Erdogan glaubt, sich nicht allein auf die Armee verlassen zu können. Also treibt er den Aufbau einer Garde voran, ähnlich den iranischen Revolutionsgarden, die zusehends auch im Ausland militärisch tätig wird.
Im Verhältnis zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und den türkischen Streitkräften herrscht seit einigen Jahren gegenseitiges Misstrauen vor. Zugleich sind beide Seiten aufeinander angewiesen und agieren gegenwärtig in gemeinsamer Sache sowohl in Syrien als auch in Libyen. Im Machtgerangel ist eine Parallelstruktur entstanden, zu denen auch die paramilitärischen Kräfte SADAT gehören. Sie treten nach außen klandestin auf und sind operativ seit einigen Jahren in Syrien aktiv – und zunehmend auch in Libyen.
Spätestens nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 gibt es stichhaltige Hinweise, die darauf hindeuten, dass Erdoğan die Zusammenarbeit mit den Paramilitärs gestärkt hat. Dafür spricht erstens, dass Kräfte um SADAT in der berüchtigten Putschnacht auf den Straßen unterwegs waren und dazu beitrugen, dass der Putschversuch scheiterte.
Zweitens berief Erdoğan unmittelbar nach dem Putschversuch im August 2016 den ehemaligen General und Gründer von SADAT, Adnan Tanrıverdi, zu seinem wichtigsten Militärberater. In dieser Funktion ist Tanrıverdi maßgeblich an der Koordinierung des Syrien- und Libyen-Einsatzes beteiligt. Denn in Syrien und Libyen treiben nicht nur Putins Söldner – die Wagner-Gruppe – ihr Unwesen. SADAT tritt inzwischen offiziell auch in Libyen auf, und übernimmt die Ausbildung und Rekrutierung syrischer Söldner, die in Libyen stellvertretend für die Türkei kämpfen.
Eine vorbelastete Vergangenheit
Dabei ist Adnan Tanrıverdi nicht gerade der ganze Stolz der türkischen Streitkräfte. Er wurde zwar in den türkischen Landstreitkräften als Artillerieoffizier ausgebildet und ist dort bis zum Brigadegeneral aufgestiegen. 1997 wurde er allerdings wegen Islamismusverdacht aus den Streitkräften entlassen.
Danach verschwand er für einige Jahre von der Bildfläche, arbeitete kurzweilig als Kolumnist für die türkisch-islamistische Tageszeitung Akit und gründete im Jahre 2012 mit einigen anderen aus dem Militär entlassenen Offizieren das Sicherheitsunternehmen SADAT. Laut eigener Auskunft bezweckt SADAT „eine defensive Zusammenarbeit zwischen islamischen Ländern aufzubauen, um der islamischen Welt zu helfen, den Platz einzunehmen, den sie unter den Supermächten verdient.“ Dazu biete die Gruppe „Beratungs- und Schulungsdienste“ an.
SADAT hat sich sehr wahrscheinlich die russische Wagner-Gruppe von Jewgeni Prigozhin zum Vorbild genommen. Die Organsiation ist maßgeblich an der Ausbildung sunnitisch-arabischer Kämpfer in der Türkei für den Kampf gegen Assad beteiligt.
Bereits 2012 berichtete die türkische Tageszeitung Aydinlik, dass SADAT zu Beginn des Bürgerkrieges in Syrien eine Reihe von Ausbildungscamps in der Marmararegion errichtet haben soll. Mindestens eine dieser Ausbildungseinrichtungen soll sich an einem türkischen Militärstützpunkt im Golcuk-Distrikt von Kocaeli befinden, der früher von der türkischen Marine als Ausbildungszentrum unterhalten wurde.
Im Mai 2017 fragte Michael Rubin in einem Beitrag für das American Enterprise Institute, ob SADAT zu Erdogans Revolutionsgarde aufgestiegen sei. Er kommt zu dem Schluss, dass Erdoğan sich zunehmend der Gefahr bewusst werde, dass er sich zur Stützung seines Regimes nicht allein auf die türkische Armee verlassen könne. Darum strebe er einer nach ihm untergebenen „Garde“ – ähnlich den iranischen Revolutionsgarden –, um sein operatives Feld sowohl im In- als auch im Ausland zu erweitern. Und darum auch stütze er sich immer öfters auf SADAT, und nicht etwa auf die türkische Armee, wenn es um militärisch heikle Missionen im Ausland geht.
SADAT in Libyen
Diese These wird durch die jüngere Entwicklung in Libyen gestützt, wo SADAT laut eigener Auskunft seit Mai 2013 operativ tätig ist. Inzwischen kann sich SADAT auf den Parlamentsbeschluss vom 7. Januar berufen, der Erdoğan die Ermächtigung erteilt hat, auch „zivile Personen und private Verteidigungs- und Sicherheitsorganisationen“ nach Libyen zu entsenden.
Dieser maßgeschneiderte Beschluss, der nachträglich legitimiert, was zuvor bereits umgesetzt worden ist, ermöglicht den legalen Transfer syrischer Söldner, die in Syrien rekrutiert und in der Türkei ausgebildet werden. Rund 2.000 syrische Söldner kämpfen bereits in Libyen, einige sind bereits gestorben.
Für SADAT bietet Libyen in erster Linie die Möglichkeit, dem türkischen Regime das eigene „Portfolio“ anzubieten und vor Ort umzusetzen. Da die türkische Armee nur beschränkt in der Lage ist, in Libyen aktiv einzugreifen, und aus verschiedenen Gründen daran nicht sonderlich interessiert scheint, wird aktuell die Operation in Libyen von Erdoğan an SADAT delegiert. Die Kampftruppe scheint dabei einem seltsam anmutenden Ruf in ideologischer Mission zu folgen.
Der Mahdi wird kommen
So verkündete SADAT-Gründer Tanrıverdi Ende Dezember 2019 auf einer Konferenz an der Universität Üsküdar in Istanbul:
„Wird es eine islamische Einheit geben? Ja, die wird es geben. Wann? Wenn der Mahdi kommt. Wann kommt der Mahdi? Nur Allah weiß das. Bis er ankommt, müssen wir vorbereitet sein.“
Der Glaube an einen Mahdi, der kurz vor Armageddon kommen soll, existiert sowohl im schiitischen als auch im sunnitischen Islam. Im Schiitentum, wo der Glaube an den Mahdi eine wichtigere Rolle spielt, soll der Mahdi der letzte der zwölf Imame sein. Nichtsdestotrotz ist auch im Sunnitentum der Glaube an den Mahdi präsent, wenn auch nicht so stark. Darauf bezog sich Tanrıverdi, dem zur Mobilisierung seiner Leute nach Libyen offensichtlich nichts Besseres einfiel als auf die mythische Endschlacht zwischen Gut und Böse zu verweisen, in die der Mahdi die Gläubigen der Überlieferung nach führen wird.
Sein Vorstoß blieb jedoch nicht ohne Reaktion. Nach Kritik an seiner Rede erklärte er seinen Rücktritt als Militärberater, was Erdoğan akzeptierte. An seiner Rolle in Libyen dürfte das allerdings nichts ändern. Er bleibt weiterhin Erdoğans Mann in Libyen.