Während das israelische Militär den Abu-Shabab-Clan gegen die Hamas aus der Luft unterstützt, diskutieren ehemalige Verteidigungsbeamte über diese umstrittene Strategie.
Yaakov Lappin
Ein kürzlich stattgefundener Zusammenstoß, bei dem die israelische Armee eine lokale Miliz im Gazastreifen aus der Luft gegen Terroristen der Hamas unterstützte, hat eine neue und umstrittene Taktik Israels in den Fokus gerückt, mit der das Ziel, die Herrschaft der Terrororganisation von innen heraus zu zerstören, vorangetrieben werden soll.
Am 9. Juni, nachdem Hamas-Mitglieder Berichten zufolge das Feuer auf Kräfte des Abu Shabab Clans eröffnet hatten, griff ein Flugzeug der israelischen Luftwaffe ein und tötete fünf der Terroristen. Der Vorfall ereignete sich, als Yasser Abu Shabab, der Anführer des Clans, eine Rekrutierungskampagne für seine bewaffnete Gruppe ankündigte, um »Verwaltungs- und Gemeindekomitees« als Alternative zur Hamas im Osten von Rafah zu etablieren.
Der in der palästinensischen Opposition umstrittene Ansatz, lokale bewaffnete Gruppen zu stärken, wird von einigen ehemaligen israelischen Verteidigungsbeamten als pragmatisches und wirksames Instrument für eine Übergangsphase angesehen, während andere warnen, dass es sich um ein »gefährliches und schmutziges Spiel« handle, das mit langfristigen Risiken behaftet ist, auch wenn es kurzfristig Vorteile bringen könnte.
Strategische Notwendigkeit
Der ehemalige stellvertretende Leiter der Abteilung für Palästina im Planungsstab der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und vormaliger Marine-Geheimdienstoffizier Amit Yagur erklärte am Dienstag gegenüber Jewish News Syndicate (JNS), dieser Ansatz liege in der strategischen Notwendigkeit begründet, neben den militärischen Bemühungen um eine irreversible Niederlage der Hamas vermehrt zivile Maßnahmen zu priorisieren.
Yagur plädierte dafür, die Debatte darüber, »was nicht zu tun ist« (wie die Wiedereinsetzung der Palästinensischen Autonomiebehörde in Gaza oder die Verhängung einer vollständigen israelischen Militärverwaltung), hinter sich zu lassen und sich stattdessen auf das, »was zu tun ist«, zu konzentrieren.
Israel müsse »den Ball im Auge behalten. Dieser Ball ist die militärische und politische Zerschlagung der Hamas. Die zivilen Bemühungen gegen die Hamas sind meiner Meinung nach viel wichtiger als die militärischen. Das soll nicht heißen, dass diese trivialisiert werden sollten. Die Situation ist nicht schwarz-weiß, wir brauchen beides, aber unser Rückgrat muss die zivile Ebene sein, denn der zivile Aspekt ist es, der die Hamas am meisten stört, aus dem einfachen Grund, dass der militärische Schaden aus Sicht der Hamas wieder gutzumachen ist.«
Die Hamas habe die Beeinträchtigung ihrer Ressourcen in Betracht gezogen und plane eine Wiederbewaffnung nach dem Krieg, so der Experte. »Sie kann nach dem Krieg Waffen schmuggeln oder herstellen. Was nicht wiederherstellbar ist, ist die zivile Frage. In dem Moment, in dem man einer Terrororganisation die Bevölkerung wegnimmt, die für sie sehr wichtig ist, weil sie in ihr lebt, in ihr verwurzelt ist und ihre Legitimationsquelle darstellt; in dem Moment also, in dem man ihr die Bevölkerung und ihre wesentliche Herrschaft über die Bevölkerung wegnimmt, hat man den Kampf gewonnen. Dies ist im Wesentlichen unumkehrbar – und das haben wir in den letzten anderthalb Jahren nicht umgesetzt.«
Nach Ansicht Yagurs ist der Einsatz lokaler Milizen der Schlüssel zur Wirksamkeit dieser zivilen Bemühungen: »Die Frage, was wir tun sollten, ist der Einsatz lokaler Milizen, die dazu beitragen werden, den gesamten Prozess der Entmachtung der Hamas effektiver zu gestalten.« Die Rolle der Milizen bestehe in erster Linie darin, für Ordnung und Sicherheit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu sorgen, insbesondere in der Umgebung der neuen, von Israel unterstützten humanitären Hilfszentren.
Man habe gesehen, »dass die Bevölkerung die Verteilungszentren stürmt, und zwar nicht, weil sie diese zerstören will, sondern einfach, weil jeder etwas zu essen haben will und sie durch die langjährige Herrschaft der Hamas daran gewöhnt ist, dass derjenige gewinnt, der zuerst da ist und der am meisten mitnimmt. Sie müssen organisiert und überwacht werden, und genau das kann die Miliz gut. Das erspart uns den Einsatz unserer Soldaten, die sich mit diesem Problem auseinandersetzen müssten, denn die Sicherheitskontrolle bleibt in den Händen der IDF.«
Yagur bezeichnete dies als den goldenen Mittelweg, der zu einer Übergangsphase zwischen aktiver Kriegsführung und einer »Lösung für den Tag danach« im Gazastreifen führen könne, die er sich als ein ziviles Komitee unter der Führung der Vereinigten Staaten und moderater arabischer Staaten vorstellt.
Zweischneidiges Schwert
Das ehemalige hochrangige Mitglied des israelischen Sicherheitsdienstes Shin Bet Shalom Arbel, der von 1988 bis 2013 im Bereich der Rekrutierung und Operationen von Geheimdienstmitarbeitern tätig war und zuvor als Major in der IDF-Reserve im Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland gedient hatte, skizzierte am Dienstag die Risiken.
Natürlich hatbe solch ein Plan »Vor- und Nachteile. Die negativen Aspekte, von denen wir einige bereits in der öffentlichen Kritik hören können, betreffen das Problem des öffentlichen Images, wie zum Beispiel: ›Die IDF können das nicht? Wir geben das, was die IDF tun sollten, einer Gruppe von Kriminellen aus Gaza in die Hand? Wir lassen eine Bande von Kriminellen unsere Arbeit machen?‹ Das gibt kein gutes Bild ab – das Bild, wie man Gangstern, Milizen und Kriminellen die Hand schüttelt.«
Über die Imagefrage hinaus äußerte Arbel Bedenken hinsichtlich eines Kontrollverlusts über die Miliz: »Wer überwacht das? Nach welchem Gesetz funktioniert das? Wie lauten die Regeln? Wer ist der Betreiber und innerhalb welcher rechtlichen und moralischen Grenzen?« Er wies auch auf das Dilemma »am Tag danach« hin und bezeichnete die Milizen als »zweischneidiges Schwert«.
So gebe »man Waffen an Menschen, die eines Tages gegen einen kämpfen könnten. Und man gibt einem Gazastreifen, der bereits vor Waffen starrt und entwaffnet werden muss, noch mehr Waffen. Was macht man danach mit den Milizionären? Werden sie Teil der Palästinensischen Autonomiebehörde? Werden sie Teil der nächsten Regierung? Wenn ja, wie sieht dann die nächste Regierung aus? Was hat man also für den Plan für den Tag danach getan?«
Die Milizen können zwar dazu beitragen, das unmittelbare Ziel des Hamas-Zusammenbruchs zu erreichen, dies sei jedoch ein »etwas gefährliches, schmutziges Spiel« und wahrscheinlich nur eine kurzfristige Notlösung und kein langfristiger Plan, weshalb Arbel für eine direkte militärische Aktion Israels plädiert und die Milizstrategie für äußerst riskant hält.
Uneinig
Amit Yagur räumte diese Risiken ein, bezeichnete sie jedoch als notwendigen Teil einer pragmatischen, vorübergehenden Lösung. Nach ihm werde im Gazastreifen »keine Art Gangland« entstehen: »Die Milizen sind genau für diese Übergangsphase gut, sie sind nicht die finale Lösung. Die endgültige Lösung ist, soweit ich das verstehe, ein ziviles Komitee unter der Führung der Vereinigten Staaten in Zusammenarbeit mit mehreren arabischen Staaten«, wobei ein Risikomanagement unerlässlich sei.
Es gebe Leute, »die sagen: ›Das wird sich gegen uns wenden.‹ Es stimmt, dass könnte sich gegen uns wenden, aber dafür managen wir Risiken. Unser ganzes Leben ist übrigens Risikomanagement. Wir leben nicht in einer Blase und müssen uns in die Realität begeben und auch sagen, was wir tun können. Daher ist dies meiner Meinung nach zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Lösung.«
Yagur wies darauf hin, dass der Plan die Empfehlung des Shin Bet habe und Israel seine eigene »Proxy-Muskeln« in einer Welt stärken sollte, in der seine Feinde Stellvertreter gegen ihn einsetzen. Er fügte hinzu, dass die Abu-Shabab-Miliz »der Fatah nähersteht und sich gegen die Hamas und die Muslimbruderschaft stellt. Wären sie ideologisch mit der Hamas verbunden, könnte man ihnen nicht trauen.«
Arbel hingegen äußerte sich zutiefst skeptisch hinsichtlich der Bedeutung früherer Verbindungen von Gruppen wie der Abu-Shabab-Miliz. Er argumentierte, dass Aktivisten zwar in der Vergangenheit Verbindungen zu verschiedenen Organisationen sowie zur Palästinensischen Autonomiebehörde oder ihrem Geheimdienst gehabt haben mögen, diese formalen Etiketten jedoch weniger wichtig seien als die zugrunde liegende soziale Struktur.
Laut Arbel basieren solche bewaffneten Gruppen viel eher auf Familien, Herkunft und engen persönlichen Beziehungen als auf formalen Parteistrukturen. »Es ist ein Bruder, der seinen Bruder und seinen Cousin mitnimmt«, sagte er und führte die Hamas selbst und die Familie Sinwar als Paradebeispiel für diese Dynamik an. Ihre Handlungen und Loyalitäten, so Arbel, seien eher von spezifischen, lokalen Interessen als von einer starren, von oben nach unten gerichteten organisatorischen oder ideologischen Verpflichtung bestimmt.
Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel, hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrumund am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Text erschien