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Von Boston bis Bochum: Juden im Visier der iranischen Revolutionsgarden

Demonstration der antisemitischen BDS-Bewegung in Boston
Demonstration der antisemitischen BDS-Bewegung in Boston (© Imago Images / AFLO)

Ein neuer Bericht stärkt die Vermutung, dass hinter der Ausspähaktion der Israelboykott-Kampagne BDS Boston gegen jüdische und zionistische Ziele der Iran stehen könnte.

Im Juni letzten Jahres bewarben Mitglieder des örtlichen Ablegers der antisemitischen Israelboykott-Kampagne BDS in Boston, Massachusetts, eine Reihe von Grafiken, Landkarten und Listen, das sogenannte Mapping Project. Dieses sollte laut den anonymen Verfassern »veranschaulichen, wie die lokale Unterstützung für die Kolonisierung Palästinas strukturell mit Polizeiarbeit, Vertreibungen und Privatisierungen vor Ort und mit US-imperialistischen Projekten weltweit verbunden ist«.

Man konnte von einer Zielliste sprechen: Firmen, Stiftungen, Zeitungen und Politiker, die in dämonisierender Absicht zu Unterstützern Israels erklärt wurden, die es zu bekämpfen gelte. Eine Einladung an Extremisten jeglicher Couleur, den an den Pranger gestellten Einrichtungen Drohbriefe zu schicken oder gar Anschläge auf sie zu verüben. 

Auf der Liste standen auch Gouverneur Charlie Baker und weitere landesweit bekannte Politiker, die Tageszeitung Boston Globe, die Bostoner Polizei, Banken, Museen, Konzerne aller Art, das israelische Konsulat, jüdische Zeitschriften, Kultur- und Jugendeinrichtungen, Bostons Synagogenrat, Krankenhäuser und Gewerkschaften. Dazu auch das FBI, US Marshals und militärische Einrichtungen wie Luftwaffenbasen. Suggeriert wurde eine riesige Verschwörung mit Juden im Zentrum. 

Gefährlich ist die Liste vor allem für die dort verzeichneten kleineren jüdischen Einrichtungen, die nicht die Mittel haben, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und das womöglich bislang auch nicht für nötig gehalten haben. Das BDS-Nationalkomitee (BNC) in Ramallah distanzierte sich vom Mapping Project und verlangte von BDS Boston, sich ebenfalls davon zu distanzieren, oder aber auf das Kürzel BDS zu verzichten.

Neuer Bericht zu BDS Boston

Nun hat das Zachor Legal Institute, ein auf den Kampf gegen die BDS-Bewegung spezialisierter juristischer Thinktank mit Sitz im Bundesstaat Montana, einen Bericht erstellt, der zusammenfasst, was bislang über das Mapping Project und seine anonymen Autoren bekannt ist. Als Unterstützer des Berichts nennt das Institut die international bekannte jüdische Organisation B’nai B’rith und rund zwanzig größere und kleinere proisraelische Initiativen.

Die Stellungnahme enthält einige Überlegungen zu möglichen Drahtziehern des Projekts. So spekulieren die Autoren aufgrund der vielen verzeichneten militärisch-strategischen Einrichtungen und Polizeistationen, das wahre Ziel des Mapping Projects könnte sein, »den amerikanischen Sicherheitsapparat zu kartografieren, und das Zielen auf die amerikanisch-jüdische Gemeinde, obwohl real und beunruhigend, eine Fassade ist, um diesen Plan zu verschleiern«.

Das ist eine wackelige Hypothese, bei der zu sehr um die Ecke gedacht wird. Da ein Terrorangriff immer auch – oder sogar – in erster Linie Propagandazwecken dient, würden jüdische Einrichtungen sicherlich nicht verschont werden. Denn an der antisemitischen Ideologie der Urheber gibt es keinen Zweifel, sie ist sicherlich nicht nur »Fassade«. Und für antisemitische Terroristen gibt es eben keinen größeren Propagandaerfolg als einen Terroranschlag auf Juden.

Ferner gilt es zu bedenken, dass militärische Einrichtungen, zumal in den USA, stark geschützt werden. Sie sind somit von Natur aus weniger durch das Mapping Project bedroht als eine jüdische Schule oder Jugendeinrichtung. Die Gefahr, dass irgendein Einzeltäter, aus welchem Milieu auch immer, ein Attentat auf Soldaten oder militärische Einrichtungen verübt, ist zwar real und hat es in der Vergangenheit ja auch mehrfach gegeben, aber das Militär kann leichter seine Sicherheitsvorkehrungen verschärfen, als dies zivilen Einrichtungen möglich ist. Zudem sind militärische Einrichtungen meist ohnehin im öffentlichen Raum gut sichtbar oder sogar auf Stadtplänen verzeichnet. Man plaudert also kein Geheimnis aus, wenn man etwa die Lage eines Militärflughafens bekannt macht.

Die zweite zentrale These des Berichts ist, das Mapping Project repräsentiere eine »Verschmelzung der Kernideologien des Antisemitismus der extremen Linken und der extremen Rechten«. Dies sei »höchst ungewöhnlich« und werfe die Frage auf, ob eine »ausländische Agenda« dahinterstecke, die »diese beiden Extreme ausnutzen« wolle, um Unterstützung von »radikalen Amerikanern auf beiden Seiten des Spektrums« zu bekommen. 

Obwohl es gut möglich ist, dass ein ausländischer Akteur wie der Iran hinter dieser Agenda steckt, überzeugt die spezifische Begründung – linksextremer Antisemitismus richtet sich gegen den Staat Israel, rechtsextremer gegen Juden und Synagogen – nicht. Auch im Antisemitismus von Neonazis und anderen Rechtsextremisten ist die Anti-Israel-Ideologie stets enthalten und harmoniert gut mit Elementen des klassischen Antisemitismus wie dem vom habgierigen, blutrünstigen Juden oder den Juden als Strippenziehern von Kriegen und der Finanzwelt. Ungewöhnlich ist diese Verschmelzung also keineswegs.

Der Antisemitismus der Linken wiederum übernimmt durchaus, wenn auch seltener, Elemente, die typisch für jenen der extremen Rechten sind, etwa den Topos von den Juden, die den Lebensmittelhandel kontrollieren, die versuchten, Kapital aus der Shoah zu schlagen oder die Profiteure des transatlantischen Sklavenhandels gewesen seien.

Wer unterstützt das Mapping Project?

Nach der dritten Hauptthese der Untersuchung gibt es Hinweise auf eine iranische Urheberschaft. Welche diese sind, haben wir an dieser Stelle im Juli 2022 dargestellt. Der australische, proisraelische Blogger David Lange hatte schon früh plausibel begründet, weshalb das Mapping Project wahrscheinlich identisch ist mit einer radikalen Anti-Israel-Splittergruppe, die sich Jisr Collective nennt. Dem schließen sich die Autoren des neuen Berichts an und weisen darauf hin, dass mit Press TV ein wichtiges Sprachrohr des iranischen Regimes das Mapping Project gelobt hat.

Der Teil, in dem der Bericht rekonstruiert, wer die Ersten waren, die das Mapping Project öffentlich unterstützten, ist der vielleicht wertvollste, weil er einige Rückschlüsse auf die agierenden Netzwerke erlaubt und den zeitlichen Ablauf darstellt:

  • Am 3. Juni geht die Mapping Project-Website online und wird durch einen Tweet von BDS Boston bekannt gemacht.
  • Am selben Tag veröffentlicht die Anti-Israel-Website Mondoweiss ein Interview mit den anonymen Autoren, ohne ihre Identität zu enthüllen.
  • Ebenfalls am selben Tag berichtet darüber die Muslim Justice League, eine muslimische Bürgerrechtsorganisation aus Boston. 
  • Zwei Wochen später bringt Samidoun, eine Vorfeldorganisation der verbotenen palästinensischen Terrororganisation PFLP, ebenfalls ein Interview mit den Autoren des Mapping Projects, wiederum ohne Preisgabe deren Identität. Die PFLP wird vom Iran unterstützt; Samidoun verfügt nach eigenen Angaben über eine Zweigstelle im Iran.
  • In der Folge erhält das Mapping Project in den sozialen Medien die Unterstützung etlicher BDS-Gruppen wie Within Our Lifetime, Palestinian Youth Movement, Collectif Palestine Vaincra und Maser Badil. 
  • Am 24. Juni wird es von der Terrororganisation PFLP gepriesen, zwei Tage später von Press TV. Die Autoren des Berichts kommentieren: »Da Press TV ein staatlicher iranischer Medienkanal ist, kann man davon ausgehen, dass diese Bestätigung eine offizielle iranische Position widerspiegelt. Mit anderen Worten, das offizielle iranische Fernsehen lobt und befürwortet öffentlich ein Projekt, das die genauen Standorte von US-Polizeistationen, Militärstützpunkten, Universitäten, NGOs, jüdischen Organisationen und Schulen bezeichnet und gleichzeitig dazu aufruft, diese Art der Kartierung in den gesamten USA und anderswo anzuwenden.«
  • Im Juli dann folgt eine positive Rezeption durch amerikanische Neonazis. Jewish News of Northern Californiaberichtet, das Mapping Project werde im Livestream von Goyim TV, »einer virulent antisemitischen, homophoben und rassistischen Website«, in den höchsten Tönen gelobt.
  • Im August erscheint auf der hisbollahnahen Website Al Maydeen ein Beitrag, in dem das Mapping Projectunterstützt wird: Nun müssten »die Zionisten für ihre Verbrechen bezahlen«, heißt es dort.

Wie die Autoren des Zacher Legal Institute resümieren, lassen es diese Ergebnisse angeraten erscheinen, dass der US-Generalstaatsanwalt, das FBI und der US-Sondergesandte für die Überwachung und Bekämpfung von Antisemitismus »das Mapping-Projekt gründlich untersuchen«.

Eine beunruhigende Tatsache wird in dem Bericht nicht erwähnt: 2021 führten Hacker im Auftrag der iranischen Regierung einen Cyberangriff auf das Bostoner Kinderkrankenhaus durch. Das enthüllte FBI-Direktor Christopher Wray im Frühjahr vergangenen Jahres in einer Rede auf einer Konferenz des Boston College. Nachdem das FBI von einem »Partner-Geheimdienst« über den bevorstehenden Angriff erfahren habe, hätten seine Cyberexperten die »Dringlichkeit der Situation« erkannt, das Krankenhaus umgehend informiert und ihm die Informationen gegeben, die es brauchte, »um die Gefahr sofort abzuwenden«, so Wray, der den Vorfall »einen der verabscheuungswürdigsten Cyberangriffe, die ich je gesehen habe«, nannte. 

Dies sei ein Beispiel für die zunehmenden Risiken, denen Krankenhäuser und andere Anbieter kritischer Infrastrukturen durch Hacker ausgesetzt seien. Staatliche Einrichtungen seien davon nicht ausgenommen. Wenn böswillige Cyber-Akteure »absichtlich Zerstörung anrichten« oder Daten und Systeme manipulierten, »dann treffen sie uns an einer Stelle, wo es wirklich weh tut«. 

Der FBI-Direktor sagte dies einige Tage vor Bekanntgabe des Mapping Projects, in dessen Zielliste auch das Massachusetts General Hospital angeführt ist. Die Autoren des Mapping Projects werfen der Klinik vor, Beziehungen zum Pentagon zu unterhalten. Außerdem werde dort eine »afrikanische Leiche« auf »rassistische Weise« zur Schau gestellt. – Gemeint ist eine 2.700 Jahre alte ägyptische Mumie.

Anschläge auch in Deutschland

Was bedeutet das für uns in Europa, in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, das Mapping Project sei nur eine Bedrohung für die Juden in Boston oder den USA. Sie Bedrohung endet nicht an den Staatsgrenzen von Massachusetts oder denen der USA – und alles, was der Iran und seine Terroristen in Amerika tun können, können sie auch in Europa

Das gilt auch für Anschläge auf jüdische oder proisraelische Einrichtungen. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Reinhold Robbe, der von 2010 bis 2015 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft war, wurde bekanntlich ein Jahr lang von iranischen Agenten ausspioniert. Robbe vermutete, dass der Iran ihn entweder entführen oder ermorden wollte.

Wie das ARD-Politikmagazin Kontraste im Dezember 2022 meldete, vermuten Ermittler hinter den Anschlägen auf Synagogen in Nordrhein-Westfalen die iranischen Revolutionsgarden und einen Deutsch-Iraner aus dem kriminellen Rockermilieu. Sie sehen einen Zusammenhang zwischen den Schüssen auf die Alte Synagoge in Essen, dem missglückten Brandanschlag auf die Synagoge in Bochum und der Anstiftung zu einem Brandanschlag auf die Dortmunder Synagoge Mitte November. »Wir sprechen hier von Staatsterrorismus«, so ein Ermittler gegenüber der ARD.

Bei dem Rocker handelt es sich um Ramin Yektaparast, der von den Bandidos zu den Hells Angels übergelaufen ist und im Verdacht steht, einen Mord an einem Bandenmitglied verübt zu haben, weswegen gegen ihn ermittelt wird. Darum floh er im September 2021 in den Iran, wo er vor einer Auslieferung sicher ist und unbehelligt Instagram-Stories postet, die ihn mit Luxusautos zeigen.

Von der Polizei im vergangenen November festgenommen wurde hingegen der Deutsch-Iraner Babak J. Wie das Kontraste-Magazin berichtete, soll er in der Nacht auf den 18. November einen Molotowcocktail auf eine Schule in Bochum geworfen haben, was laut dem Bericht offenbar eine Verwechslung war: »Das Gebäude grenzt unmittelbar an die örtliche Synagoge, vermutlich war sie das eigentliche Ziel.« 

Auch die Synagoge in Dortmund habe Babak J. wohl im Visier gehabt: »Er soll versucht haben, einen Komplizen für einen Brandanschlag anzuwerben. Der aber alarmierte die Polizei. Die Behörden gehen außerdem von einem Zusammenhang mit einem Angriff auf das Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge in Essen aus. Ebenfalls in der Nacht zum 18. November wurde es mit einer Waffe beschossen.«

Abgesehen von dem Kontraste-Beitrag und einem Artikel in Bild gibt es nur wenig deutsches Medieninteresse am iranischen Staatsterrorismus in Deutschland. Dafür berichtete die Washington Post unter der Überschrift »Hells Angels, Schüsse auf eine Synagoge und Irans dunkle Hand in Deutschland« neulich ausführlich über diese Fälle.Die Autorinnen Loveday Morris und Souad Mekhenet zitieren Uri Kaufmann, den Leiter des jüdischen Kulturzentrums, das in der Alten Synagoge in Essen beherbergt ist. Von einer »Eskalation« spricht Kaufmann und nennt die Schüsse auf das Gebäude »wirklich schockierend«.

Weiche Ziele?

Sich Mitgliedern des Rocker-Milieus zu bedienen, passe zur iranischen Vorgehensweise, sagt Matthew Levitt, Experte für Terrorismusbekämpfung und Mitarbeiter des Washington Institute for Near East Policy, gegenüber den Journalistinnen. So könne die iranische Urheberschaft leichter geleugnet werden. Levitt sieht eine Zunahme iranischer Terroraktivitäten in Deutschland. Würden Mordpläne auf prominente Ziele vereitelt werden, wende sich der Iran möglicherweise »weicheren Zielen« zu – eben Anschlägen auf Juden.

Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion, über die Frederik Schindler im Februar in der Welt am Sonntag berichtete, geht hervor, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu 160 Personen mit Bezügen zu Deutschland »Hinweise auf Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden« vorliegen. Die »umfangreichen Ausspähungsaktivitäten« der Revolutionsgarden richteten sich insbesondere gegen (pro-)israelische und (pro-)jüdische Ziele, heißt es. 

Die Revolutionsgarden stellten auch in Deutschland eine Bedrohung für Israelis, Juden und iranische Oppositionelle dar, sagt Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion. »Die Behörden müssen den Strafverfolgungsdruck erhöhen und, wo notwendig, auch diplomatische Konsequenzen ziehen, wie zum Beispiel den Entzug diplomatischer Immunität oder die Ausweisung von Agenten.»

Doch nach wie vor sträuben sich die deutsche Bundesregierung, aber auch etliche EU-Funktionäre, dagegen, die Revolutionsgarden auf die Liste verbotener Terrororganisationen zu setzen. Dafür, zitieren Morris und Mekhenet den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter, »fehlt der Wille«.

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