Von Thomas Eppinger
Kurz vor Weihnachten schrieb der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer einen Gastkommentar für die Wiener Zeitung über die angekündigte Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem, den ein Leser euphorisch als „ganz im Sinne Bruno Kreiskys“ feierte. Das stimmt, wenn auch nicht so, wie der Leser es gemeint hat. Denn Fischers Kommentar steht tatsächlich in der Tradition von Kreiskys Nahostpolitik: er ist in vielen Punkten falsch, israelfeindlich und bedient antisemitische Stereotype.
„Aus dem Heinzi wird noch was. Immer wenn’s schwierig wird, ist er am Klo und kommt erst zurück, wenn die Sache ausgestanden ist.“ Ob das Bruno Kreisky zugeschriebene Zitat über Heinz Fischer authentisch ist, wissen wir nicht. „Se non è vero, è ben trovato“, würden die Italiener dazu sagen: Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden, charakterisiert es das unauffällige Wesen des ehemaligen Bundespräsidenten doch punktgenau. ‚Bussibär‘ Fischer war ein überaus beliebter Präsident, ein Mann aus dem Volk, wie man so sagt, bescheiden, Bergsteiger, Rapid-Fan. Unser HBP, einer wie du und ich.
Zu erster Bekanntheit brachte es Fischer, als er zusammen mit Ferdinand Lacina die Laufbahn des nationalsozialistischen Historikers Taras Borodajkewycz beendete, indem sie dessen politische Kommentare während seiner Vorlesungen penibel dokumentierten und veröffentlichten. Es folgte eine makellose Parteikarriere – Sekretär, Abgeordneter, Klubobmann, Zweiter Nationalratspräsident, Minister, Stv. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas –, die den habilitierten Politikwissenschaftler bis ins höchste Amt des Staates führte. Dazu eine sympathische Frau, zwei Kinder, die Fassade Fischers scheint ohne Makel.
Doch Fischer ist ein prototypischer Österreicher, und das Wesen des Österreichers spiegelt sich nicht in der Fassade seines Hauses, sondern offenbart sich in seinem Keller. Im Keller missbrauchte Josef Fritzl seine Tochter und hielt sie samt den von ihm gezeugten Kindern gefangen, im Keller baute Wolfgang Přiklopil sein Verlies für Natascha Kampusch. In den Kellern des Landes wird das Innerste nach außen gekehrt, im Keller lebt man seine Leidenschaften aus, seien es Sado-Maso Spiele, Nazi-Stammtische oder Modelleisenbahnen. Im Keller von Fischers Wohnung wird man nichts dergleichen finden, höchstens ein paar Bücher. Doch sollten es Bücher über Israel sein, sind es die falschen. Denn kratzt man ein wenig an Fischers makelloser Fassade, kommen seine dunklen Flecken zum Vorschein, und die sind ganz besonders dunkel, wenn es um Israel geht.
Fischer beginnt seinen Text mit der Erklärung, warum er ihn verfasst hat.
„Ich bin traurig und zornig darüber, dass ein US-Präsident, der eine Leitfigur der demokratischen und an Menschenrechten orientierten Welt sein sollte, so leichtfertig und bedenkenlos eine weitreichende, einseitige, völkerrechtswidrige, mit Freunden und Verbündeten nicht abgesprochene und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen rundum abgelehnte Entscheidung trifft, wie das bei der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt von Israel und der angekündigten Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem der Fall ist.“
Warum dieser verschwurbelte Satz inhaltlich falsch ist, kann man vielerorts nachlesen, unter anderem hier auf Mena Watch, hier oder hier. Bemerkenswert ist etwas anderes: Fischers Trauer und Zorn müssen ihn dermaßen übermannt haben, dass er in die Tasten griff. Nun endete Fischers Amtszeit am 8. Juli 2016, danach schrieb er in unregelmäßigen Abständen immer wieder Beiträge für die Wiener Zeitung. Ich habe nachgesehen: von Trauer und Zorn ist in keinem anderen Kommentar die Rede.
Die Terroranschläge von Nizza, Berlin, Orlando, St. Petersburg, Stockholm, Manchester, Barcelona und New York (um nur ein paar wenige zu nennen, die ganze Liste findet sich hier); die Tatsache, dass bei islamischen Anschlägen allein 2017 viermal mehr Menschen ermordet wurden als bei 9/11; die Verfolgung der koptischen Christen in Ägypten; der Umbau der Türkei zu einer islamischen Autokratie; das Atomraketenprogramm von Kim Jong-un; die antisemitischen Ausschreitungen von Frankreich bis Schweden, die Hungersnot in Somalia; der Brand im Grenfell Tower; die Erdbeben, Überschwemmungen und Wirbelstürme des bislang „teuersten Naturkatastrophenjahres“; Eurokrise, Flüchtlingskrise, Syrienkrise, Russlandkrise – seit dem Ende von Fischers Amtszeit gab es einiges, dass einen mit Fug und Recht in Trauer und Zorn versetzen hätte können. Herrn Fischer jedoch hat anscheinend nichts mehr aufgewühlt als Trumps Ankündigung, einen 1995 gefassten Beschluss des US-Kongresses umzusetzen.
Eine einzige Geschichtsklitterung
Was danach kommt, strotzt vor Ungeheuerlichkeiten und Halbwahrheiten, ist scheinbar neutral und äquidistant formuliert, folgt aber exakt der Propagandalinie von Hamas & Co. Ein paar Passagen dieser Geschichtsklitterung seien hier zitiert und stichwortartig kommentiert, alles andere würde den Rahmen sprengen.
„Umso gravierender sind aber die politischen und psychologischen Auswirkungen einer Entscheidung, die auf die Rechte und auf die Lebensrealität der Palästinenser keine Rücksicht nimmt. Sie führt nicht zum Frieden hin, sondern weg vom Frieden. Die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern sind seit Jahrzehnten ohnehin ständig gewachsen. Eine entsetzlich große Zahl an Todesopfern auf beiden Seiten ist die Folge dieser Spannungen, wobei die Zahl der getöteten Palästinenser um ein Vielfaches höher ist als die Zahl der getöteten Israelis. Und jedes einzelne Opfer ist um ein Opfer zu viel.“
Welcher Frieden? Und warum vergleicht Fischer nur die Zahl der Opfer, erwähnt aber mit keinem Wort die Gründe für die unterschiedliche Opferbilanz? Zum Beispiel, dass Israel ein Vermögen in die Sicherheit seiner Bevölkerung investiert, während die Hamas Frauen und Kinder als Schutzschilder verwendet?
Allein während der Zweiten Intifada von September 2000 bis Februar 2005 wurde Israel mit 4.862 Kassam-Raketen und Mörsergranaten angegriffen, dazu kamen 939 Angriffe mit Panzerfäusten und 15.485 mit Gewehren, 126 Selbstmordattentate, 2.453 Explosionen von Sprengsätzen, 2 Granaten, sowie 250 Attentate mit Messern und Autos. Dabei wurden 1.064 Israelis getötet und 7.434 verletzt. Insgesamt wurden seit 1948 von Palästinensischen Terroristen 3.791 Israelis und 2.014 Palästinenser ermordet, dazu kommen die israelischen Verluste in den Kriegen. Nicht genug für eine Opferparität, wenn man Fischers Ausführungen folgt.
„Vor genau 70 Jahren (1947) beschloss die UNO-Vollversammlung mit damals 33 gegen 13 Stimmen einen Teilungsplan, der aber von der Arabischen Liga abgelehnt wurde. Als im Mai 1948 der israelische Staat gegründet wurde und seine Unabhängigkeit erklärte, kam es zum Krieg mit fünf arabischen Staaten, aus dem Israel als Sieger hervorging. Hunderttausende Flüchtlinge waren die Folge und weitere Kriege folgten, wie zum Beispiel der Sechs-Tage-Krieg des Jahres 1967 oder der Einmarsch Israels in den Süden des Libanon im März 1978.“
Gegenprobe: „1939 kam es zum Krieg zwischen Deutschland und Polen. Millionen Opfer waren die Folge, und Kriege mit weiteren Ländern folgten, aus denen letztlich die Gegner Deutschlands als Sieger hervorgingen.“ Was Fischer sofort als revisionistische Verfälschung historischer Wahrheit entlarven würde, fließt ihm locker aus der Feder, wenn es um Israel geht. Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak sind am Tag nach der Unabhängigkeitserklärung über Israel hergefallen, um den jungen Staat auszuradieren. Abgesehen von allem anderen: die Formulierung „kam es zum Krieg“ ist in ihrer Gleichsetzung von Angreifern und Angegriffenen eine schäbige Geschichtsklitterung, die man in keinem anderen Zusammenhang dulden würde.
„Im Gegenteil. Auf palästinensischer Seite kam es zur Spaltung zwischen Fatah und der radikaleren Hamas, nicht zuletzt wegen der Frage der Akzeptanz des Friedensprozesses, und die israelische Regierung bzw. die Mehrheit im israelischen Parlament rückte immer weiter nach rechts. Maßnahmen der Besatzungsmacht und militanter Widerstand dagegen, unter anderem Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, schaukeln sich wechselseitig hoch. Die fortgesetzte israelische Siedlungstätigkeit auf palästinensischem Gebiet untergräbt alle Friedenschancen.“
Fischer setzt die Flügelkämpfe von Terrororganisationen mit der Zusammensetzung eines demokratisch gewählten Parlaments gleich, verklärt den palästinensischen Terror zum militanten Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht (die einzige Besatzungsmacht in Gaza ist übrigens die Hamas) und trifft eine eindeutige Schuldzuweisung: Der Siedlungsbau ist es, der den Frieden verhindert. Seit 1947? Ich mag das nicht kommentieren, sondern komme lieber zur Essenz von Fischers Kommentar, der danach mit ein paar belanglosen Phrasen endet:
„In vielen Ländern Europas fragt man sich, wieso große Teile der jüdischen Bevölkerung und der Politiker Israels, deren Vorfahren im Verlaufe der Geschichte so viel Leid durch Unterdrückung, Feindseligkeit und Gewalt bis zum Holocaust erfahren haben, so wenig Verständnis für die dramatischen Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung und deren Wunsch nach einer eigenen Heimstätte innerhalb von Grenzen, die nicht von fremden Soldaten nach Belieben überschritten werden, haben.“
Man muss Fischers ungeheuerlichen Satz ein paarmal lesen, um die ganze Niedertracht darin zu erfassen, das ganze Ausmaß an Unterstellungen, das er impliziert. In diesem Satz lässt Fischer alle Masken fallen. So denkt es in ihm, und das bricht in diesem Satz aus ihm hervor. Der verdiente Sozialdemokrat und habilitierte Politologe, als Bundespräsident hochgeschätzt, deutet die antisemitischen Pogrome der europäischen Geschichte bis hin zum Holocaust zur moralischen Besserungsanstalt für Juden um. Und kaum jemanden interessiert’s. Auch das ist Österreich.
Antisemiten, die nicht einmal merken, dass sie welche sind
Henryk M. Broder hat über linken Antisemitismus in anderem Zusammenhang einmal gesagt: „Ich glaube nicht, dass der Antisemitismus der Linken aus ihrem Linkssein resultiert. Linke waren und sind antisemitisch, weil sie Kinder der deutschen Gesellschaft sind. … Die sozialistische Weltanschauung war nur die Leinwand, auf der die Linke ihren von den Vätern übernommenen Antisemitismus projiziert hat. Faßbinder lässt in seinem Stück ‚Die Stadt, der Müll und der Tod’ den Antisemiten sagen: »So denkt es in mir.« Dieser Satz ist genial. Er zeigt, dass Faßbinder kein Antisemit war. Denn was er den Antisemiten sagen lässt, würde ein realer Antisemit nie sagen – diese Reflexionsstufe hat der gar nicht. »So denkt es in ihnen« – das trifft auch auf den Antisemitismus in der Linken zu.“
Alexandra Margalith bezeichnet Menschen, „die nicht sehen wollen, dass Israel inzwischen, auch in ihren eigenen Augen, zum Juden der staatlichen Weltgemeinschaft geworden ist, dem man alles vorwerfen kann, von der Brunnenvergiftung bis hin zum Genozid“ als „Antisemiten, die noch nicht einmal merken, dass sie welche sind.“ „Diese Menschen“, schreibt sie, „hüten sich zwar, Juden und Israelis in einen Topf zu werfen, aber sie suchen, wenn sie ihre ‚legitime Israelkritik‘ zum Besten geben, nach dem Juden, der Israel ebenfalls kritisch sieht. Als bräuchten sie einen Koscher-Stempel auf ihrer Meinung. Ein jüdisches Zertifikat, das sie berechtigt, ihre Ansichten zu vertreten. Damit ziehen sie genau jene Verbindung zwischen den Juden und Israel, die sie vorgeben, nicht ziehen zu wollen. Dass dieser ‚Legitimationsjude‘ in der Regel eine absolute Mindermeinung vertritt, ficht sie nicht an.“
Heinz Fischer bedient nicht zum ersten Mal antisemitische Klischees. In der Auseinandersetzung mit Martin Engelberg im Zusammenhang mit dem Gaza Konflikt 2014 musste Ari Rath als Legitimationsjude herhalten. Im Jahr darauf verharmloste er ausgerechnet nach seiner Rückkehr von einer Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz die steigende Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich, indem er den Umstand, dass 2014 doppelt so viele Übergriffe angezeigt wurden wie 2013, auf gestiegene Sensibilisierung zurückführte. 2016 verglich Florian Markl Fischers Reaktion auf die israelische Militäroperation in Gaza mit jener auf die russischen Operationen in Aleppo. Sein Einstiegssatz ist zugleich das Fazit: „Was unterscheidet als legitim erachtete Kritik an israelischer Politik von Antisemitismus? Alle gängigen Definitionsversuche sind sich in einem Punkt einig: Mit Antisemitismus haben wir es zu tun, wenn das Verhalten des jüdischen Staates nach völlig anderen Maßstäben bewertet wird als das Verhalten anderer Staaten.“
Unvergessen auch Fischers unrühmliche Rolle in der Kreisky-Wiesenthal-Affäre. Nachdem Simon Wiesenthal die SS-Vergangenheit des damaligen FPÖ-Obmanns Friedrich Peter aufgedeckt hatte, welcher Kreiskys Minderheitsregierung unterstützt hatte, stellte sich Kreisky hinter Peter, stritt dessen Beteiligung an Kriegsverbrechen ab und beschuldigte seinerseits Wiesenthal, mit den Nationalsozialisten kollaboriert zu haben. Im Zuge der Auseinandersetzung schlug der damalige SPÖ Klubobmann Fischer einen Untersuchungsausschuss vor – gegen Wiesenthal, nicht gegen Peter.
Zwei sozialdemokratische Granden kämpfen an der Seite eines SS-Mannes gegen einen weltweit geachteten Juden, der eine wird noch Jahrzehnte nach seinem Tod verehrt, der andere gilt bis heute als moralische Instanz. Österreichische Geschichte kann man nicht erfinden.
Der im Vorjahr verstorbene Publizist und Buchhändler Ernst Meir Stern hat nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo geschrieben: „Mich beutelt es daher auch jedes Mal vor Ekel, wenn Würdenträger an Gedenktagen zur Shoa salbungsvolle Sätze deklamieren und ihren geheuchelten Lippenbekenntnissen wie ‚wehret den Anfängen‘ keinerlei konkrete Taten folgen lassen. Deren Krokodilstränen widern mich an, wenn wieder einmal Juden erschlagen oder halbtot geprügelt werden oder Bethäuser in Flammen aufgegangen sind. Erspart sie euch und uns!“ Ich weiß nicht, ob Stern, der 2010 „wegen ‚israelfeindlicher‘ Äußerungen und Betätigungen seiner Genossen“ aus der SPÖ ausgetreten ist, auch den österreichischen Bundespräsidenten in seine Zeilen eingeschlossen hat. Verdient hätte Fischer es allemal.
Heinz Fischer hat eine große Karriere hinter sich. Er sollte es damit gut sein lassen, sich an sein Erfolgsrezept erinnern, und wenn er den Drang verspürt, sich über Israel zu äußern, stattdessen einfach aufs Klo gehen.