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Selenskyj-Karikatur in der SZ: Antisemitismus als Wiederholungstat

Die Süddeutsche Zeitung fällt nicht zum ersten Mal durch Karikaturen mit antisemitischer Bildsprache auf. (© imago images/Schöning)
Die Süddeutsche Zeitung fällt nicht zum ersten Mal durch Karikaturen mit antisemitischer Bildsprache auf. (© imago images/Schöning)

In der Süddeutschen Zeitung ist einmal mehr eine Karikatur mit antisemitischer Bildsprache erschienen: Der jüdische Präsident der Ukraine wird im »Stürmer«-Stil als Herrscher über die Wirtschaftselite gezeichnet. Die Kritik daran ist heftig, zumal die SZ diesbezüglich eine Wiederholungstäterin ist, doch die Redaktion spielt die Angelegenheit mit dürren Worten herunter.

Sie hat es schon wieder getan: Die Süddeutsche Zeitung hat erneut eine antisemitische Karikatur veröffentlicht. Diese zeigt Wolodymyr Selenskyj, den jüdischen Präsidenten der Ukraine, wie er übergroß über dem Weltwirtschaftsforum in Davos sitzt, als auch äußerlich mächtiger, zwielichtiger, bedrohlich wirkender Herrscher mit grimmigen Glubschaugen, langer Nase und leicht gekrümmtem Körper. Es wirkt, als bestünde das Forum, das sich in der Zeichnung von Pepsch Gottscheber aus gesichts- und namenlosen Gestalten zusammensetzt, aus Spielfiguren, die Selenskyj nach Belieben steuern und verschieben kann.

Das antisemitische Weltbild schreibt Juden eine allumfassende Macht über Wirtschaft, Politik und Medien zu, es stellt sie als Strippenzieher dar, als Kontrolleure und Profiteure des Weltgeschehens, gerade in Kriegszeiten. Entsprechend sieht auch die Bildsprache aus, die häufig mit altbekannten Chiffren und Codes arbeitet. Dazu gehört es auch, Juden möglichst unvorteilhaft darzustellen – oftmals dicklich, finster und hässlich – und angeblich typische physiognomische Merkmale wie eine lange, krumme Nase und abstehende Ohren hervorzuheben.

Die Süddeutsche Zeitung hat auf die in den sozialen Netzwerken rasch einsetzende Kritik mit einer kurzen Erklärung auf Twitter reagiert. »Diese Karikatur ist die zeichnerische Umsetzung der Fernsehbilder vom Montag«, heißt es dort lapidar. »Der ukrainische Präsident auf der Videowand, und damit im XXL-Format, vor dem Publikum in Davos. Sie illustriert, wie dominierend das Thema Ukraine dort ist.« Mehr will sich der Zeichner also angeblich nicht dabei gedacht haben. Eine erstaunliche Äußerung, gerade wenn man bedenkt, dass Karikaturen nie nur »zeichnerische Umsetzungen« von Bildern oder Fotos sind – ansonsten könnte man ja gleich auch diese veröffentlichen.

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Antisemitische Bildsprache

Nein, Karikaturen heben hervor, spitzen zu und überzeichnen; sie sind oft spöttische Bildkommentare. Das ist auch in diesem Fall nicht anders, was deutlich wird, wenn man – wie es auch die Süddeutsche auf Twitter getan hat, ohne die Problematik zu erkennen – die Zeichnung dem Foto gegenüberstellt, das die per Video erfolgte Zuschaltung von Selenskyj zum Weltwirtschaftsforum zeigt. In Wirklichkeit sprach der ukrainische Präsident zu einem Publikum, das ihn in Davos auf einer großen Leinwand verfolgen konnte. Die Körperhaltung des eher schmalen und sportlichen Selenskyj war dabei neutral.

In Gottschebers Karikatur dagegen thront er über den Managern und Spitzenpolitikern des Weltwirtschaftsforums, er wird dort zu einer monströsen Gestalt, die das vom Publikum zum Gremium gewordene Forum beherrscht. Sein Körperumfang ist wesentlich größer, die Haltung aggressiver, die Nase lang, der Gesichtsausdruck geifernd; Selenskyj wirkt bedrohlich und riesig, ihm gegenüber erscheinen die Angehörigen der Wirtschaftselite geradezu zwergenhaft. Diese Bildsprache ist antisemitisch, die Karikatur hätte auch »im ›Stürmer‹ erscheinen können«, wie nicht nur die die Berliner Dependance des American Jewish Committee auf Twitter zu Recht befand.

Die Süddeutsche Zeitung ist eine Wiederholungstäterin

Die Süddeutsche Zeitung hat also keineswegs nur die »zeichnerische Umsetzung« von Fernsehbildern gedruckt, sondern einmal mehr eine Karikatur veröffentlicht, die mit antisemitischen Chiffren arbeitet. Das war schon 2018 so, als sie eine Zeichnung des Karikaturisten Dieter Hanitzsch ins Blatt hob, »die den Eurovision Song Contest (ESC) zu einem Event israelischer Kriegspropaganda umdeutete und die ESC-Gewinnerin Netta Barzilai mit dem Antlitz des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu darstellte, mit großen, abstehenden Ohren sowie einer Davidstern-Rakete in der Hand«, wie Frederik Schindler in der Tageszeitung Die Welt zusammenfasst.

Das war auch schon 2014 so, als die SZ eine Karikatur von Burkhard Mohr veröffentlichte, die den Facebook-Gründer Mark Zuckerberg als Krake mit Hakennase, fleischigen Lippen und unzähligen großen Tentakeln zeigte. Und es war bereits 2013 so, als die Zeitung ein Bild von Ernst Kahl druckte, das ursprünglich zwar nicht »den Juden« als Monster in Menschengestalt dargestellt hat – es war in einem völlig anderen, nicht politischen Kontext erschienen –, aber durch die entsprechende, veränderte Kontextualisierung exakt so wirkte und Israel damit als blutrünstigen, unersättlichen Teufel dämonisierte, dem Deutschland diene, und das auch noch teilweise kostenlos.

Folgenlose Bitten um Entschuldigung

Die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung hatte im Mai 2018, nach dem Abdruck der Netanjahu-Karikatur, noch angekündigt, man werde die »redaktionsinternen Abläufe bei der Veröffentlichung von Karikaturen überprüfen und gegebenenfalls verändern«. Vom Zeichner Dieter Hanitzsch trennte sich das Blatt. Auch 2013 und 2014 hatte sie jeweils einen Fehler eingeräumt und um Entschuldigung gebeten. Doch diese Stellungnahmen haben offenbar keinen internen Prozess in Gang gesetzt, der dazu geführt hätte, dass antisemitischen Zeichnungen nicht mehr in der SZ erscheinen können. Sie haben keine Konsequenzen gezeitigt.

Dass die betreffenden Karikaturisten gewiss nicht absichtlich zur antisemitischen Bildersprache gegriffen haben, ist dabei unerheblich. Denn es ist das kollektive Unbewusste, das solche Werke entstehen lässt; die antisemitischen Chiffren, Codes und Stereotypen sitzen dort fest und werden wie automatisch abgerufen, wenn man sich nicht mit ihnen befasst. Dabei sind sie keineswegs unbekannt, wovon schon die zahlreichen geharnischten Reaktionen auf die dürre Erklärung der SZ zur Kritik an der Karikatur zeugen.

Einverständnis mit den antisemitischen Chiffren und Codes?

Diesmal konnte sich die Chefredaktion also, bislang zumindest, noch nicht einmal zu einer routinemäßigen Bitte um Entschuldigung durchringen; stattdessen verkauft sie ihre Leser für dumm. Dass niemandem bei der Süddeutschen »diese klaren antisemitischen Chiffren (Nasen, Kraken, Kriegstreiberei)« aufgestoßen seien, sei »schlicht verstörend«, schreibt Hendrik Wieduwilt treffend auf der Website des Senders ntv. Die Sensibilität für Antisemitismus sei »allerdings unweigerlich auch eine (Selbst-)Bildungsfrage: Wer sich mit Zeichnungen im ›Stürmer‹ und antisemitischen Stereotypen nie beschäftigt hat, der zuckt natürlich nicht«.

Wieduwilt konstatiert eine »geradezu patzige Weigerung vieler Deutscher, sich für diese Chiffren zu sensibilisieren, sich gegen sie zu stemmen, um sie für alle Zeit zu verbannen«, und diese Weigerung reiche »bis in Redaktionen renommierter Zeitungen«. Man will dort partout keinen Antisemitismus sehen, selbst wenn er einen geradezu anspringt. Womöglich ist der Grund für diese Weigerung aber auch das Einverständnis mit den Inhalten dieser Chiffren und Codes – und eine Bitte um Entschuldigung kein Ausdruck von Einsicht, sondern bloß ein taktischer Zug, um die Geschäftsschädigung in Grenzen zu halten. Sonst würden sich solche Fälle ja nicht ständig wiederholen.

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