Latest News

Syrien: Vorerst kein Ende der Krise absehbar

Syriens Präsident al-Shara zu Besuch bei seinem französischen Amtskollegen Macron
Syriens Präsident al-Shara zu Besuch bei seinem französischen Amtskollegen Macron (© Imago Images / ZUMA Press Wire)

Die internationale Gemeinschaft signalisiert Unterstützung für Syrien. Doch innere Konflikte gefährden den Weg zu Stabilität und demokratischem Wandel.

Syriens neuer Präsident Ahmad al-Sharaa wurde am 7. Mai in Paris empfangen. Für den ehemaligen Dschihadisten, der sich jetzt als pragmatischer Islamist gibt, war das sein erster Staatsbesuch in einem westlichen Land. Bei dem Treffen mit Frankreichs Staatspräsident ging es unter anderem um die gegen Syrien verhängten Sanktionen. Emanuel Macron versicherte, Paris werde weiterhin auf die Aufhebung der europäischen Sanktionen drängen, solange die Regierung in Damaskus sinnvolle Reformen durchführe.

Für al-Sharaa war die Einladung nach Paris ein bedeutender diplomatischer Schritt. Nicht nur unterstreicht der Empfang die Legitimation der von ihm geführten neuen Regierung, eine mögliche Aufhebung der Sanktionen könnte auch den Weg für eine wirtschaftliche Erholung des Landes ebnen, die nach vierzehn Jahren Krieg dringend geboten ist.

USA zurückhaltend

»Es liegt im Interesse aller, auch im Interesse der Amerikaner, den Prozess der Aufhebung der Sanktionen zu unterstützen«, zitierte die amerikanische Nachrichtenwebsite Al-Monitor den französischen Präsidenten. Doch Washington zeigte sich bisher zurückhaltend: Die Regierung erteilte zwar eine Genehmigung für die Einführung humanitärer Hilfsgüter nach Syrien, hält aber die meisten ihrer Sanktionen aufrecht.

Für deren Aufhebung stellt Washington zahlreiche Bedingungen an die von al-Sharaa geführte Regierung, darunter die Ernennung eines Vermittlers, der bei der Suche nach Informationen über Austin Tice beteiligt ist – jenen amerikanischen Journalisten, der vor mehr als einem Jahrzehnt vom früheren Regime von Baschar al-Assad inhaftiert wurde.

Weiters müsse Damaskus die vollständige Beseitigung von Massenvernichtungswaffen sicherstellen und sich verpflichten, keine Kontakte zur Hamas, zum Islamischen Dschihad oder zu anderen militanten palästinensischen Gruppen zu halten. Die Islamische Revolutionsgarde des Irans soll zur terroristischen Organisation erklärt werden und es dürfe keine ausländischen Kämpfer in hochrangigen Regierungspositionen geben. Washington erwartet sich außerdem, in Syrien weiterhin frei operieren zu können, sei es bei der Bekämpfung des Islamischen Staates oder bei Tötungsmissionen gegen Personen auf syrischem Territorium.

Anders als die USA zeigen sich europäische Staaten offener für eine Aufhebung der Sanktionen. Wie Al-Monitor berichtete, hob Großbritannien im März die Sanktionen gegen 24 syrische Einrichtungen, darunter die Zentralbank, auf. Die Europäische Union beschloss bereits im Februar, eine Reihe von Sanktionen gegen den syrischen Energie-, Banken- und Verkehrssektor auszusetzen. Insgesamt haben die EU-Staaten knapp 3,4 Milliarden Euro an Hilfe für Syrien zugesagt. Damit sind sie weiterhin der größte Geber für Syrien und dessen Nachbarländer, die syrische Flüchtlinge aufgenommen haben.

Aber auch aus der Region erhält die neue Regierung Unterstützung. Katar und Saudi-Arabien sagten zu, Syriens Schulden beim Weltwährungsfonds in Höhe von fünfzehn Millionen Dollar zu begleichen. Diese finanzielle Hilfestellung eröffnet dem Land den Zugang zu dringend benötigten internationalen Krediten und erleichtert den Wiederaufbau.

Angespannte Lage

Während der Übergangspräsident schon längst die Bühne der internationaler Politik betreten hat, ist das Land selbst weiterhin von großer Unsicherheit geprägt. Die anhaltende sektiererische Gewalt schürt unter den vielen Minderheiten die Befürchtung, dass die neue, großteils der sunnitischen Mehrheit angehörende Regierung diese nicht vor extremistischen Gruppen schützen kann oder will.

Nach dem Massaker an Alawiten in der Küstenregion im März flammten Ende April erneut Kämpfe auf, bei denen an die hundert Menschen getötet wurden. Schauplätze waren unter anderen Jaramana, ein Vorort von Damaskus, und Suweida im Süden der Hauptstadt – alles Orte, in denen zahlreiche Angehörige der drusischen Minderheit leben. Hinter den Anschlägen sollen syrische Sicherheitskräfte und Mitglieder regierungsnaher Milizen stehen.

Auslöser für die Eskalation war eine Tonaufnahme, in der angeblich ein Druse den Propheten Mohammed beleidigte. Als Reaktion auf die Angriffe gegen Drusen startete Israel Luftangriffe und drohte, syrische Regierungstruppen zur Verteidigung der Drusen anzugreifen. Laut New York Times lehnten viele prominente syrische Drusenführer dieses Angebot Israels jedoch ab.

Tatsächlich sind die Drusen in ihrer Einstellung gegenüber Damaskus gespalten. Während Scheich Hikmat al-Hijri, geistliches Oberhaupt der syrischen Drusen, eine konfrontative Haltung vertritt, setzen andere wie der örtliche Geistliche Rat in Jaramana auf Deeskalation. Die Mitglieder des Rats riefen die Behörden dazu auf, »undisziplinierte Kräfte und Gruppierungen zu stoppen, die versuchen, das allgemeine Sicherheitspersonal und die Einwohner von Jaramana zu provozieren«. Der Rat betonte, dass die Bemühungen zur Wiederherstellung der Normalität und zur Erhöhung der Sicherheit und Stabilität fortgesetzt würden.

Einfluss Ankaras

Diese jüngsten Vorfälle verdeutlichen ein weiteres Mal, dass das Verteidigungsministerium die Sicherheitskräfte nicht vollständig unter Kontrolle hat. Einer der Gründe dafür ist, dass zahlreiche der in Syrien operierenden Milizen nach wie vor auf der Soldliste der Türkei stehen.

Al-Sharaa wiederum kann den mächtigen Nachbarn im Norden nicht ignorieren, woraus sich eine Vernunftehe zwischen Damaskus und Ankara ergab: al-Sharaa erhält Schutz, während die Türkei ihre strategischen Interessen in Syrien sichert. So setzte der neue syrische Anführer drei führende Mitglieder der von Ankara finanzierten SNA (Syrische Nationale Armee) in Schlüsselpositionen der neu strukturierten Armee ein.

Mohammad al-Jasem, Anführer der Sultan-Suleiman-Schah-Brigade, wurde zum Befehlshaber der Hama-Division ernannt; Sayf Abu Bakr, Führer der Hamzat-Division, erhielt den Oberbefehl über die 76. syrische Division. Beide Milizen sollen an den gegen Alawiten verübten Massakern in den Küstenprovinzen im vergangenen März beteiligt gewesen sein.

Laut Al-Monitor wurde außerdem Ahmad al-Hayes, ein von den USA sanktionierter Milizenführer, zum neuen Chef der 86. Division der Armee ernannt, die für Raqqa, Al-Hasaka und Deir ez-Zor zuständig ist. Die von al-Hayes angeführte Miliz Ahrar Al-Sharqiya wurde von Ankara mehrmals gegen die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte eingesetzt. Dass ausgerechnet er und seine Miliz nun im Osten Syriens an der Grenze zu den kurdischen Gebieten stationiert ist, verheißt nichts Gutes.

Drahtseilakt

Nach wie vor ist unklar, wohin der ehemalige Dschihadist Syrien führen wird. Nach außen hin kann er überzeugen und die internationale Gemeinschaft zeigt Bereitschaft zur Unterstützung. Gleichzeitig halten die innerstaatlichen Konflikte an, die Stimmen der religiösen Hardliner sind laut, die Minderheiten verunsichert. Hinzu kommen die noch verbliebenen bewaffneten Anhänger des gestürzten Präsidenten Baschar al-Assad, die zum Kampf gegen die neue Regierung aufrufen.

Geht man davon aus, dass Ahmad al-Sharaa jener Pragmatiker ist, der zu sein er vorgibt, ist seine Aufgabe keine leichte. Der Aufbau eines (halbwegs) inklusiven, stabilen Syriens bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Interessen mächtiger Nachbarn und dem Eindämmen radikaler Gruppierungen innerhalb des Sicherheitsapparats gleicht einem Drahtseilakt. Es bleibt abzuwarten, ob die Übergangsregierung in der Lage sein wird, die verschiedenen Interessengruppen zu einen, was auf jeden Fall seine Zeit brauchen wird. Nach über fünfzig Jahren Diktatur und vierzehn Jahren Krieg ist also mit einer längeren, krisenhaften Übergangsphase zu rechnen.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!