Stell dir vor, es ist Frieden, und keiner geht hin

Könnten sich kaum weniger für den Friendesprozess interessieren: Heiko Maas und Angela Merkel
Könnten sich kaum weniger für den Friendesprozess interessieren: Heiko Maas und Angela Merkel (© Imago Images / IPON)

Bis zum 15. September 2020 hatten genau zwei arabische Staaten Friedensverträge mit Israel unterzeichnet: Ägypten 1979 und Jordanien 1994. In Washington verdoppelte sich diese Zahl. Europa spielt im Friedensprozess keine Rolle.

Es ist wie mit der Henne und dem Ei. Man weiß nicht genau, ob die Bedeutungslosigkeit eine Folge der Ignoranz ist, oder umgekehrt. An den Friedensabkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain offenbarte sich, für jeden sichtbar, jedenfalls beides: Die Bedeutungslosigkeit der Europäischen Union für die Nahostpolitik und ihre Ignoranz gegenüber einem Normalisierungsprozess, dem sie seit Jahren verständnislos gegenübersteht. Bei der Unterzeichnung in Washington war Europa fast vollständig abwesend. Nur der ungarische Außenminister Péter Szijjártó nahm an der Zeremonie teil.

Nicht nur die Politiker selbst glänzten durch Abwesenheit, auch Glückwünsche blieben weitgehend aus. Schmallippig begrüßt Alexander Borrell „die angekündigte Aufnahme diplomatischer Beziehungen“ und hält kühl fest: „Die EU erkennt die Rolle der Vereinigten Staaten in dieser Hinsicht an und ist der Auffassung, dass diese Entwicklungen einen positiven Beitrag zu Frieden und Stabilität im Nahen Osten darstellen.“

Was bleibt ihr denn auch anderes übrig. Weniger gratulieren kann man gar nicht, zumal dem dünnen Satz des Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik sogleich die Ermahnung folgt, „dass eine umfassende Beilegung des arabisch-israelischen Konflikts einen regionalen integrativen Ansatz und ein Engagement mit beiden Parteien“ erfordere.

Deutschlands angebliche Staatsräson

Und Deutschland? Immerhin hat Angela Merkel 2008 in der Knesset erklärt, Israels Sicherheit sei Teil der deutschen Staatsräson. Da müsste man das erste Friedensabkommen arabischer Länder mit Israel seit 26 Jahren doch wohl feiern? Irrtum, von Anerkennung, Glückwünschen oder gar Freude keine Spur. Eine einzige Pressemitteilung ist der Kanzlerin das Abkommen wert:

„Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, teilt mit: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat heute mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu telefoniert. Neben der Bewältigung der Covid-19 Pandemie haben sich beide über regionale Themen ausgetauscht.

Die Bundeskanzlerin begrüßte die laufenden Gespräche über eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und unterstrich in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Wiederaufnahme direkter Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.“

Anders gesagt: die Kanzlerin hat Netanjahu wegen Corona angerufen und ihn bei der Gelegenheit ermahnt, mit den Palästinensern zu verhandeln.

Ins selbe Horn blies ihr Außenminister Heiko Maas. Er empfing dieser Tage seine Amtskollegen aus Bahrain und Israel, und beide Male beharrte er in ähnlichen Worten darauf, „die neue Dynamik auch für den Nahostfriedensprozess zu nutzen, etwa mit Blick auf erneute direkte Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern“.

Den Vogel schießt freilich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ab. Keine einzige seiner Pressemitteilungen behandelt die Friedensabkommen. Auch in seiner Grußbotschaft an die jüdische Gemeinde zum jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana erwähnt er sie mit keinem Wort. Diese beendet er mit dem Satz: „Dafür, für unser Miteinander in Vielfalt, für den Schutz und die Stärke unserer Gemeinschaft will ich werben und uns ermutigen, aufeinander zuzugehen im neuen Jahr.“

Wen genau der deutsche Bundespräsident meint, zum Aufeinander-Zugehen ermutigen zu müssen, wäre zwar zwar eine interessante Frage, ist aber hier nicht das Thema. Vielleicht ist ihm die Formulierung ja einfach nur so rausgerutscht, wie die Glückwünsche zum Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran. Israel, die Emirate und Bahrain waren ihm jedenfalls keine Glückwünsche wert. Gratuliert hat er Didi Hallervorden, Mario Adorf, Wim Wenders und Iris Berben, die hatten aber auch Geburtstag, und dem FC Bayern München zum Gewinn der Champions League. Man muss eben Prioritäten setzen.

Frieden bedeutet Sicherheit. Es braucht schon eine hohe Dosis guten Willen und eine kräftige Prise Blauäugigkeit, um die Reaktion der deutschen Politik nicht als Gleichgültigkeit gegenüber Israels Sicherheit zu interpretieren – die anscheinend nur dann interessiert, wenn sie palästinensische Interessen berührt. Offenbar hält sich ausgerechnet Deutschland für besonders legitimiert, sich zu deren Verteidiger aufzuschwingen. Schließlich hat man aus der Geschichte gelernt. Fragt sich nur, was.

„No, no, no, and no!“

Seit Jahren arbeiten Israel und die arabische Welt immer enger zusammen, nicht zuletzt aufgrund der gemeinsamen Bedrohung durch den Iran. Dass der Friedens- und Normalisierungsprozess jetzt in geradezu atemberaubendem Tempo an Dynamik gewonnen hat, wurde allerdings erst durch einen Paradigmenwechsel in der amerikanischen Außenpolitik möglich.

Benjamin Netanjahu hatte bereits 2016 in seiner programmatischen Rede vor den Vereinten Nationen erklärt, dass sich die Haltung zu Israel in Afrika, China, Indien, Russland und Japan gerade ändere. Die größte Veränderung werde jedoch in der arabischen Welt stattfinden: „Zum ersten Mal in meinem Leben erkennen viele andere Staaten in der Region, dass Israel nicht ihr Feind ist, sie erkennen, dass Israel ihr Verbündeter ist. Unsere gemeinsamen Feinde sind der Iran und der IS. Unsere gemeinsamen Ziele sind Sicherheit, Wohlstand und Frieden. Ich glaube daher, dass wir in den kommenden Jahren offen zusammenarbeiten werden, um diese gemeinsamen Ziele zu erreichen.“

Unter Trump geben die Vereinigten Staaten Israel und der arabischen Welt Rückendeckung, sich aus der Geiselhaft der palästinensischen Verweigerungshaltung zu befreien. Von den Auftritten ihrer ständigen Vertreterin Nikki Haley und deren Nachfolgerin Kelly Dawn Knight Craft in der UNO über die Verlegung der Botschaft nach Jerusalem bis zum Trump-Kushner Friedensplan: Schritt für Schritt machen die USA den Palästinensern klar, dass diese den Normalisierungsprozess nicht länger boykottieren können.

Arafat und Abbas hatten jedes Friedensangebot mit einer Welle von Gewalt beantwortet oder von vornherein abgelehnt. Nun muss die palästinensische Führung zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht länger die Spieregeln bestimmt. Der Friedensprozess zwischen Israel und den arabischen Ländern hängt nicht mehr von den Palästinensern ab.

Unter Obama wäre dieser Prozess nicht möglich gewesen. Noch 2016 tönte dessen Außenminister John Kerry im Brustton der Überzeugung:

„Es wird keinen separaten Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt geben … Nein, nein, nein und nein! … Es wird keine separaten Friedensverträge mit der arabischen Welt geben ohne eine palästinensische Entwicklung und einen palästinensischen Frieden. Jeder muss das verstehen. Das ist die harte Realität.“

Heute wissen wir: Ebenso wie John Kerry spielen die EU und Deutschland im Nahost-Friedensprozess keine Rolle. Und das ist gut für den Nahen Osten – das ist die wirklich harte Realität.

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