„Ägypten hat jahrzehntelang mit staatlichen Kampagnen und landesweiten Initiativen gegen weibliche Genitalbeschneidung gekämpft – mit wenig Erfolg. Schon Anfang der Zwanzigerjahre warnten Ärzte in Kairo vor der Praxis, seit 2008 ist sie auch gesetzlich verboten. Wer FGM praktiziert, kann bis zu sieben Jahre ins Gefängnis kommen. Wird ein Opfer schwer verletzt oder stirbt, drohen 15 Jahre Haft. Dennoch ist FGM in dem Land am Nil traurige Realität. Laut einer Unicef-Studie sind 87 Prozent der Ägypterinnen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Damit liegt das Land im internationalen Negativ-Ranking auf einem unrühmlichen sechsten Platz. Für Frauen auf dem Land, die arm und ungebildet sind, ist das Risiko am größten. (…)
Das Konzept der ‚Reinheit‘, die Fixierung auf das weibliche Geschlecht und seine Unberührtheit wirkt bisweilen pathologisch. Im September 2016 forderte der Parlamentarier Elhamy Agina lautstark Jungfräulichkeitstests für angehende Studentinnen. Derselbe Politiker hatte zuvor Genitalverstümmelung für vorteilhaft befunden, weil sie die sexuelle Begierde der Frau verringere. Drei von vier Mädchen unter 14 Jahren werden in Ägypten mittlerweile von medizinischem Personal beschnitten. ‚Weil die Eltern glauben, es sei hygienischer und sicherer, hat sich FGM dadurch sogar noch weiter verbreitet‘, erzählt Imam Zayed. Möglich, dass durch die Professionalisierung tödliche Infektionen seltener werden. Die physischen und psychischen Spätfolgen des Eingriffs aber bleiben. ‚Beschnitten zu sein ist wie eine Amputation – den Frauen fehlt ein wichtiger Teil ihres Körpers‘, sagt der Geistliche. (…)
Mahmoud erzählt, dass die ‚milde Sunna‘, das Einritzen der Klitorisvorhaut als weniger brachiale Minimalvariante der Beschneidung, vermehrt zu beobachten sei. Für Kritiker ist das nur ein übler Kompromiss, der FGM eher fördert als verhindert. Die Missachtung der Menschenwürde und der Akt der Körperverletzung bleiben. (…) Die Zustimmung für FGM in der Bevölkerung ist trotz aller Bemühungen weiter hoch. Wenn die Mutter beschnitten ist, steigt Studien zufolge die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Tochter zum Opfer wird. Ursprünglich von Männern benutzt, um die Lust der Frauen in ihre Schranken zu weisen, sie zu kontrollieren und zu dominieren, ist FGM längst auch Frauensache geworden. ‚Es ist Gewalt, die von Frau zu Frau weitergegeben wird‘, sagt Mahmoud. ‚Deshalb habt ihr es in der Hand, ihr müsst diesen Kreislauf unterbrechen!‘“ (Anette Langer: „Bedrängt, beschnitten, entrechtet“)