Türkei im Mittelmeer immer aggressiver gegen Griechenland

Blick vom Festland der Türkei auf die griechische Insel Kastelorizo. (imago images/Westend61)
Blick vom Festland der Türkei auf die griechische Insel Kastelorizo. (imago images/Westend61)

Unter Erdogan arbeitet die Türkei daran, den Vertrag von Lausanne, der u.a. den Grenzverlauf mit Griechenland festlegte, zu revidieren.

Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee steht im engen Zusammenhang mit den jüngsten Eskalationen zwischen der Türkei und Griechenland. Dabei sticht besonders hervor, dass die türkischen Vorstöße sich nicht nur gegen die griechisch-orthodoxe Kirche richten, sondern ein wichtiger Bestandteil der türkischen Inszenierung im Streit um die Erdgasvorkommen im Mittelmeer ist.

Seit Beginn des Jahres verfolgt die Türkei eine immer aggressiver werdende Politik um diese maritimen Gasreservoirs. Das Eskalationsniveau wird kontinuierlich und beharrlich erhöht. Jüngst wäre es fast zu einer militärischen Konfrontation zwischen der Türkei und Griechenland nahe der griechischen Insel Kastelorizo gekommen, die nur drei Kilometer vor der türkischen Küste liegt.

Die Türkei hatte angekündigt, dass das Forschungsschiff Oruc Reis nahe der Insel nach Erdgas suchen werde. Die Bohrungen würden auf griechischem Hoheitsgebiet stattfinden, stellte die griechische Regierung prompt klar. So kam es zu einem Aufeinandertreffen der griechischen und türkischen Marine vor Kastelorizo. Nur durch die Vermittlung der deutschen Bundeskanzlerin Angelika Merkel konnte wohl eine weitere Eskalation vermieden werden.

Maximalistische Positionen

Im Streit um die Erdgasvorkommen eskaliert der Konflikt immer wieder an unterschiedlichen Ansprüchen. Wie legitim türkische Ansprüche überhaupt sind, ist äußerst strittig. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu erachtet es als inakzeptabel, dass die kleine Insel Kastelorizo, die über 500 Kilometer von Athen entfernt vor dem türkischen Festland liegt, ein Seegebiet von 200 Seemeilen in jeder Richtung beanspruche. Durch die zahlreichen griechischen Inseln vor der türkischen Ägäis-Küste ist es der Türkei nämlich nicht ohne weiteres möglich, eine eigene Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zu beanspruchen. Griechenland kann dies zum Missfallen der Türkei allerdings schon.

Ein solcher Anspruch sei nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 gerechtfertigt, so Professorin Nele Matz-Lück, Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel. Bewohnbare Inseln könnten wie das Festland eine AWZ von 200 Seemeilen beanspruchen. Überschnitten sich allerdings Zonen, müssten sich die betroffenen Staaten einig werden, so die Professorin weiter.

Die Türkei beruft sich zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf ein äußerst fragwürdiges Abkommen mit der libyschen Regierung, das von Griechenland und den anderen Anrainerstaaten nicht anerkannt wird. „Ob man die Anrainerstaaten fragen muss, entscheidet sich danach, ob man überschneidende Grenzen mit ihnen hat. Grundsätzlich gilt: Solange man ein bilateral beanspruchtes Gebiet aufteilt, braucht man andere Staaten nicht einzubeziehen“, urteilt Nele Matz-Lück.

Türkisches Säbelrasseln im Mittelmeer

Neu sind türkische Kraftdemonstrationen insbesondere in der Ägäis nicht, und obwohl Griechenland und die Türkei NATO-Mitglieder sind, kommt es immer wieder auf See zu gefährlichen Konfrontationen. Der Streit um Zypern, die Inseln in der Ägäis, und das östliche Mittelmeer hat in den vergangenen 40 Jahren nicht wirklich zur Befriedung der Beziehungen zwischen beiden Staaten beigetragen, sondern den Konflikt eher verschärft.

In den vergangenen Jahren haben vor allem die türkischen Seestreitkräfte kräftig aufgerüstet und sie sind auf dem besten Weg, eine ernst zu nehmende Seestreitmacht zu werden. Im März 2019 führte die Türkei etwa das größte Seemanöver in ihrer Geschichte durch. Dabei operierte die türkische Marine zeitgleich im Schwarzen Meer, in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer und demonstrierte dabei kraftmeierisch das ganze Arsenal der einheimischen Rüstungsproduktion.

Der Vertrag von Lausanne

Dass die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee auf den 24. Juli fiel, war kein Zufall. Sie fiel ausgerechnet auf den Jahrestag des Lausanner Vertrags, der am 24. Juli 1923 unterschrieben wurde und unter anderem den Grenzverlauf zwischen Griechenland und der Türkei festgelegt. Beabsichtigte der Staatsgründer der Türkei, Mustafa Kemal, noch eine Demilitarisierung in den Außenbeziehungen, wozu die Anerkennung von Gebietsverlusten des einstigen Osmanischen Reiches gehörte, so bezieht sich die immer aggressivere Außenpolitik des türkischen Regimes von heute auf die Geschichte und imperiale Größe des Osmanischen Reiches, und will nicht einsehen, dass das Reich aus guten Gründen zerfallen ist.

Zusätzlich beflügelt wird das neue türkische Gebaren, diese Mischung von Aufrüstung der türkischen Seestreitkräfte und Militarisierung der türkischen Außenpolitik, durch den Rückzug der USA aus der Region und die aktuelle Schwäche der EU. Die Türkei stößt in dieses entstandene Machtvakuum vor und versucht sich immer wieder als dominierende Regionalmacht zu inszenieren – wozu auch gehört, dass sie für sich in Anspruch nimmt, die Interessen der sunnitischen Muslime im Nahen Osten zu vertreten.

Kommt es zum Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?

Der Analyst Jack Dulgarian hat für den Global Security Review ein aus mehreren Phasen bestehendes Szenario vorgelegt. Ihm zufolge käme der griechischen Kleininsel Kastelorizo im Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland eine Schlüsselrolle zu. Er rechnet nicht mit einer raschen Konfliktklärung und sieht eher die realistische Gefahr, dass die Türkei militärisch ihre beanspruchten Seegrenzen durchsetzen könnte.

Die türkische Strategie sei darauf ausgelegt, die eigene militärische Überlegenheit auszuspielen. Darauf deuteten das kriegerische Vorgehen in Nordsyrien, in Libyen und der Einsatz türkischer Militärfregatten zur Sicherung illegaler Bohrungen im Mittelmeer hin. Dabei lege es die Türkei aktuell darauf an, durch gezielte Provokationen operative Mängel der griechischen Seestreitkräfte auszuloten.

Zudem habe die Türkei nie wirklich den griechischen Anspruch auf Kastelorizo anerkannt. Als die Pariser Verträge 1947 Griechenland die Insel zusicherten – zwischen 1921 und 1947 war sie unter Mussolini unter der Hoheit Italiens –, nahm die Türkei an der Konferenz nicht teil. Dies nutze die türkische Regierung als Vorwand für ihre eigenen Ansprüche auf das Eiland. Besorgniserregend sei deshalb, dass die türkische Marine in den vergangenen zehn Jahren gezielt ihre Fähigkeit ausgebaut habe, insbesondere eine Land-Invasion vom Meer aus zu ermöglichen.

In der ersten Phase seines Szenarios sieht Dulgarian ein Schachmatt. Durch türkisches Drängen könnte Athen dazu gebracht werden, den Anspruch auf die Insel aufzugeben, um türkische Angriffe auf andere griechische Inseln wie Rhodos, Lesbos, Chos und Chios abzuwehren.

In der zweiten Phase könnte Athen versuchen, durch weitere diplomatische Verhandlungen Verbündete wie die EU, USA und Israel zu gewinnen. So habe der US-Botschafter in Griechenland, Geoffrey Pyatt, bereits erklärt, die Interessen Griechenlands zu stützen.

Die dritte Phase würde in einer Neuverhandlung des Vertrags von Lausanne bestehen. „Die Einnahme von Kastelorizo könnte auch der letzte Schritt der umfassenden türkische Strategie sein, um Griechenland dazu zu bringen, die Grundsätze des Vertrags von Lausanne von 1923 neu zu verhandeln. (…) Wenn Griechenland unvorbereitet bleibt, wird es Territorium verlieren, die Türkei wird in quasi international anerkannten griechischen Gewässern stärker Fuß fassen, die NATO wird einem verbündeten Schurken gegenüber unterwürfig bleiben und Erdoğan wird der dominierende Akteur in Osteuropa und im Nahen Osten sein“, so das Fazit von Dulgarian.

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