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Üben Ägypten und Sudan schon für den Krieg gegen Äthiopien?

Pressekonferenz der sudanesischen Außenministerin Mariam al-Sadiq al-Mahdi und ihres ägyptischen Amtskollegen Sameh Shoukry
Pressekonferenz der sudanesischen Außenministerin al-Sadiq al-Mahdi und ihres ägyptischen Amtskollegen Shoukry (© Imago Images / Xinhua)

Im Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien um das Wasser des Nils ist die Gefahr einer kriegerischen Eskalation immer noch nicht gebannt.

Im Juli 2020 hatte Äthiopien nach neun Jahren Bauzeit mit dem Befüllen seines rund vier Milliarden Euro teuren Megawasserkraftwerks begonnen, der Großen Talsperre der äthiopischen Wiedergeburt (Grand Ethiopian Renaissance Dam, GERD). Mit einer Leistung von 6,45 Gigawatt wird dieses das größte Wasserkraftwerk in Afrika sowie das siebtgrößte der Welt sein.

Die Talsperre soll die 110 Millionen Einwohner Äthiopiens aus der Armut befreien und das Land zu einem industriellen Zentrum und wichtigen Stromexporteur machen. Derzeit haben laut der Weltbank nur etwa 45 Prozent der äthiopischen Bevölkerung Zugang zu Elektrizität. Mehr als 65 Millionen Äthiopier lebten derzeit „in völliger Dunkelheit“, sagte Äthiopiens UN-Botschafter Taye Atskeselassie Amde letztes Jahr.

Dem Recht der 112 Millionen Äthiopier auf eine funktionierende Stromversorgung steht das Recht von 100 Millionen Ägyptern auf Wasser für ihre Landwirtschaft gegenüber. Während Äthiopien reich an Flüssen und Wasser ist, ist Ägypten ganz auf den Nil angewiesen, der rund 95 Prozent des Wasserbedarfs des Landes deckt.

Der Staudamm soll den im äthiopischen und eritreischen Hochland entspringenden Blauen Nil kurz vor der Grenze zum Sudan aufstauen (wie auf dieser Landkarte eingezeichnet). In der sudanesischen Hauptstadt Khartum vereinigt sich der Blaue mit dem Weißen Nil und fließt dann weiter nach Ägypten.

Konkurrierende Staudämme

An der ägyptisch-sudanesischen Grenze wird der Nil am Assuan-Staudamm aufgestaut, den der ägyptische Diktator Gamal Abdel Nasser ab 1964 mit sowjetischer Hilfe bauen ließ. Am 15. Januar 1971 – dreieinhalb Monate nach Nassers Tod – wurde der Damm von Nassers Nachfolger Anwar el-Sadat feierlich eröffnet. 90.000 ägyptische Bauern wurden für den Damm umgesiedelt. Zudem wurde der unter Pharao Ramses II. erbaute Tempel von Abu Simbel abgetragen und 64 Meter höher wiederaufgebaut, weil er anderenfalls vom Assuan-Stausee überschwemmt worden wäre.

Der Assuan-Staudamm hat eine theoretische Leistung von 2,2 Gigawatt und deckt etwa sechs Prozent des ägyptischen Strombedarfs. Wegen niedriger Wasserstände produziert er nie so viel Strom, wie er könnte – ein Problem, das verschärft wird, wenn die Staudämme Ägyptens und Äthiopiens um Wasser konkurrieren. In der Regenzeit, wenn der Assuan-Staudamm in der Vergangenheit gefüllt wurde, wird in Zukunft weniger Wasser dort ankommen, sodass die bisherigen Füllstände wahrscheinlich nicht mehr erreicht werden.

Dass Äthiopien das Recht hat, eine Talsperre zu bauen, wird von niemandem bestritten. Der Konfliktpunkt ist, ob Ägypten und dem Sudan ein Mitspracherecht zusteht, was die von Äthiopien aufgestauten Wassermengen betrifft. Dabei geht es zunächst um den Zeitraum, in dem die Talsperre gefüllt wird. Je kürzer er sein soll, desto mehr Wasser muss in diesem Zeitraum in Äthiopien aufgestaut werden – und desto weniger bleibt für den Sudan und Ägypten. Die beiden Länder haben darum ein Interesse daran, den Zeitraum möglichst weit zu strecken.

Äthiopien aber will allein darüber entscheiden und wird wahrscheinlich eine Füllung innerhalb von nur fünf bis sieben Jahren anstreben, damit sich die Kosten schnell amortisieren und schon in naher Zukunft für möglichst viele Menschen Strom erzeugt werden kann.

Eine Modellrechnung ägyptischer Wissenschaftler besagt: Füllt Äthiopien den Staudamm im Lauf von 21 Jahren, dann verlöre Ägypten pro Jahr fünf Prozent seines Wasseretats und 2,5 Prozent seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche. Beschleunigt Äthiopien das Füllen auf zehn Jahre, dann wären es 14 Prozent weniger Wasser für Ägypten und ein Verlust der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 18 Prozent. Und sollte sich Äthiopien entscheiden, den Damm so schnell wie möglich – innerhalb von drei Jahren – zu füllen, verlöre Ägypten laut der Rechnung 50 Prozent des Wassers und 67 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Die Regenzeit beginnt in Äthiopien im Juli. Am 22. Juli 2020 meldete der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed den Abschluss der ersten Füllung der Talsperre: 4,9 Milliarden Kubikmeter Wasser, genug, um die ersten beiden Turbinen zu testen.

Äthiopien wehrt sich gegen Abkommen

Bei der zweiten Füllung, die diesen Juli ansteht, will die äthiopische Regierung wesentlich mehr Wasser entnehmen: 13,5 Milliarden Kubikmeter. Dies werde katastrophale Folgen für Ägypten und den Sudan haben, schrieb die ägyptische Regierung in einem Brief an die Vereinten Nationen.

Beide Länder verlangen von der äthiopischen Regierung eine vertragliche Regelung der Füllmengen, die zwischen den Ländern ausgehandelt werden müsse. Die äthiopische Regierung lehnt das ab: „Äthiopien kann nicht einem Abkommen beitreten, das seine gegenwärtigen und zukünftigen legitimen Rechte zur Nutzung des Nils aufkündigen würde“, heißt es in einer Stellungnahme des Außenministeriums.

Das einzige Zugeständnis, zu dem Äthiopien sich bereit erklärt hat, ist, Ägypten und den Sudan regelmäßig über die Füllstände zu informieren. Das aber hat in Kairo und Khartum nur für Verärgerung gesorgt, man werde vor vollendete Tatsachen gestellt, hieß es.

Von der Afrikanischen Union (AU) initiierte trilaterale Gespräche, die Anfang April in Kongos Hauptstadt Kinshasa stattfanden, brachten keine Annäherung. Darum fordern Ägypten und der Sudan, dass die UNO, die USA oder die EU vermitteln sollten. Doch Äthiopien lehnt auch dies ab, will sich keinem Druck beugen. Am 5. Juni sollen in Äthiopien Parlamentswahlen stattfinden. Vorher wird der äthiopische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed wohl auf gar keinen Fall irgendwelche Zugeständnisse an die Nachbarländer machen.

Auf der Suche nach afrikanischen Verbündeten reiste der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry letzte Woche in sieben Länder: nach Tunesien, nach Kenia, auf die Komoren, nach Südafrika, in die Demokratische Republik Kongo, in den Niger und nach Senegal.

Kenia und Tunesien sind derzeit die einzigen afrikanischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Ägypten und der Sudan wollen, dass der UN-Sicherheitsrat es Äthiopien untersagt, ohne ein Abkommen die Talsperre zu füllen. Der UN-Sicherheitsrat hat sich bislang geweigert, das Thema auf seine Tagesordnung zu setzen.

Untergeneralsekretärin Rosemary DiCarlo vertröstete Ägypten letztes Jahr mit den Worten, der UN-Generalsekretär sei sich der Angelegenheit „völlig bewusst“ und habe ja schon am 19. Mai die Parteien „gedrängt“, „alle bestehenden Differenzen friedlich zu lösen“ – das Thema gehe aber nur die Konfliktparteien selbst und die Afrikanische Union (AU) etwas an. Die UNO könne allenfalls „technische Unterstützung“ anbieten.

Ägypten und der Sudan argumentieren, die Vermittlung der AU habe nichts gebracht. Äthiopien behauptet, die beiden hätten „nicht in guten Absichten“ verhandelt und seien selbst schuld an dem Scheitern der Gespräche. Sie wollten den Konflikt „internationalisieren“, um Druck auf Äthiopien auszuüben.

Militärmanöver an der Talsperre

Unterdessen wird der Ton der Politikerreden schärfer. Nach dem Scheitern der Gespräche in Kinshasa warnten der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Sudans Wasser- und Ressourcenminister Yasser Abbas, „alle Optionen“ lägen auf dem Tisch.

Die sudanesische Außenministerin Mariam al-Sadig al-Mahdi sagte Reportern, Äthiopiens Beharren auf unilateralen Schritten seien ein Verstoß gegen das internationale Recht. „Die Unnachgiebigkeit Äthiopiens erfordert, dass der Sudan alle möglichen Optionen erwägt, um seine Sicherheit und seine Bürger zu schützen“, hieß es in einer Erklärung des sudanesischen Wasser- und Ressourcenministeriums.

Schon im März hatte Sudans Wasserminister, Yasir Abbas, gewarnt, der äthiopische Ministerpräsident Abiy unterschätze das „Risiko“ für die Region, das seine Handlungen verursachten. „Glaubt er, dass er das Wasser und den Lebensunterhalt von 20 Millionen Sudanesen gefährden kann und dass wir das akzeptieren würden?“ sagte er. „Regionale Stabilität steht auf dem Spiel. Jede Art von Konflikt zwischen uns wird sich sofort auf eine größere Region ausbreiten – das Rote Meer, der Rest des Horns von Afrika.“

Beunruhigend wirkt in diesem Zusammenhang ein gemeinsames Militärmanöver unter dem Namen „Nil-Adler 2“, das die Streitkräfte Ägyptens und des Sudan Anfang April auf dem sudanesischen Luftwaffenstützpunkt Merowe im Norden des Sudan abhielten. In Merowe befindet sich auch die sudanesische Merowe-Talsperre. Wurde der Ort ausgesucht, um Luftangriffe auf eine Talsperre zu simulieren? Bereits letztes Jahr im November fand ein gemeinsames Manöver beider Länder statt – ebenfalls in Merowe.

Der Damm und der Tigray-Konflikt

Mena-Watch befragte dazu Volker Seitz, der von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig war, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea. Seitz gehört zum Initiativkreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe, ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann“und publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika.

„Der Grand Ethiopian Renaissance Dam sollte so gestaltet werden, dass er für alle flussabwärts gelegenen Anrainerstaaten des Nils Vorteile bringt – oder zumindest keine gravierenden Nachteile“, schreibt Seitz in einer E-Mail. Er erinnert daran, dass weniger als die Hälfte der äthiopischen Bevölkerung derzeit an das Stromnetz angeschlossen ist.

Die Talsperre habe aber für Äthiopien nicht nur ökonomische Bedeutung: „In politisch unruhigen Zeiten braucht die äthiopische Regierung den Damm, vielleicht mehr denn je, als nationales Symbol. Regierungschef Abiy kämpft aktuell um die Einheit Äthiopiens. Der Damm ist eines der wenigen Dinge, auf die sich alle einigen können“, so Seitz.

Er weist darauf hin, dass der Sudan nicht immer gegen die Talsperre war, sondern seinen Standpunkt erst in jüngster Zeit geändert hat. „Für uns hat der Damm viele Vorteile. Wir haben nun jemanden, der uns die Wassermassen der Regenmonate aufstaut und auf zwölf Monate verteilt”, sagte Ahmed el-Tayeb, der Direktor des Nationalen Wasserforschungszentrums im Sudan im Jahr 2018 gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Das Blatt zitiert ihn mit den Worten, der Damm in Äthiopien sei gut für die Landwirtschaft und gut für die Stromproduktion. „Die Stromversorgung im Sudan ist derzeit so miserabel, dass es in der Hauptstadt Khartum fast nur Elektrizität von Dieselgeneratoren gibt“, schreibt Volker Seitz. „Der GERD könnte dem Land billigen Strom liefern.“ Dass die Regierung des Sudan ihre Meinung zu dem Staudamm geändert hat, sei eine Folge des Tigray-Konflikts, so Seitz.

In der äthiopischen Provinz Tigray, die im Westen an den Sudan grenzt, führt die äthiopische Regierung Krieg gegen die Volksbefreiungsfront TPLF, die ehemals dominierende Partei Äthiopiens, der Abiy Verrat vorwirft, weil sie im September 2020 eigenmächtig Wahlen in Tigray abhielt, die von Abiy nicht anerkannt werden.

Der Sudan ist vom Tigray-Konflikt  dadurch betroffen, dass Zehntausende Äthiopier in den Sudan geflohen sind; zudem wirft der Sudan der äthiopischen Armee – aber auch Milizen der TPLF – vor, auf sudanesisches Gebiet vorgedrungen und sudanesische Soldaten getötet zu haben. Der Tigray-Konflikt ist zu einem Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und dem Sudan geworden, auch weil der genaue Grenzverlauf unklar bzw. umstritten ist.

Streitpunkt ist ein fruchtbares Gebiet namens al-Fashaga. Laut Verträgen aus der Kolonialzeit gehört es zum Sudan. Doch Äthiopier leben dort seit langer Zeit und zahlen Steuern an Äthiopien. Der Sudan duldet das, und hat sich 2008 in einem Abkommen mit Äthiopien auf die Bewahrung des Status quo verständigt.

Der Konflikt brach wieder auf, als im Zuge des Tigray-Konflikts äthiopische Soldaten und TPLF-Milizionäre nach al-Fashaga eindrangen, die die sudanesische Armee nach eigenen Angaben bis Anfang März wieder vertrieben hatte. Daraufhin warf Äthiopien der sudanesischen Armee vor, nach Äthiopien eingedrungen zu sein, was diese leugnet.

Welche supranationalen Organisationen könnten vermitteln? Sollte die Europäische Union – die ja im Fall des Iran stets erpicht darauf ist, als Vermittler aufzutreten – sich einschalten? „Ich denke, dass die Afrikanische Union sich stärker engagieren sollte“, schreibt Seitz. „Von einer Vermittlung durch die UNO oder gar die EU halte ich wenig.“ Die USA hingegen könnten „gute Dienste leisten“, glaubt er. „Sie haben den größten Einfluss in Ägypten und in Äthiopien.“

In Ermangelung europäischer und amerikanischer Unterstützung setzt Ägypten setzt derzeit darauf, regionale Akteure auf seine Seite zu ziehen. Am Samstag begrüßte der ägyptische Präsident al-Sisi auf dem Flughafen Kairo Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan, den Kronprinzen von Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterhalten gute Beziehungen zu beiden Ländern, zu Ägypten und Äthiopien, und haben sich anders als Saudi-Arabien und Bahrain nicht hinter Ägypten gestellt. Das bereitet der ägyptischen Regierung Sorge. Andererseits kämen sie dadurch als neutraler Vermittler in Frage.

Doch Äthiopiens Regierung teilte Ende März mit, sie sei nur bereit, unter Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate über den Grenzkonflikt mit dem Sudan zu verhandeln, nicht aber über die Talsperre.

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