auf syrischem Gebiet. Darüber hinaus sei das Verteidigungsabkommen eine Fassade für weitere detaillierte Vereinbarungen, die türkischen Unternehmen den Weg zur Kontrolle der syrischen Wirtschaft ebnen sollen, während die Leiter türkischer Unternehmen und Verbände angeben, an der Einrichtung neuer Schifffahrtsrouten zu arbeiten und Investitionspläne zur Steigerung der Produktionskapazität in Syrien zu entwickeln.
In der Zwischenzeit erklärte der auf den Nahen Osten spezialisierte Politanalyst Mohammed Al-Afandy gegenüber France 24, der Rückgang des russischen Einflusses in Syrien nach dem Sturz des Regimes von Baschar al-Assad habe die Rolle der Türkei gestärkt. »Die politischen Entscheidungen der neuen syrischen Behörden tendieren in Richtung Türkei«, während die islamistischen Hayat Tahrir al-Sham Milizen von al-Sharaa, welche die Operation zur Übernahme der Kontrolle über Damaskus anführten, ursprünglich von der Türkei in Idlib unterstützt wurden. »Die Türkei wird die syrische Außenpolitik in gewisser Weise beeinflussen.«
Der Forscher am Thinktank Harmoon Center, Mohammed Al-Sakri, meint, die aktuelle Lage sei durch gemeinsame syrisch-türkische Interessen gekennzeichnet, »insbesondere, da die Türkei ein grundlegender Unterstützer der Transformationen und der politischen Szenerie in Syrien ist«. Al-Sakri geht bei seinen Einschätzungen davon aus, dass es keinen Wettbewerb und Konflikt zwischen der Türkei und anderen Regionalmächten wie Saudi-Arabien geben wird, »sondern vielmehr einen syrischen Versuch, die Beziehungen zu beiden Ländern auszugleichen«.
Andere Beobachter hingegen gehen allerdings sehr wohl davon aus, dass die intensiven Schritte Ankaras in seinem südlichen Nachbarland zu einem Wettbewerb mit anderen regionalen Ländern führen könnten, die ebenfalls versuchen, ihren Einfluss in Syrien auszubauen, insbesondere wird hier das oben zitierte Golfkönigreich Saudi-Arabien genannt, das auch in anderen Bereichen mit der Türkei in Konkurrenz steht.