Ausgerechnet im Informationszeitalter tendieren viele Medien dazu, die objektive Aufklärung zu opfern, um eine eigene Agenda zu fördern. Angesichts geopolitischer Konflikte manifestiert sich dies besonders eklatant in dem Nachrichten-Bias, der sich gegen Israel richtet.
Die globale Rechtsordnung lebt von ihrer Präzision. Diese Rechtsordnung darf weder Umfragen in sozialen Medien noch dem Wunschkatalog gewisser NGOs gehorchen, denn sie muss sich auf die völkerrechtlichen Grundlagen berufen, die vom 1945 durch die Vereinten Nationen gegründeten Internationalen Gerichtshof (IGH) interpretiert werden. Diese Forderung nach Genauigkeit gilt für den ebenfalls in Den Haag ansässigen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der durch das Römische Statut von 1998 eingesetzt wurde.
Jedwedes Wort in den Beschlüssen dieser höchsten Gerichte ist das Ergebnis juristischer Akribie. Doch wenn diese Komplexität auf die turbulente Öffentlichkeit des digitalen Zeitalters trifft, kollidiert sie unweigerlich mit zwei mächtigen Kräften: dem Imperativ der viralen Vereinfachung und einem signifikanten medialen Bias. Dieser doppelte Druck führt zu einer tiefgreifenden Verzerrung in der Berichterstattung über den Gaza-Konflikt, deren Folgen über die fehlende juristische Korrektheit hinausreichen.
Die drastischen Auswirkungen dieser Dynamik traten zutage, als der IGH am 26. Januar 2024 seine Anordnung zur Festsetzung vorläufiger Maßnahmen in der heiklen Causa Südafrika vs. Israel bekannt gab, offiziell unter dem Titel »Anwendung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords im Gazastreifen«.
Die Veröffentlichung dieser Gerichtsentscheidung resultierte in eindeutigen Falschmeldungen seitens der Medien, wie zum Beispiel eine Schlagzeile des amerikanischen National Public Radio NPR veranschaulicht: »Ein oberstes UN-Gericht hält Völkermord in Gaza für ›plausibel‹, ordnet aber keinen Waffenstillstand an.« Auch der Stern erklärte: »Richter halten Südafrikas ›Völkermord‹-Klage für plausibel – was die Entscheidung bedeutet.« Hierdurch wurde der eigentliche juristische Gehalt der Anordnung verfälscht und umgehend in propagandistischer Absicht gegen Israel instrumentalisiert.
Dies war selbstverständlich auch Wind in den Segeln der Israelboykott-Bewegung BDS, die ebendiese Gerichtsentscheidung unverzüglich als »Große Niederlage für Israel vor dem IGH« bejubelte und dadurch ihre Kampagne weiter forcierte. Der Berliner Influencer Tarek Baé verkündete am Tag darauf via X: »Der Internationale Gerichtshof (IGH) bestätigt, dass es ›mindestens mehrere Genozid-Vorwürfe‹ in Gaza als ›plausibel‹ sieht und ordnet eine Verhinderung genozidaler Handlungen Israels an.«
Der feine Unterschied
In Wirklichkeit hat die falsch zitierte IGH-Anordnung festgestellt, dass die Palästinenser ein »plausibles Recht« auf Schutz gemäß der Völkermordkonvention haben, hielt jedoch keineswegs fest, dass ein Völkermord plausibel sei.
Um das alte Mantra aus meinem Jurastudium zu zitieren: Veritas in Dettaglio. Das ist gut vier Jahrzehnte her. Doch das Mantra müsste heutzutage umso mehr als Maxime gelten, denn die Wirklichkeit liegt nach wie vor im Detail. Die Wirklichkeit kann eben nicht vom Internet geändert werden, die Wahrnehmung aber schon. Da die vom IGH veröffentlichte Anordnung in voller Länge publiziert wurde, kann man auch leicht die interessierten Missverständnisse derjenigen entlarven, die dem IGH eine Entscheidung unterschoben, die er nicht getroffen hatte.
Doch damit nicht genug: Joan Donoghue, die am 26. Januar 2024 in ihrer schwarzen Robe und in ihrer Eigenschaft als IGH-Präsidentin die Anordnung höchstpersönlich verlesen hatte, ergriff auch nach dem Gerichtstermin das Wort. Einige Monate im Anschluss an die Verlesung betonte sie in einem BBC-Fernsehinterview:
»[Das Gericht] hat keine Entscheidung getroffen, und hier korrigiere ich etwas, das in den Medien oft gesagt wird. Es betonte in der Anordnung zwar, dass die Gefahr eines irreparablen Schadens für das palästinensische Recht, vor Völkermord geschützt zu werden, bestehe. Aber die oft verwendete Kurzformel, dass es einen plausiblen Völkermordfall gäbe, ist nicht das, was das Gericht entschieden hat.«
Trotz dieser richterlichen Klarstellung wird nun mittlerweile anderthalb Jahre später die Falschbehauptung unvermindert weiter kolportiert, der IGH habe den Völkermordvorwurf gegen Israel für ›plausibel‹ erklärt.
Die juristische Realität
Die voreingenommene Berichterstattung übergeht systematisch weitere zentrale juristische Fakten, welche die Debatte differenzierter gestalten würden. Ein entscheidender Indikator für die juristische Überhöhung des Genozid-Vorwurfs ist die Position des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH): Dessen Chefankläger Karim Khan, der sich aktuell erneut Vorwürfen sexueller Belästigung ausgesetzt sieht, wollte die führenden israelische Politikern neben schwerwiegender Kriegsverbrechen (wie Aushungern von Zivilisten) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, auch der »Ausrottung«, also des Genozids anklagen – aber die Richter haben diesen Vorwurf beim Erlass der Haftbefehle aufgrund der vorliegenden Fakten als unbegründet zurückgewiesen.
Diese Abwesenheit des Genozid-Vorwurfs im Antrag des höchsten Völkerstrafverfolgers unterstreicht die extrem hohe Hürde, die für den Tatbestand des Völkermords gilt. Maßgeblich ist hierbei die juristische Hürde des Dolus Specialis (der »besonderen Absicht«), welche die nachweisbare Intention zur ganz oder teilweisen Zerstörung »einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe« erfordert. Diese höchste Schwelle des Völkerstrafrechts kann nicht allein durch die Zahl der zivilen Opfer, sondern ausschließlich durch den belegbaren Vernichtungswillen der Täter erfüllt werden. Dass viele Medien diese entlastenden Aspekte nicht berücksichtigen, geschweige denn darüber berichten, spricht Bände.
Zudem werden auch andere für das Völkerrecht essenzielle Fakten, die das Gesamtbild differenzieren, in der öffentlichen Wahrnehmung kaum erläutert bzw. erwähnt. Dies betrifft etwa die im Mai 2024 erhobene IGH-Forderung nach der sofortigen und bedingungslosen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln, wobei die Geiselnahme als »schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht« festgestellt wird.
De facto erblicken viele Newsoutlets in den Geiseln eher Kriegsgefangene, die als Verhandlungsmasse fungieren könnten, und so wird versucht, eine moralische Äquivalenz zwischen der Hamas und Israel herzustellen. Und auch die UNO-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Rechte, Francesca Albanese, beharrt darauf, dass die Hamas die Geiseln nicht als Bedingung für einen Friedensschluss freizulassen habe. Auf eine schräge, von ihr nicht intendierter Weise, hat sie mit dieser Aussage sogar Recht, denn der IGH stellte fest, dass die verschleppten Israelis bedingungslos freizulassen seien.
Die anhaltende und vereinfachende Fokussierung vieler Medien liegt auf der schlichten Zählung von »Tötungen« und der absoluten Zahl ziviler Opfer, wobei die juristische Kategorie des Völkerrechts nahezu völlig ausgeblendet wird. Hier ist ein zentrales Element der Kriegsführung gemäß dem humanitären Völkerrecht unerlässlich: Zivile Akteure, die sich unmittelbar an Kriegshandlungen beteiligen, verlieren ihren Schutzstatus als Nicht-Kombattanten – eine zentrale Unterscheidung, die für eine faire Beurteilung des Konflikts unerlässlich ist. Solche Versäumnisse beinhalten weitaus mehr als ein marginales Versehen: Es handelt sich um eine systematische Irreführung der Öffentlichkeit, die inmitten der Turbulenzen des Gaza-Kriegs die Hetzjagd gegen Israel befeuert und die juristische Wahrheit zynisch dem Zeitgeist opfert.






