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Von Teheran nach Durban: Wie die Israel-Boykottbewegung entstand

"Die Israel-Boykottbewegung" von Alex Feuerherdt und Florian Markl ist dieser Tage beim Verlag Hentrich & Hentrich erschienen.
"Die Israel-Boykottbewegung" von Alex Feuerherdt und Florian Markl ist dieser Tage beim Verlag Hentrich & Hentrich erschienen.

Vorabdruck aus dem gerade erschienenen Buch „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“.

Alex Feuerherdt / Florian Markl

Die Israel-Boykotteure sind erstaunlich wortkarg darüber, dass sie mit ihrer Kampagne im Grunde nur in die Fußstapfen der jahrzehntelang von den arabischen Staaten versuchten Blockade Israels treten. Statt dieses historische Erbe anzuerkennen, behaupten sie viel lieber, mit ihren Aktivitäten nur einem Aufruf aus dem Jahr 2005 zu folgen, in dem die „palästinensische Zivilgesellschaft“ einen Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel gefordert habe. (…)

Eine „Weltkonferenz gegen Rassismus“

Omar Barghouti, einer der zentralen palästinensischen BDS-Aktivisten, schreibt in seinem Buch über die Wurzeln der Bewegung: „In einem historischen Moment kollektiven Bewusstseins und mit einem annähernd ein ganzes Jahrhundert währenden Kampf gegen den zionistischen Siedlerkolonialismus als Erfahrung rief die palästinensische Zivilgesellschaft in ihrer überwältigenden Mehrheit zu Boykott, Desinvestment und Sanktionen […] gegen Israel auf.“ Er ließ unerwähnt, dass der Ursprung von BDS weniger auf das das Jahr 2005, als vielmehr auf 2001 zurückgeht – und man den Blick nicht gen Ramallah, sondern Richtung Teheran und auf das südafrikanische Durban richten muss.

Im Spätsommer 2001 fand die von den Vereinten Nationen organisierte „World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance“ statt. Es sollte nach den Genfer Konferenzen von 1978 und 1983 die dritte Veranstaltung dieser Art sein. Die ersten beiden hatten mit dem Kampf gegen das rassistische Apartheid-Regime in Südafrika ein alles beherrschendes Thema, auch wenn schon auf ihnen versucht wurde, Israel als vermeintlich rassistischen Unrechtsstaat an den Pranger zu stellen. Nicht zuletzt um die Überwindung der Apartheid zu würdigen, wurde für die dritte „Weltkonferenz gegen Rassismus“ mit Durban ein Austragungsort in Südafrika gewählt.

Die Konferenz wurde unter die Schirmherrschaft der ehemaligen irischen Präsidentin und damaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, gestellt. Zur inhaltlichen Vorbereitung dienten vier Regionalkonferenzen sowie zwei Treffen in Genf, auf denen gemäß der entsprechenden Resolution der UN-Generalversammlung ein breites Themenfeld bearbeitet werden sollte. (…)

Von Teheran …

Schon vor dem Treffen in Teheran, das vom 19. bis 21. Februar 2001 über die Bühne ging, hatte sich abgezeichnet, dass es hier nicht mehr um den Kampf gegen Rassismus, sondern vielmehr um die Dämonisierung und Delegitimierung Israels gehen würde. Im August 2000 erfuhr das Simon Wiesenthal Center, dass Israelis und jüdische NGOs von der Vorbereitungskonferenz ausgeschlossen würden. Ein Appell an Mary Robinson, das Treffen deshalb in einer anderen asiatischen Stadt abzuhalten, wurde von dieser zurückgewiesen. Letztlich wurden zwar Visa an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jüdischer Organisationen ausgestellt, doch änderte das nichts an ihrem De-facto-Ausschluss, da ihnen die zeitgerechte Reise nach Teheran verunmöglicht wurde. Ebenso abwesend bleiben mussten die Vertreter kurdischer NGOs und der Bahai – vergeblich bemühte sich Robinson bei den iranischen Behörden um die Erteilung von Einreisegenehmigungen. (…)

Entgegen ihren Versicherungen, dass Israel als Beobachter bei der Konferenz anwesend sein könne, unternahm sie nichts, um dies auch sicherzustellen. Und damit ja nichts den antisemitischen Konsens in Teheran stören würde, wurde mit Australien und Neuseeland auch noch zwei als zu israelfreundlich geltenden Mitgliedern der Asiengruppe die Teilnahme an dem Treffen versagt. „Offenkundig betrieben die iranischen Behörden großen Aufwand, um die Beteiligung jedes Staates zu verhindern, der ihre Bemühungen zur Isolierung Israels gefährden könnte. Leider verabsäumte die Führung der Vereinten Nationen, ihnen entgegenzutreten.“

 Das UN-Mitglied Israel und seine möglichen Unterstützer blieben in Teheran somit von der Vorbereitung der „Weltkonferenz gegen Rassismus“ ausgeschlossen, weil die vom Hass auf den jüdischen Staat getriebene Haltung des iranischen Regimes von den Vereinten Nationen einfach stillschweigend akzeptiert wurde. (…)

In Teheran wurde deutlich, wie die arabischen respektive islamischen Staaten die Konferenz in Durban zu einer Propagandawaffe gegen Israel umzufunktionieren gedachten. Das dort ausgearbeitete Papier beinhaltete eine grundsätzliche Diffamierung Israels. Mary Robinson hatte für diese Hetze allerdings keine Worte der Kritik übrig, sondern lobte die Teilnehmer zum Abschluss der Konferenz stattdessen für ihre „Einigkeit“ und den „produktiven Dialog der Zivilisationen“. Auf die anti-israelische Hetze in der Teheraner Erklärung angesprochen, erklärte sie, diese „reflektiere“ die Situation in den „besetzten palästinensischen Gebieten“ – was nichts anderes als eine Rationalisierung und Legitimierung antisemitischen Hasses darstellte. (…)

… nach Durban

Die „Weltkonferenz gegen Rassismus“ war damit zu einer Farce verkommen, noch ehe sie begonnen hatte. Die USA schickten in Voraussicht auf das sich abzeichnende beschämende Schauspiel nur eine Delegation niederen Ranges nach Südafrika. Das Treffen der UN-Mitgliedsstaaten endete mit einem Eklat, als die israelischen und amerikanischen Delegationen als Zeichen des Protests gegen die dort vertretenen israelfeindlichen Inhalte abzogen. US-Außenminister Colin Powell verurteilte die „hasserfüllte Sprache“, die sich gegen nur ein Land der Welt richtete. (…)

War schon die intergouvernementale UN-Antirassismus-Konferenz von kaum gebremstem Hass auf den jüdischen Staat geprägt, so verblasste dieser angesichts dessen, was sich auf der parallel dazu veranstalteten Versammlung von Nichtregierungsorganisationen abspielte: offen zur Schau gestellter Antisemitismus, der bis zur Verteilung der „Protokolle der Weisen von Zion“ durch Palästina-Solidaritätsgruppen reichte. Der [US-Kongressabgeordnete und] Holocaust-Überlebende Tom Lantos, der 1928 als Kind einer jüdischen Familie in Budapest geboren worden und 1944 zweimal aus deutschen Zwangsarbeitslagern geflohen war, beschrieb, was sich rund um die NGO-Konferenz in Durban abspielte, folgendermaßen: Obwohl das Treffen eine breite Plattform für mehrere Tausend Mitglieder zivilgesellschaftlicher Gruppen aus aller Welt sein sollte,

„wurde es schnell von palästinensischen und fundamentalistischen arabischen Gruppen geprägt. Jeden Tag organisierten diese Gruppen anti-israelische und antisemitische Demonstrationen […], die Tausende Teilnehmer anzogen. Auf einem vielfach verbreiteten Flugblatt war ein Foto von Hitler zu sehen, neben dem die Frage zu lesen war: ‚Was, wenn er gewonnen hätte?‘ Die Antwort: ‚Dann gäbe es KEIN Israel …‘ […] Für mich, der ich den Horror des Holocaust aus erster Hand erlebt habe, war das der übelste Hass auf Juden, den ich seit der Nazi-Zeit gesehen habe.“

Ein Mitarbeiter einer europäischen Antirassismus-Gruppierung, der an der NGO-Konferenz teilnahm, schilderte seine Eindrücke so: „Juden wurden aktiv diskriminiert, niedergebrüllt, Panels zum Thema Antisemitismus wurden von Mitgliedern der palästinensischen Fraktion überfallen, und Menschen, die gegen all das protestierten, wurden als ‚Zionistenschweine‘ und ‚Jewlovers‘ gebrandmarkt.“

Eine Demonstration der NGOs, auf der per Sprechchor unter anderem „Tötet alle Juden“ gefordert wurde, endete ausgerechnet „beim Jüdischen Club von Durban, was ein weiteres Zeichen dafür war, dass die Veranstalter nicht nur den Staat Israel als Feind betrachteten, sondern alle jüdischen Menschen. Der jüdische Club war einige Stunden zuvor evakuiert worden; die südafrikanische Polizei hatte das Gebäude mit Bereitschaftspolizisten und gepanzerten Fahrzeugen abgeriegelt. Eine große Demonstration während einer ‚Weltkonferenz gegen Rassismus‘, die mit einem antisemitischen Aufmarsch endete …“. Demonstranten trugen u.a. ein Transparent, auf dem zu lesen war: „Das Blut der Märtyrer bewässert den Baum der Revolution in Palästina.“ (…)

Nur relativ wenige teilnehmende Gruppen protestierten gegen die israelfeindliche Stimmung und die offen antisemitischen Vorgänge auf der Konferenz. In einer Petition erklärten Vertreter aus Zentral- und Osteuropa, dass die Abschlusserklärung und der verabschiedete Aktionsplan „inakzeptable“ Abschnitte enthielten. Insbesondere „das Kapitel über ‚Palästina‘ und die absichtlichen Verfälschungen, die im Abschnitt über ‚Antisemitismus‘ unternommen werden, sind extrem intolerant, respektlos und widersprechen dem Geist der Weltkonferenz“. Das European Roma Rights Centre schloss sich dieser Erklärung an. Seine Direktorin sagte, dass die NGO-Abschlusserklärung eine „unangemessene Sprache enthält, die genau den Hass und den Rassismus fördert, denen das Treffen in Durban entgegenwirken wollte“. Der „aggressive Ausschluss der jüdischen Teilnehmer durch die Kollegen anderer NGOs und der ihn begleitende, unverhohlen intolerante antisemitische Geist, der die gesamte Konferenz geprägt hat, hat uns dazu gebracht, uns in aller Form von den bedauerlichen Ergebnissen dieses Forums zu distanzieren“.

Die Geburtsstunde von BDS

In der Abschlusserklärung der NGO-Konferenz wurde Israel als „rassistischer Apartheidstaat“ an den Pranger gestellt, der „rassistische Verbrechen“, „ethnische Säuberungen“ und „Völkermord“ begehe. In den Abschnitten 424 und 425 der Erklärung erging schließlich der Aufruf zum Start einer „internationalen Anti-Israel-Apartheidbewegung“. Mittels einer weltweiten Kampagne solle die „Verschwörung des Schweigens“ über angebliche israelische Untaten gebrochen werden, die in der Europäischen Union und den USA vorherrsche. Gefordert wurden die „komplette und totale Isolierung Israels“ sowie die Verurteilung aller, die die israelische „Apartheid“ unterstützten.

Die NGO-Abschlusserklärung, die just in einer Zeit verabschiedet wurde, in der palästinensische Terroristen praktisch täglich blutige Selbstmordattentate in Israel verübten – und nur drei Tage vor den Anschlägen vom 11. September –, war so gespickt mit anti-israelischen Diffamierungen, dass Hochkommissarin Robinson es ablehnte, sie (wie ursprünglich geplant) der intergouvernementalen „Weltkonferenz gegen Rassismus“ zur Annahme vorzulegen. (…)

Die NGO-Konferenz in Durban war die wahre Geburtsstunde der zeitgenössischen BDS-Bewegung. Der Weg führte somit mehr oder minder direkt von Teheran nach Durban – und von dort zu dem Aufruf, auf den sich die BDS-Bewegung beruft. Zu Recht bemerken Jed Babbin und Herbert London, zwei Kritiker der Boykottbewegung: „Alles, was die Autoren der BDS-Bewegung tun mussten, war, ein paar Wörter dieser ‚Deklaration‘ zu verändern – um sich nicht den Vorwurf einzuheimsen, das Produkt des Durban-NGO-Forums plagiiert zu haben –, und das als Aufruf der ‚palästinensischen Zivilgesellschaft‘ zu verschicken.“ (…)

Wer die Kritik an der Mär von BDS und der „palästinensischen Zivilgesellschaft“ nicht glaubt, dem sei der Blick auf ein kurzes Youtube-Video empfohlen: Am 25. Mai 2015 beklagte sich der antizionistische Propagandist Ilan Pappe im Rahmen einer Podiumsdiskussion über die mangelnde Einigkeit und Führungskraft der Palästinenser. Daraufhin warf die Diskussionsleiterin ein: „Na ja, die Palästinenser haben im Jahr 2005 BDS gestartet.“ Pappe rang sich ein „Ja, ja“ ab, doch war offenkundig, dass er das nicht glaubte: „Nicht wirklich, aber ja. Für die Geschichtsbücher: Ja.“

Für die Geschichtsbücher war Pappe bereit, etwas zu sagen, von dem er wusste, dass es falsch war. Doch die Moderatorin war noch nicht zufrieden: „Das ist wichtig“, schob sie lachend nach, worauf Pappe antwortete: „Es stimmt nicht, aber es ist wichtig.“ Besser kann man das Märchen von der BDS-Bewegung und der „palästinensischen Zivilgesellschaft“ nicht auf den Punkt bringen.

(Das Buch „Die Israelboykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“ von Alex Feuerherdt und Florian Markl ist gerade im Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Einen ersten Vorabdruck aus diesem Buch, in dem es um den jahrzehntelangen Israel-Boykott der Arabischen Liga geht, finden Sie hier.)

[1] Lantos: The Durban Debacle (wie Anm. 4), S. 46.

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