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Tod von Shireen Abu Akleh: Wenn der Schuldige immer schon feststeht

Bilderausstellung in Dschenin zu Ehren der getöteten Journalistin Shireen Abu Akleh
Bilderausstellung in Dschenin zu Ehren der getöteten Journalistin Shireen Abu Akleh (© Imago Images / ZUMA Wire)

Ob amerikanische Abgeordnete oder britische Schattenkabinettsmitglieder – während sich Antisemiten im Westen über die unbewiesene Schuld der israelischen Sicherheitskräfte einig sind, machen muslimische Staaten Israel nicht verantwortlich.

Jedes Jahr gibt es in Jordanien im Schnitt 300 Tote durch Schüsse in die Luft, die etwa bei Beerdigungen, Hochzeiten oder an islamischen Feiertagen abgegeben werden. Auch in den arabischen Teilen Israels führt die Ballerei – eine Tradition, die bis ins Osmanische Reich zurückreicht – regelmäßig zu Toten und Verletzten. Menschen müssen sterben, weil einige Irre glauben, vor Freude oder Trauer schießen zu müssen. Wohin die Kugeln fliegen, überlassen sie dem Zufall. Nicht so in Dschenin.

Schießereien, die Al Jazeera gefallen

In Dschenin wird geschossen, um zu töten. In einem Propagandabeitrag lobte der Nachrichtensender Al Jazeera Ende April Dschenin als »Hochburg des Widerstands«. Nicht weniger als 15-mal kam das Wort »Widerstand« in dem kurzen Text vor. Der Begriff »Terror« hingegen nur in Anführungszeichen. Zu dem von Dschenin ausgehenden Widerstand zählte Al Jazeera in jenem Beitrag etwa folgende beiden Fälle:

»Am 7. April eröffnete der 28-jährige Raad Hazem aus dem Flüchtlingslager Dschenin in einer überfüllten Bar in Tel Aviv das Feuer, tötete drei Israelis und verletzte zehn weitere.«

Dieser Mordanschlag wurde übrigens von Dschenins Gouverneur Akram Rajoub öffentlich gepriesen. Der Täter sei »kein Terrorist, sondern ein Fatah-Kämpfer«. Weiter heißt es in dem Al Jazeera-Text:

»Nur eine Woche zuvor, am 29. März, hatte Diaa Hamarsheh aus dem Dorf Ya’bad, wenige Kilometer außerhalb von Dschenin, fünf Menschen in der ultraorthodoxen Stadt Bnei Brak östlich von Tel Aviv getötet.«

Na, wenn das kein heldenhafter Widerstand ist, dem jedes Kind nacheifern sollte. Der Al Jazeera-Autor gibt also zu, dass von Dschenin aus immer wieder Massaker an Zivilisten vorbereitet werden, nennt es nur anders, nämlich »Widerstand«. Und auch dieser zitierte Abschnitt, der die relevanten Fakten über den Terror nennt, ist tief im Text vergraben.

An dessen Beginn steht die Schilderung eines »groß angelegten israelischen Angriffs« auf Dschenin, auf den »palästinensische Kämpfer geantwortet« hätten. Es habe dann ein Feuergefecht gegeben, das zwei Stunden angedauert habe. Angaben dazu, wie viele »Kämpfer« es in Dschenin gibt, finden sich in dem Beitrag nicht, doch wird erwähnt, dass »maskierte Männer, die zur Fatah und dem Islamischen Dschihad gehören«, immer wieder durch die Straßen »paradieren«, wenn es »Spannungen« gibt und »ihre Bereitschaft, zu kämpfen« zeigten.

Dschenin ist also offenbar keine Quäker- oder Mennonitensiedlung. Auf Fremde wird aus allen Rohren geschossen. Selbst für die Polizei der Palästinensischen Autonomiebehörde, die die Stadt ja eigentlich kontrollieren soll, ist Dschenin eine No-go-Area: Wenn die palästinensischen Polizisten die Stadt betreten wollen, werden sie sofort ins Gewehrfeuer genommen.

Am Morgen des 11. Mai 2022 wurde in Dschenin wieder einmal aus zahlreichen Häusern geschossen. Dabei starb die Al-Jazeera-Korrespondentin Shireen Abu Akleh. Angesichts der zahlreichen schießfreudigen Bewohner hätte sie ebenso gut bei einem palästinensischen Polizeieinsatz sterben könne. Bis heute ist nicht geklärt, aus wessen Lauf die tödliche Kugel stammte.

Drei Tage nach Shireen Abu Akleh starb nur wenige hundert Meter entfernt der israelische Soldat Noam Raz (46) bei einem Antiterroreinsatz. Er hinterlässt seine Frau und sechs Kinder. Natürlich feiern die Terroristen dessen Tod und rufen nicht »Wir waren das nicht, das waren die Israelis«. Aber wenn während einer der alltäglichen, von den Terroristen in Dschenin veranstalteten Kanonaden eine Al Jazeera-Journalistin getötet wird, dann soll, ohne jede Untersuchung, klar sein, dass sie nur »von Israel« getötet worden sein könnte.

Die Juden sind schuld – immer

Die Frage, für welche Verbrechen und Missstände dieser Welt die Juden die Verantwortung tragen, ist für den Antisemiten leicht zu beantworten: für alle. Die Juden sind von Natur aus schuldig. Es gibt daher auch keinerlei Grund für zeitraubende Untersuchungen. Was sagen die üblichen Verdächtigen? Die demokratische US-Abgeordnete Ilhan Omar sagt:

»Sie (Abu Akleh) wurde vom israelischen Militär getötet, nachdem sie ihre Anwesenheit als Journalistin klar zum Ausdruck gebracht hatte.«

Ihre Verbündete Rashida Tlaib wünscht auch keine Untersuchung:

»Wir können Menschen, die Kriegsverbrechen begehen, nicht erlauben, diese selbst zu untersuchen. Das ist nicht gerecht.«

Sie wisse nämlich, so Tlaib, »dass eine solche Untersuchung völlig voreingenommen wäre«, schließlich habe Israel ja eine »Apartheidregierung«.

Laut MEMRI nahm Tlaib an einer Demonstration dieser Tage in Dearborn, Michigan, teil, auf der gefordert wurde, den Palästinensern zum »Sieg« zu verhelfen, »mit Steinen, Gewehren, Flugzeugen, Drohnen, Raketen und unseren Stimmen«. Außerdem brachte sie eine Resolution ins US-Repräsentantenhaus ein, nach der die Staatsgründung Israel als »Katastrophe« bezeichnet werden soll.

Und dann ist da noch der britische Labour-Abgeordnete Bambos Charalambous, seit 2021 »Schattenminister für Nordafrika und den Nahen Osten« (davor »Schattenminister für Verbrechensreduzierung und Gerichte«). Charalambous ist Mitglied der Gruppe Labour Friends of Palestine & the Middle East (LFPME) und war bei der von Labour beantragten Parlamentsdebatte über Abu Aklehs Tod schnell mit einem abschließenden Vorurteil zur Stelle:

»Die Ermordung von Shireen Abu Akleh war nicht nur eine empörende Tat, sondern ein Angriff auf die Freiheit der Medien und die Unabhängigkeit von Journalisten, die weltweit arbeiten und eine entscheidende Rolle bei der Berichterstattung über Konflikte, der Suche nach der Wahrheit und dem Erzählen der Geschichten der Betroffenen spielen. Die Labour-Partei verurteilt die Gewalt der israelischen Streitkräfte unmissverständlich.«

Warum sollte man eine Untersuchung abwarten oder dem Beschuldigten die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen? Würde das nicht auf Kosten der Unmissverständlichkeit der Verurteilung gehen? Es ist wie in Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie (1914), in der ein Offizier zum Forschungsreisenden sagt:

»Der Grundsatz, nach dem ich entscheide, ist: Die Schuld ist immer zweifellos.«

Was würde passieren, wenn ein Angeklagter Gelegenheit zur Verteidigung bekäme? Bei Kafka erklärt der Offizier:

»Hätte ich den Mann zuerst vorgerufen und ausgefragt, so wäre nur Verwirrung entstanden. Er hätte gelogen, hätte, wenn es mir gelungen wäre, die Lügen zu widerlegen, diese durch neue Lügen ersetzt und so fort. Jetzt aber halte ich ihn und lasse ihn nicht mehr.«

Keine jordanische Beschuldigung

Es gibt auch Lichtblicke: Wie die Times of Israel berichtet, hätten Regierungsvertreter etlicher mehrheitlich muslimischer Staaten den Tod Abu Aklehs verurteilt, ohne aber Israel die Schuld zu geben, darunter die Türkei, Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Jordanien. Jordanien ist sicherlich das Land, das über seine Geheimdienste am besten darüber Bescheid weiß, was in der West Bank vor sich geht.

Das Außenministerium des Hamas-Verbündeten Katars – wo Al Jazeera seinen Sitz hat – sprach hingegen, wie zu erwarten, davon, dass »israelische Okkupationskräfte« die Journalistin »ermordet« hätten.

Daran, dass sie schon beim Eintreffen einer Nachricht ohne jede Prüfung die Juden für schuldig erklären, erkennt man diejenigen, für die die Schuld der Juden ohnehin stets der Dreh- und Angelpunkt ihrer Weltanschauung ist, egal, ob es um Kriege, Revolutionen, Börsencrashs, Wirtschaftskrisen, Angriffe von Haien oder eben den Tod einer Reporterin geht.

Die erste Reaktion wird bei ihnen auch die bleibende sein: Wurde in der Vergangenheit Israel die Schuld an dem gewaltsamen Tod von Palästinensern gegeben und es sich später herausstellte, dass die Opfer in Wahrheit von Raketen oder Kugeln der Hamas getötet worden waren, war Letzteres kaum jemandem eine Nachricht wert.

Es geht nicht um die Wahrheit, sondern um die Verurteilung der Juden. Wer es wie Ilhan Omar oder Rashida Tlaib zu seinem Lebensinhalt gemacht hat, auf Juden zu schimpfen, wird sich von Fakten nicht beirren lassen.

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