Daniela Segenreich-Horsky sprach mit Orit Sulitzeanu, der Vorsitzenden der nicht-staatlichen Krisenzentren für vergewaltigte Frauen in Israel (The Association of Rape Crisis Centers in Israel, ARCC).
Brutale sexuelle Gewalt und Grausamkeit wurden wohl immer schon eingesetzt, um den Feind zu verwunden. Terrororganisationen und Diktaturen haben diese »mittelalterlich« anmutenden Praktiken immer wieder angewendet. Mit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 hat nun auch die Hamas ihr wahres Gesicht gezeigt. In Kürze soll eine deutsche Übersetzung des vor einem Jahr herausgegebenen Reports der Untersuchungen dazu veröffentlicht werden, um das Bewusstsein der westlichen Welt wachzurütteln.
Daniela Segenreich (DS): Frau Sulitzeanu, eines der Ziele Ihrer Organisation ist es, das allgemeine Bewusstsein zur sexuellen Gewalt zu schärfen. Wie kam es zu dem vor einem Jahr veröffentlichten Report des Rape Crisis Centers über die extrem sadistischen Sexualverbrechen der Hamas und hat der Report etwas in der Welt bewirkt?
Orit Sulitzeanu (OS): Zu Anfang bekamen wir nur unzusammenhängende Informationsfetzen und wir wollten einfach nicht glauben, dass das wirklich geschehen ist. Aber langsam verstanden wir, dass die Berichte wahr sind. Es kamen immer mehr Informationen von verlässlichen Quellen, Fotos von nackten, geschändeten, aufgehängten Leichen, Tote mit Metallschrauben in den Genitalen oder mit einer Granate in der Vagina, abgeschnittene Brüste, etc.
Es gibt nur wenige überlebende Zeugen, die aussagen konnten, aber es gibt auch Berichte, die nicht leicht zugänglich sind, vom pathologischen Institut und von den Volontären der Organisation ZAKA, die nach dem 7. Oktober die Leichenteile zusammensuchten. Diese Berichte sind nicht für jeden zugänglich und das hat uns schließlich bewogen, unseren eigenen zu schreiben. Es kamen auch Repräsentantinnen von den Komitees für Menschenrechte aus New York und Genf und verfassten entsprechende Stellungnahmen.
(Anmerkung: Die Untersuchung des Teams der UN-Sonderberichterstatterin Pramila Patten fand von Ende Januar bis Mitte Februar statt. Dabei soll es Dutzende Treffen mit Vertretern von israelischen Behörden und Organisationen gegeben haben und mehr als 5.000 Fotos und 50 Stunden Videomaterial gesichtet.
Die Kommissionäre der Vereinten Nationen führten 34 Interviews mit Zeugen durch. Im Bericht heißt es, es gebe »klare und überzeugende Informationen darüber, dass sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, sexualisierte Folter, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung gegen Geiseln verübt wurde«, welche in der Gefangenschaft im Gazastreifen weiter andauern könnte. Aber diese Erkenntnisse rechtfertigten aus Pattens Sicht keine weitere Gewalt, sondern würden die dringende Notwendigkeit einer Waffenruhe unterstreichen. Seitens der UNO fand in Folge keine eindeutige Verurteilung dieser Verbrechen an israelischen Zivilisten statt.)
Unglaubliche Gewalttaten
DS: Welche Reaktionen gab es auf Ihren Bericht vom Krisen-Zentrum?
OS: Nachdem wir unseren Report veröffentlicht hatten, bekamen wir wochenlang sehr viel Interesse von Medien aus der ganzen Welt. Sie wollten wissen, was wir wissen und was wir noch nicht wissen. Wir gaben viele Interviews und Erklärungen, auch über das Phänomen der bewusst eingesetzten sexuellen Gewalt. Aber später begannen die unglaublichen Fragen und das Leugnen des Geschehenen und es wurden Artikel veröffentlicht, die besagten, dass es keine Vergewaltigungen gegeben hätte.
Die Hamas hat viele Videos vom 7. Oktober, aber es gibt keine Videos von den Vergewaltigungen, das würde der Hamas auch in ihren eigenen Reihen Probleme bringen. Es ist leider ein allgemeines Phänomen von sexueller Gewalt, dass sie meist im Verborgenen geschieht. Ich habe selbst entsetzliche Fotos und Videos vom 7. Oktober mit unglaublichen Grausamkeiten und Schändungen gesehen, verstümmelte Körper, Videos von Enthauptungen, Leichen mit nackten Unterkörpern und mit Metallobjekten in den Genitalien, an Bäumen aufgehängte Leichen ohne Slips, verstümmelte Genitalien. Es gibt genügend Beweise, aber soweit ich weiß, keine Videos von Vergewaltigungen.
DS: Sind Sie in Kontakt mit ehemaligen Geiseln? Was wissen Sie über sexuelle Gewalt?
OS: Wir sind in Kontakt mit einigen der Freigelassenen und auch dort ist sexuelle Gewalt geschehen. Wir sammeln die Informationen und werden dann entscheiden, was wir damit machen. Aber man muss auch verstehen, dass das sehr privat ist. Leute können über vieles Schreckliche, das ihnen geschehen ist, sprechen, aber nur schwer über Vergewaltigung.
Ich weiß von Überlebenden von sexueller Gewalt am 7. Oktober und auch von Geiseln, die in ihrer Gefangenschaft sexuelle Gewalt erfahren mussten, aber ich darf nichts über meine Quellen sagen. Viele wollen nicht öffentlich darüber sprechen. Sie haben so unglaublich Schreckliches durchlebt, sie schulden uns nichts. Sie werden darüber sprechen, wenn und wann sie dazu bereit sind. Aber es gibt genügend andere Beweise und einige wenige persönliche Aussagen von überlebenden Zeugen. Und es gibt viele Aussagen von Polizei, von Rettungspersonal von ZAKA-Leuten, von Soldaten, etc.
Und wir wissen auch, dass das Sprechen über sexuelle Gewalt im Zweiten Weltkrieg erst fünfzig Jahre später begonnen hat. Meine Mutter ist Holocaustüberlebende und hat erst wenige Jahre vor ihrem Tod bei einem Interview für Yad Vashem darüber gesprochen, dass sie Soldaten gesehen hat, die jüdische Frauen vergewaltigt haben.
DS: Haben Sie mit Ihrem Report Ihr Ziel erreicht und wurden die Gewalttaten verurteilt?
OS: Wir haben viel Feedback bekommen, aber Leute, die leugnen wollen, was geschehen ist, werden immer einen Grund finden, warum es nicht wahr sein kann. Sexuelle Gewalt im Krieg wird nicht dokumentiert wie bei einem privaten Verbrechen, bei dem dann vielleicht die Polizei gerufen wird, die alles aufnimmt und fotografiert. Im Krieg ist das eine andere Welt, die anders funktioniert.
DS: Können Sie bestätigen, dass die Hamas sexuelle Gewalt systematisch und geplant eingesetzt hat? Oder ist es »einfach passiert«?
OS: Wir haben die Praktiken der Hamas vom 7. Oktober 2023 analysiert und gesehen, dass gewisse Gräueltaten an verschiedenen Orten immer und immer wieder begangen worden sind. Das bedeutet, es war kein spontaner Einzelfall, sondern gezielt geplant. Eine Granate in eine Vagina zu stecken, das fällt einem nicht so leicht ein. Israel erlebt Terror seit vielen, vielen Jahren, wir haben hier vieles gesehen, aber nicht diese Art von sadistischem Terror, der hier am 7. Oktober wieder und wieder stattgefunden hat. Deswegen haben auch die Berichte der UN-Kommissionäre aus Genf und New York festgestellt, dass hier sexuelle Gewalt systematisch geplant und eingesetzt worden ist.
Lang dauernde Heilung
DS: Kennt man diese brutale sexuelle Gewalt von anderen Ländern?
OS: Ja, das ist nichts Neues in der Geschichte. Wenn extreme Terrorgruppierungen Gewalt ausüben können, dann tun sie es. Das ist im ehemaligen Jugoslawien geschehen, im Kongo, in Ruanda, oder im Irak durch den Islamischen Staat. Aber nicht in Israel. Es gab Terror, aber nicht solche extrem sadistischen Praktiken. So etwas haben wir in Israel nie erlebt. Damit gehören wir jetzt zu den Nationen, die sexuelle Gewalt in einem Konflikt erlitten haben. Darauf sind wir nicht so stolz. Es wird lange dauern, bis die israelische Gesellschaft von dem, was da geschehen ist, geheilt ist.
DS: Eine letzte Frage: Warum wird der Report jetzt auch ins Deutsche übersetzt?
OS: Wir müssen daran arbeiten, dass das Geschehene nicht vergessen wird. Andere Länder, in denen es auch Extremismus gibt, sollen es hören und daraus lernen. Denn was in Israel geschehen ist, kann überall geschehen.
Nachtrag: Vergangenen Donnerstag wurde der Bericht des UN-Menschenrechtsrats über »sexuelle Gewalt« an Palästinensern durch israelische Soldaten veröffentlicht. Darin wird unter anderem beschrieben, israelische Soldaten hätten Hamas-Terroristen vor ihrer Abführung mit nackten Oberkörpern und gefesselt versammelt und Israel hätte Krankenhäuser bombardiert (in denen nachweislich Hamas-Zentralen eingerichtet waren), um »palästinensische Babys zu töten«. Der UNO fällt es also leichter, Israel ein weiteres Mal zurechtzuweisen, als endlich die Hamas für ihre Gräueltaten an israelischen Zivilisten – Kindern, Frauen und Männern – am 7.Oktober 2023 zu verurteilen.