Eine PR-Kampagne hat das Bild jenes Mannes verändert, der bis vor Kurzem noch mit der Terrororganisation Al-Qaida assoziiert war und nun in entscheidendem Ausmaß zum Sturz Bashar al-Assads in Syrien beigetragen hat.
Vor Jahren gründete Ahmed al-Sharaa oder Abu Muhammad al-Julani, wie sein Kampfname lautet, die Nusra-Front und schwor Al-Qaida die Treue, bevor er den Namen seiner Organisation in Hayat Tahrir al-Sham (HTS) änderte, sich von al-Qaida lossagte und die Verbindung zu der untrennbar mit dem Namen Osama bin Laden verbundenen Terrororganisation abbrach. In den vergangenen Tagen wurde er immer wieder als Anführer der bewaffneten Opposition bezeichnet, welche die Herrschaft von Bashar al-Assad in Syrien gestürzt hat.
Al-Julani legte nach und nach seinen Turban ab, der ihn zu Beginn seiner Laufbahn noch auszeichnete, und trägt nun Militäruniform und manchmal auch Zivilkleidung. Vor einigen Tagen besuchte er die historische Zitadelle von Aleppo, der zweitgrößten Stadt Syriens, nachdem seine Kämpfer die Kontrolle über sie übernommen hatten, und sandte beruhigende Botschaften an die Christen.
Auch nach dem Sturz Assads verhielt sich der frühere Al-Qaida-Verbündete wie ein »normaler« Politiker, als er erklärte, die öffentlichen Einrichtungen Syriens blieben unter der Aufsicht des ehemaligen Premierministers Mohammed al-Jalali, bis sie seiner Organisation HTS übergeben würden. Al-Jalali, der im vergangenen September von Assad zum Premierminister ernannt worden war, erklärte seinerseits in einem Interview mit dem saudischen TV-Sender Al-Arabiya, es habe »eine Kommunikation mit al-Julani darüber gegeben, wie die aktuelle Lage zu bewältigen sei«.
Wer also ist al-Julani?
Seit der Abspaltung seiner Organisation im Jahr 2016 von al-Qaida versucht al-Julani, sein Image zu ändern und sich moderater zu präsentieren, ohne bislang jedoch Analysten oder westliche Regierungen, die Hayat Tahrir al-Sham als terroristische Vereinigung einstufen, wirklich überzeugt haben zu können. Zuvor war er eher unbekannt, da es viele Jahre lang kaum Informationen über ihn gab. Doch in den letzten zehn Jahren rückte er langsam ins Rampenlicht, während die USA immer noch zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf oder Informationen über ihn ausgesetzt haben.
Al-Julani stammt aus einer mittelständischen Familie. Sein Vater, der Wirtschaftswissenschaftler Hussein al-Sharaa, dürfte promoviert haben und war jahrelang im Ölsektor tätig, weshalb er sich in Saudi-Arabien niederließ, wo im Jahr 1982 sein Sohn Ahmed al-Sharaa geboren wurde. Danach kehrte die Familie nach Syrien zurück und ließ sich in einem der gehobenen Viertel von Damaskus nieder.
Arabischen Berichten zufolge ist über die Bildungsabschlüsse al-Julanis nichts Genaueres bekannt. Während einige Quellen angeben, er hätte zwei oder drei Jahre lang Medizin an der Universität von Damaskus studiert, meinen andere, dass er sich an derselben Universität den Medienwissenschaften gewidmet habe. Was von beiden auch zutreffen mag, gesichert ist, dass er keine Ausbildung abgeschlossen hat und es vorzog, sich den Freiwilligen anzuschließen, um 2003 im Irak gegen die Amerikaner zu kämpfen.
Seine militärische Erfahrung sammelte al-Julani als junger Kämpfer bei Al-Qaida gegen die Vereinigten Staaten, bevor er von US-Truppen im Irak gefangen genommen und inhaftiert wurde. Nach seiner Freilassung kehrte er nach Syrien zurück, um dort Jabhat al-Nusra, den syrischen Zweig von al-Qaida, zu gründen. Im April 2013 schwor al-Julani dem damaligen al-Qaida-Führer Ayman al-Zawahiri die Treue und pries die Organisation und ihren Anführer in einem online veröffentlichten Video. Das US-Außenministerium gibt an, dass Jabhat al-Nusra unter al-Julanis Führung »terroristische Operationen durchgeführt hat, die sich oft gegen Zivilisten richteten«.
Im Mai 2015 grenzte sich al-Julani explizit von den Aktionen des Islamischen Staates ab, indem er erklärte, nicht die Absicht zu haben, westliche Ziele anzugreifen und im Falle eines Sturzes des Regimes keine Vergeltungsmaßnahmen gegen Assads alawitische Minderheit ergreifen zu wollen. Mitte 2016 gab Abu Muhammad al-Julani die Abspaltung seiner Organisation von al-Qaida und die Umbenennung von Jabhat al-Nusra in Jabhat Fateh al-Sham bekannt.
Sechs Monate später, im Januar 2017, verkündete er schließlich in jenen Gebieten im Nordwesten Syriens, die außerhalb der Kontrolle des Regimes verblieben waren, die Gründung von Hay’at Tahrir al-Sham, die aus dem Zusammenschluss mehrerer islamistischer Fraktionen hervorging, darunter Jabhat Fateh al-Sham, Jabhat Ansar al-Din, Jaysh al-Sunna, Liwa al-Haqq und die Nour al-Din al-Zenki-Bewegung.
Hat sich Al-Julani wirklich geändert?
Seitdem bemüht sich al-Julani, das Bild eines Führers zu vermitteln, der eine andere Richtung eingeschlagen hat als in der Vergangenheit; versucht, pragmatisch zu wirken und hat sich zu diesem Zweck von seiner ehemals extremistischen Rhetorik abgewandt.
»Al-Julani und HTS haben sich deutlich verändert«, sagte der Forscher am Century International Thinktank Aron Lund, der jedoch anmerkte, sie seien »im gewissem Umfang Hardliner geblieben«. Es handle sich um eine PR-Kampagne, meinte Lund, aber allein die Tatsache, dass sie sich in dieser Richtung engagieren, zeige, dass sie nicht mehr dieselben Hardliner sind wie früher. »Die alte Garde von al-Qaida oder dem IS hätte so eine Kampagne nie gemacht.«
Der Forscher Yilmaz Said schrieb vor zwei Jahren am Washington Institute, obwohl al-Julani versucht habe, grundlegende ideologische und organisatorische Veränderungen bei HTS vorzunehmen, indem er sich von der dschihadistischen Ideologie distanziert habe, um das Image nach außen hin zu verbessern, »ist auch klar geworden, dass diese Veränderungen mit den vorübergehenden interessensbedingten Schwankungen der Gruppe zusammenhängen, die derzeit darin bestehen, sich als gemäßigte Einheit zu vermarkten und den Vorwurf der internationalen Terrororganisation loszuwerden«.
Diese Situation könne sich jedoch jederzeit ändern und alle Änderungen rückgängig gemacht werden: »Al-Julani wird seine Taktik im Handumdrehen ändern, ohne die Bedürfnisse des syrischen Volkes zu berücksichtigen«, wenn dies nötig sei, »um seine Kontrolle aufrechtzuerhalten«.
Mit anderen Worten: Al-Julani, der sich als gemäßigter Pragmatiker ausgab, um seine Ziele zu erreichen und Syrien zu kontrollieren, könnte jederzeit zu seinen alten Ideen zurückkehren, die Syrien in einen extremistischen Staat unter islamischer Herrschaft verwandeln würden.